Beschneider

Eine Frage des Vertrauens

von Alice Lanzke

Neben Wohnungsgesuchen und Sprachkursangeboten war im Juni-Newsletter von Ilan Weiss, einem in Berlin lebenden Israeli, auch folgende Annonce zu lesen: »Wir erwarten im August ein Baby und suchen Empfehlungen für einen Mohel. Danke, Michal & Shay.« Per Kleinanzeige auf der Suche nach einem Beschneidungsfachmann?
»Wir haben uns einfach überlegt, wie wir einen Mohel finden könnten«, erklärt Michal Dagan ihr ungewöhnliches Inserat. Gemeinsam mit ihrem Mann Shay Cohen ist sie vor sechs Jahren nach Deutschland gekommen, um Musik zu studieren. Seit zehn Jahren sind sie ein Paar und erwarteten jetzt ihr erstes Kind – einen Jungen. Schon früh hatten sie sich Gedanken über die Beschneidung gemacht: »Wir sind beide überhaupt nicht gläubig und auch keine Mitglieder der jüdischen Gemeinde, aber Shays Vater ist orthodox, ihm ist das sehr wichtig«, sagt Michal Dagan. »Mein Opa hat das, mein Vater hat das und ich auch – das ist einfach eine Tradition«, ergänzt Shay Cohen. Zudem könne es sein, dass sie nach Israel zurückkehrten: »Dann soll mein Sohn nicht anders aussehen als die anderen Kinder im Kindergarten.«
Wie Michal Dagan und Shay Cohen geht es immer mehr jüdischen Paaren: Sie fragen sich, wer ihren Sohn beschneiden soll. Eine Beschneidung nach traditionellem Ritus wird von einem Mohel durchgeführt, einem religiösen Beschneidungsspezialisten. Die Brit Mila symbolisiert den Eintritt des Kindes in den Bund mit Gott. Die Brit muss am achten Tag nach der Geburt stattfinden, zu Hause oder in der Synagoge, es sei denn, das Kind ist gesundheitlich nicht in der Lage für den Eingriff.
Neben der traditionellen Zeremonie mit einem Mohel gibt es auch die Möglichkeit, in ein jüdisches Krankenhaus zu gehen. »Das hat uns ein Paar auf unsere Anzeige hin geraten, das damit sehr zufrie-
den war«, berichtet Michal Dagan. Allerdings wäre das eine reine Operation ohne orthodoxen Ritus. »Wir wissen nicht einmal, ob der Arzt Jude ist, für meinen Vater wäre das aber sehr wichtig«, meint Shay Cohen. »Sag’ ihm einfach, der Arzt hieße Stern«, wirft seine Frau augenzwinkernd ein. Neben dem Operationssaal gebe es einen kleinen Raum für die Familie, wo auch Gebete gesprochen werden könnten – als Rabbiner würde aber nur ein Reformer kommen. »Und das wäre für meinen Vater noch schlimmer als gar kein Rabbi«, meint Shay Cohen.
Abgesehen von dem Tipp für das Krankenhaus haben die beiden mehrmals die Nummer des Berliner Gemeinderabbiners Yitshak Ehrenberg geschickt bekommen – und ihn um Rat gefragt. »Er hat uns einen Mohel aus Frankfurt am Main und einen aus Zürich empfohlen. In Berlin gebe es niemanden, der die Zeremonie richtig durchführen könnte«, erzählt Shay Cohen. Mit dem Beschneidungsfachmann aus Frankfurt haben sie telefoniert – und sich dann doch gegen ihn entschieden. »Man muss ihm die Reisekosten zahlen und dann noch einen freiwilligen Betrag dazu«, meint Shay Cohen. Sein Vater hätte das alles übernommen, »aber als junge Eltern können wir damit anderes anfangen«.
Gerade in Deutschland müssen Paare, die eine Brit Mila für ihren Sohn wollen, den Mohel oft anreisen lassen. Einer dieser reisenden Beschneidungsexperten ist Rabbiner David Goldberg aus Hof. Vor 40 Jahren ließ er sich in Jerusalem zum Mohel ausbilden, seither hat er etwa 2.000 Beschneidungen durchgeführt. »Pro Kilometer nehme ich 30 Cent für die Reisekosten und sage den Eltern ansonsten, sie sollen mir so viel geben, wie sie wollen«, erklärt er. Bei mittellosen Familien verzichte er sogar auf jegliche Bezahlung, schließlich bekomme er ein Gehalt von seiner Gemeinde – allerdings nicht für seine Tätigkeit als Mohel.
»Beschneidungen werden seit 3.800 Jahren durchgeführt, das ist tief in unserer Religion und der Tradition verankert«, sagt Goldberg. Dennoch beobachtet auch er, dass sich immer weniger Paare aus religiösen Gründen für die Brit entschieden. Und dann gehe es vielen Eltern um die Frage, ob in einer Klinik oder in der Synagoge. Ideal sei es, wenn der Mohel beides vereine – schließlich gehörten medizinische Kenntnisse auch zur Ausbildung.
Von der Brit Mila im Krankenhaus rät Goldberg ab: »Die Ärzte sind nicht immer Juden und als Mohel hat man mit Beschneidungen viel mehr Erfahrungen.« Er selbst führe im Jahr 30 bis 40 durch, die meisten davon in Deutschland. Hier seien die Eltern meist viel aufgeregter als in Israel. »In Israel wird man mindestens ein Mal pro Monat zu einer Brit Mila eingeladen und ist das Ganze gewöhnt. In Deutschland gibt es viel weniger Beschneidungen, daher die Aufregung«, vermutet der orthodoxe Rabbiner.
Auch Michal Dagan und Shay Cohen sind nervös. »Ich wünsche mir einfach, dass alles gut geht«, sagt die Schwangere. Der Gedanke, dass ihr Neugeborenes beschnitten werde, mache sie sehr nervös. Dazu habe sie ein Problem mit manchen orthodoxen Riten. »Bei richtig traditionellen Brits nimmt der Mohel den Penis des Kindes in den Mund und saugt das Blut weg, das will ich in keinem Fall!«, ruft sie.
Esra Weill, Mohel aus Basel, lehnt diesen Brauch ebenso ab. »In Zeiten von Aids und Hepatitis weigere ich mich da strikt.« Mit einem Zwischenstück aus Glas könne man die Tradition genauso erfüllen. Er bezeichnet sich als modernen Mohel, viele der Paare, die sich bei ihm meldeten, seien nicht religiös: »Die wollen das machen, weil sie sagen, dass es schon immer so war und einfach dazugehört.«
Bei den Beschneidungen seiner ersten beiden Söhne fühlte Weill sich schlecht informiert. Daher beschloss der Besitzer einer jüdischen Buchhandlung, sich zum Mohel ausbilden zu lassen – und die Brit Mila seines dritten Sohnes selbst durch-zuführen. »Das war das einzige Mal, dass ich mich geschnitten habe«, lacht Weill. »Aber das lag an den neuen Instrumenten. Nervös war ich gar nicht.« Für ihn ist aufgrund seiner Erfahrungen die Beratung der Eltern am wichtigsten. Deshalb bietet er auf seiner Homepage www.weill.ch ausführliche Informationen an – ein moderner Kommunikationsweg für eine uralte Tradition.
Neben dieser Beratung sollte der Mohel in Weills Augen die modernen Hygienestandards bieten – und vor allem zum Paar passen: »Ich bin ein normaler Mensch, komme gezielt nur in dunklem Hemd und dunkler Hose und nicht wie ein Außerirdischer im schwarzen Anzug«, sagt er. Das entspreche ihm mehr und erschrecke die jungen nichtorthodoxen Paare nicht.
Orthodox oder liberal? Zu Hause oder im Krankenhaus? Mohel oder Arzt? Für jüdische Eltern, die sich eine Beschneidung für ihren Sohn wünschen, gibt es einige Möglichkeiten. »Wir hätten nicht gedacht, dass das so schwierig wird«, seufzt Shay Cohen. Eine Entscheidung haben er und seine Frau noch nicht getroffen. Dabei drängt die Zeit: Am Samstag ist das Baby zur Welt kommen, die Familie in Israel hat schon Flugtickets gebucht. »Nur mein Vater noch nicht«, sagt Shay. »Er wartet, bis alles feststeht und nimmt in Kauf, viel mehr für die Reise zu bezahlen – so wichtig ist ihm das.«
Wenn alles gut geht, wird die Brit Mila Anfang der Woche gefeiert. Einen Namen haben die frischgebackenen Eltern für das Kind bereits ausgesucht. Der Kleine soll Yahli heißen – übersetzt: »Gott ist mein.«

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