Pessach

Ein Tag, ein Schritt

von Rabbiner Baruch Rabinowitz

Moses hat sie zerbrochen. Deshalb muß er die neuen Tafeln auch selber wiederherstellen. Am Schabbat Chol HaMoed Pessach lesen wir nicht noch einmal die Geschichte vom Auszug aus Ägypten und den Wundern Gottes, die das Volk Israel auf dem Weg begleiteten. Sondern wir lesen, was nach der Vergötterung des Goldenen Kalbs geschah. Sehr bald vergaß das Volk, daß Gott sie aus Ägypten geführt hatte. Moses stieg auf den Berg, um Gott zu begegnen und die Gesetzestafeln zu empfangen. Gott selbst hatte sie hergestellt und geschrieben. Offensichtlich aber blieb Moses viel zu lange weg. Das Volk wollte nicht länger auf ihn warten. Sie brauchten jemanden – hier und jetzt. Die Alternative war das Goldene Kalb.
Moses, als er endlich zurückkommt, kann nicht glauben, was seine Augen sehen: Das Volk singt und tanzt und verehrt ein Idol. Sie beten: »Du bist Gott Israels, der uns aus Ägypten befreit hat!« In seiner Wut zerbricht Moses das Werk Gottes, das seinen Händen anvertraut ist.
Doch die Tafeln waren viel mehr als nur Steine mit göttlicher Inschrift. Sie waren der Vertrag zwischen Gott und Israel. Eine Art von Abkommen, bei dem beide Seiten ihre Pflichten einhalten müssen. Die Israeliten würden das Volk Gottes sein und seine Gebote erfüllen. Gott würde der Gott Israels sein und das Volk in das Gelobte Land führen. Der Vertrag war zerstört: Gott war plötzlich ohne Volk, die Israeliten ohne Gott.
Als Gottes Zorn vorbei war und die Sünde vergeben, wurde Moses wieder auf den Berg gerufen. »Und der Herr sprach zu Moses: Haue dir zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren, daß ich die Worte darauf schreibe, die auf den ersten Tafeln standen, welche du zerbrochen hast ... Und Moses hieb zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren.« (2. Buch Moses 34, 1;4).
Am Seder-Abend ist unser großes Ziel, den Exodus noch einmal persönlich zu erleben. Wir identifizieren uns mit unseren Vorvätern und machen die Geschichte der persönlichen Befreiung wieder und wieder lebendig. Jedes Pessach ist ein zusätzlicher Schritt aus unserer persönlichen Sklaverei heraus. Auch in diesem Jahr haben wir Mizraim, Ägypten, ein Stück weiter verlassen. Wir sind unserem endgültigen Ziel, der vollkommenen Freiheit, ein Stück näher gekommen. Wir lesen die Haggada und verbinden uns mit allen Generationen, die vor uns waren und die nach uns kommen werden. Wir trinken die vier Becher Wein und stellen einen für den Propheten Elijahu hin, als Symbol für die messianische Hoffnung. Wir machen Pläne: Wie wir im kommenden Jahr freier werden können, welche Schwächen zu überwinden wir uns vornehmen, welche Ziele wir erreichen können.
Aber dann ist der Seder zu Ende, und statt im Paradies befinden wir uns wieder mit unseren Vorvätern in der Wüste. Auf dem Weg ins Gelobte Land, aber immer noch mit schwerem Gepäck aus unserer Vergangenheit. Die Generation des Exodus war nur physisch frei. Mental ist sie aber in Ägypten geblieben. Auch uns kann es sehr schwer fallen, uns von unerwünschten Einflüssen unserer Vergangenheit zu befreien. Mizraim verfolgt uns, egal wie schnell wir von ihm weglaufen. Die Wunder, die wir früher im Leben gesehen haben, beschäftigen uns nicht mehr so sehr. Wir leben im Jetzt. Unsere geistigen Führer enttäuschen uns, und wir fühlen uns allein und verloren. Wir sind frustriert, weil die erwünschten Fortschritte ausbleiben. Dann treffen wir oft Entscheidungen, die uns von unserem Weg ablenken und uns von unserer weiteren geistigen Entwicklung abhalten.
In Wut schlagen auch wir immer wieder unsere Gesetzestafeln kaputt. Aber die Reise ist damit doch nicht beendet. So wie Moses sind auch wir herausgefordert, die neuen Tafeln zu hauen. Diese sind unsere Herzen. Stein zu bearbeiten ist nicht einfach. Es ist eine schwere und mühsame Arbeit. Aber in dem Moment, in dem sie getan wird, beginnt ein neues Kapitel unseres Lebens. Auf der leeren Tafel unseres Herzens kann die Geschichte neu geschrieben werden. Wir müssen unsere Herzen nur vorbereiten und in ungeschriebenem, offenem Zustand auf den Berg zu Gott tragen. Er beschreibt sie für uns. Er hat einen Plan und eine Aufgabe für jeden einzelnen Menschen.
In der Tora fanden die meisten Begegnungen zwischen Gott und Mensch auf einem Berg statt. Es ist ein Symbol für persönliches Aufsteigen. Es war gewiß nicht einfach für Moses, die neuen Gesetzestafeln auf den Berg hinaufzutragen. Auch wir müssen uns Mühe geben, die Schwere von unseren Sorgen, Ängsten und Enttäuschungen zu Gott zu bringen und in Vertrauen vor seinen Thron zu legen. Moses hat vierzig Tage auf dem Berg verbracht. Der hebräische Buchstabe Samech bedeutet auch vierzig, er ist an allen vier Seiten geschlossen und symbolisiert wie der Kreis Vollkommenheit. Wir müssen deswegen uns und Gott genug Zeit lassen: unseren Berg zu besteigen und ein neues Lebenskapitel schreiben zu lassen.
Das lernen wir auch während des Omer-Zählens. Jeder Tag ist eine neue offene Tür, jeder Schritt ist wichtig, über jeden kleinen Erfolg können wir uns freuen. Und jedes folgende Pessachfest wird ein neues Kapitel unserer persönlichen Befreiung.

Hol Hamoed: 2. Buch Moses 33,12 – 34,26

Hamburg

Zehn Monate auf Bewährung nach mutmaßlich antisemitischem Angriff

Die 27-Jährige hatte ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft nach einer Vorlesung über antijüdische Gewalt attackiert

 28.04.2025

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025