Julius H. Schoeps

»Eine Reform wäre sinnvoll«

Herr Schoeps, Sie monieren, dass langfris-
tig an manchen Endhaltestellen der Berliner S-Bahn im Brandenburger Umland Synagogen gebaut werden, während gleichzeitig die Berliner Synagogen zum Teil leer stehen. Gönnen Sie beispielsweise den Potsdamern kein eigenes Gotteshaus?
Da bin ich wohl missverstanden worden. Nirgendwo habe ich mich gegen den Bau einer Synagoge in Potsdam ausgesprochen, sondern nur drohende Schwierigkeiten be-
nannt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 12. Mai den Staatsvertrag des Landes Brandenburg mit den jüdischen Gemeinden ausgehebelt. Wenn nun das Land der Einheitsgemeinde, die dem Zentralrat angeschlossen ist, eine Synagoge in Potsdam hinstellt, dann wird es wohl mittelfristig auch den »Gesetzestreuen« eine Synagoge finanzieren müssen.

Potsdam ist die einzige Landeshauptstadt, die bisher keine einzige Synagoge besitzt. Ist dann nicht ein Bau gerechtfertigt?
Zunächst: Eine Landeshauptstadt braucht keine Synagoge, eine Gemeinde benötigt eine solche. Wenn eine jüdische Gemeinde eine Synagoge bauen will, dann sollte sie es tun. Allerdings muss sie vital sein, organisch wachsend und sich auch auf lange Sicht hin stabilisieren können – inhaltlich, strukturell, demografisch, auf Kontinuität ausgerichtet. Brandenburg hat heute zwar sieben lokale Gemeinden, aber insgesamt nur etwas mehr als 1.000 Mitglieder, mit komplizierter Alterspyramide und fast gänzlich ohne Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Das sind Faktoren, die man nicht ignorieren darf. Weil das alles sehr problematisch ist, schlage ich nach dem Vorbild der Evangelischen Kirche das Zusammengehen der Landesverbände Berlin und Brandenburg vor.

Die Kirchen sind hierarchisch organisiert, jüdische Gemeinden nicht. Wie soll ein solches Zusammengehen funktionieren, wenn die verschiedenen Gruppierungen nicht miteinander auskommen?
Es geht in diesem Fall erst einmal nur um einen Vorschlag, über den man nachdenken sollte. Er dürfte für alle Beteiligten von In-
teresse sein. Die Idee ist im Übrigen nicht völlig neu – in die gleiche Richtung hat man schon zu Anfang der 90er-Jahre nachgedacht. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass eine Zusammenlegung Sinn hat – auch und gerade wegen der demografisch und strukturell viel günstigeren Situation der jüdischen Gemeinden in Berlin.

Sie meinen, dass man dadurch auch den Verwaltungsapparat verschlankt?
Nun ja. Das könnte als Nebeneffekt hinzukommen. Grundsätzlich hätten die Brandenburgischen Juden, die ja fast durchweg aus der früheren Sowjetunion gekommen sind, eine sinnvolle Anbindung an das vorhandene religiöse Leben in der Hauptstadt. Man könnte die Frage stellen: Müssen in Brandenburg neue Synagogen gebaut werden, wenn ihnen durch eine Neuorganisation der Landesverbandstrukturen das komplette An-
gebot der jüdischen Einrichtungen in Berlin – religiös, kulturell, sozial und bildungsmäßig – eröffnet würde? Auch für die Berliner könnte die Neuorganisation der Gemeindestrukturen in der Region eine sinnvolle Stärkung bedeuten.

Sollen dann alle Barnimer, Königs Wusterhausener, Cottbuser in Berlin beten?
Interessant ist, dass einige Gemeinden an den Endpunkten des Berliner S-Bahn-Netzes gelegen sind – so in Potsdam, Bernau, Königs Wusterhausen und Oranienburg. Für Cottbus, Frankfurt/Oder und die Stadt Brandenburg müsste man andere Lösungen finden.

Sie haben gefordert, dass Gemeinden, die eine Synagoge bauen wollen, dies möglichst aus eigenen Mitteln bestreiten sollten. Dazu sind nur die wenigsten hierzulande in der Lage. Wenn überhaupt.
Das ist ein grundsätzliches Problem. Ge-
meinden müssen von unten her wachsen. Wenn sie sich dann auf einem bestimmten Level stabilisiert haben, kann der Staat ihnen bei Großprojekten wie etwa dem Bau eines Gemeindehauses helfen. Wo der Prozess um-
gekehrt verläuft, wo mit staatlichen Mitteln beim Bau einer Synagoge operiert wird, drohen Gotteshäuser leer zu stehen. Was nützt es, wenn Gelder bereitstehen, um einen Neubau zu realisieren, aber die Mittel nicht vorhanden sind, ihn zu unterhalten, einen Rabbiner und einen Kantor zu bezahlen?

Mit Eigenleistungen tun sich ja schon Ge-
meinden schwer, die länger verwurzelt sind. Wie sollen es dann die neu gegründeten schaffen?
Das ist in der Tat ein Problem. Ich habe nichts gegen staatliche Zuschüsse oder Zu-
wendungen Dritter. Das eine oder andere kann man hier sicherlich tun – gerade, was den Betrieb von Kinder- und Jugendeinrichtungen betrifft, die Seniorenarbeit oder das Anschieben interkultureller Projekte. Auch die Förderung einer lokalen jüdischen Volkshochschularbeit ist in meinen Au-
gen jederzeit sinnvoll.

Wie sieht es bei Synagogenneubauten aus?
Der Neubau von Synagogen fällt in eine andere Kategorie. Hier müssen bestimmte Fragen gestattet sein: Für wen wird gebaut? Wer nutzt die Synagoge langfristig? Wer bezahlt die Folgekosten? Und gelingt es, die Mehrheit der in einer Stadt Lebenden unter ein Synagogendach zu bringen? Das sind keine spezifischen Potsdamer oder Brandenburger Sorgen. Demografen schätzen, dass eine jüdische Gemeinde in westlichen Industriestaaten, um langfristig zu überleben, einer Mitgliederzahl von etwa 4.000 Menschen bedarf.

Was können die Gemeinden unternehmen, um mehr Mitglieder zu bekommen?
Sie können versuchen, mit einer intensivierten Kinder- und Jugendarbeit, mit soliden Bildungsprogrammen für alle Altersgruppen, mit attraktiven Familienangeboten die eigenen Reihen zu stärken. Die demografische Kurve ist ohnehin besorgniserregend, in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland kommen derzeit auf eine Geburt bis zu acht Sterbefälle. Da wirkt sich die restriktive Neuregelung der russisch-jüdischen Zuwanderung seit 2005 nun doppelt negativ aus. Im Schnitt kommen seitdem nur noch 1.000 bis 2.000 russischsprachige Juden im Jahr nach Deutschland.

Wäre ein Zurückhalten staatlicher Unterstützung aber nun nicht gerade das falsche Signal? Würde man guten Anfängen – auch in Brandenburg – nicht einen Dämpfer versetzen?
Es geht nicht um einen irgendwie gearteten Zweckpessimismus, sondern vielmehr da-
rum, wo und wie man etwas finanziert, ob staatliche Unterstützung sinnvoll eingesetzt werden kann – einerseits in langfristiger Perspektive, andererseits mit lokalem Nutzen. Natürlich können die Gemeinden in Brandenburg, besonders auch diejenigen in der Peripherie, staatliche Unterstützung ge-
brauchen. Man kann Kultur-Bildungsprojekte fördern, bei der Einrichtung von Bibliotheken helfen, vieles ist je nach Ort und Bedarf möglich.

In Hannover gibt es bereits zwei Synagogen, in Potsdam wird eine zweite gefordert, in München will Beth Shalom auch eine bauen. Stößt die jüdische Gemeinschaft damit nicht an ihre Grenzen?
In jeder der genannten Städte wird eine ei-
gene jüdische Geschichte geschrieben. Die liberalen Gemeinden in Hannover und München haben Dutzende Idealisten im Team, aktive Jugendzentren, alteingesessene Mitglieder mit guten Verbindungen in das kommunale Umfeld. Da können durchaus auch unkonventionelle Projekte zur Erfolgsgeschichte werden. Ich denke, der Vergleich mit Potsdam hinkt völlig, zumindest, was die momentane Situation betrifft. Wir müssen deshalb nachdenken.

Worüber?
Vielleicht sollte der Zentralrat sich Gedanken darüber machen, wie die Zukunft der kleinen und mittleren Gemeinden optimiert werden kann. Wo sind Investitionen sinnvoll, sollte man etwas ändern oder ist es möglich, etwas zusammenzulegen? Wo gilt es jüdische Zentren zu stärken, die ohnehin eine Sogwirkung haben – und damit auch attraktiv für die junge Generation der russischen, meist schon deutschsprachigen Juden sind? Wie wir wissen, hat die Konkurrenz das jüdische Leben in einigen Städten sehr befördert. Aber, wie gesagt, auch eine Re-
form innerer, territorialer Strukturen könnte durchaus sinnvoll sein. Womit wir wieder beim Thema wären.

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