Daniel Barenboim

Ein bisschen Frieden

von Thekla Dannenberg

Draußen vor der Tür frieren die Raucher, Mitglieder von amnesty international fordern ein Ende der israelischen Angriffe in Gasa, protestieren aber auch gegen den Missbrauch von Menschen als Schutzschilde durch die Hamas. Eine Handvoll Palästinenser entrollt ein Spruchband: »Es ist doch nur ein Massaker«. Drinnen in der Berliner Staatsoper wärmt sich das Publikum derweil an dem Gefühl, einem bedeutenden Ereignis beizuwohnen: Daniel Barenboim spielt am Montag Abend mit seinem West-Eastern Divan Orchestra. 3sat sendet live.
Die Tournee zum zehnjährigen Jubiläum des israelisch-arabischen Jugendensembles hatte eigentlich in Katar und Kairo beginnen sollen. Doch mit dem israe- lischen Waffengang gegen die Hamas in Gasa wurde die Lage im Nahen Osten zu brenzlig und das Konzert kurzfristig nach Berlin verlegt. Innerhalb von Stunden war es ausverkauft, ebenso das vom Orchester draufgegebene Zusatzkonzert um 23 Uhr. Wenn es um seinen Generalmusikdirektor Daniel Barenboim geht, steht das Berliner Abonnement-Publikum wie eine Eins, dafür nimmt man auch eine politische Botschaft in Kauf. Noch bevor die erste Note von Beethovens Leonoren-Ouvertüre gespielt ist, gibt es tosenden Applaus. Wie ein persönlicher Bekannter wird Guy Braunstein begrüßt, der Erste Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, der sich am dritten Pult die Ehre gibt.
Zum Konzert haben die Musiker eine Erklärung zur aktuellen Lage veröffentlicht: »Die Vorgehensweise der israelischen Regierung in Gasa in den letzten zwei Wochen ist keine Lösung für existierende Unterschiede. Die Aktionen der Hamas tragen nicht zum Aufbau gegenseitigen Vertrauens bei.« Ausgewogenheit auch im Fazit: »Nach all dem Blutvergießen ist es an der Zeit, eine dauerhafte Lösung für eine Koexistenz zu finden, statt weiterhin auf kurzfristige taktische Mittel zu setzen.«
Auch im Publikum herrscht politisch ein Gleichgewicht der Kräfte. Enthusiasten und nüchterne Skeptiker halten sich die Waage. Schwärmt der Herr in Cord über die »wunderbare Friedensarbeit, die beste, die es überhaupt gibt«, wird ihm prompt von der Dame in Abendgarderobe der Dämpfer verpasst: »Für Frieden braucht es wohl doch ein bisschen mehr.« Strikte Neutralität wahren die Zuhörer gegenüber den Musikern: Niemandem wird in den Einsatz gehustet oder das Solo vermasselt, nicht der israelischen Oboe und nicht der palästinensischen Bratsche. Einig werden kann man sich schnell, dass hier eines der bestaussehenden Ensembles der Welt spielt.
Seit Daniel Barenboim das West-Eastern Divan Orchester 1999 zusammen mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler und Pianisten Edward Said gegründet hat, wurde er dafür bewundert, belächelt oder misstrauisch beäugt. Einige seiner Musiker hatten noch nie in einem Orchester gespielt, einige noch nicht einmal ein Orchester live gehört. Für seinen Auftritt 2005 in der Palästinenserhauptstadt Ramallah wurden Barenboim und seine Musiker ebenso angefeindet wie für ein Wagner-Konzert ausgerechnet in der Berliner Waldbühne. Als dem Dirigenten die palästinensische Ehrenstaatsbürgerschaft verliehen wurde, fragte die »Jerusalem Post«, wer Feinde bräuchte, wenn er Freunde wie Barenboim habe.
Welch tiefe Gräben sich auch durch das Orchester selbst ziehen, die es immer wieder überwinden muss, hat Daniel Barenboim in den zahlreichen Interviews, die er in den vergangenen Tagen gab, klargemacht: »Da kommen junge Menschen zusammen, deren Völker Krieg gegeneinander führen«, sagte er dem Tagesspiegel. »Der eine lebt in Israels Süden und wird seit Jahren von den Raketen der Hamas bedroht. Der andere hat Angehörige in Gasa. Und der dritte, der aus Ägypten oder aus Syrien stammt, wird von seiner Familie unter Druck gesetzt.« Kaschieren könne man diese Differenzen nicht, und weder Beethovens Fünfte noch Brahms Vierte würden in dieser Hinsicht irgendeine heilende Wirkung entfalten: »In Zeiten, in denen es um Leben und Tod geht, ist jede Schönrednerei fehl am Platz.«
Während des Libanonkrieges 2006 war das Orchester auch aufgetreten, aber ohne seine libanesischen und syrischen Mitglieder. Am Montag, dem siebzehnten Tag des Krieges in Gasa, fehlen nur zwei Musiker. Nach dem Konzert gibt es nicht enden wollende stehende Ovationen. Dem Herrn auf dem Nebenplatz laufen die Tränen über das Gesicht. Ob wegen der Musik oder der politischen Botschaft, ist schwer zu sagen. Vielleicht hat er auch nur einen Hustenanfall unterdrückt.

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025