Aufnahmepolitik

Die Auserwählten

von Daniela Breitbart

Kate und David Lightman können es immer noch nicht fassen. Seit vier Jahren wird ihrer inzwischen 13-jährigen Tochter der Zugang zur Jewish Free School (JFS) im Norden Londons verwehrt. Der Grund: Kates Übertritt zum Judentum in den 80er-Jahren in Israel – bei einem nicht-orthodoxen Rabbiner – wird vom britischen Oberrabbinat nicht anerkannt. Folglich sei die Tochter der Lightmans nach jüdischem Gesetz ebenfalls keine Jüdin, argumentieren die Verantwortlichen der Schule.
Die JFS ist eine der ältesten jüdischen Schulen Großbritanniens und mit 2.000 Schülern die größte orthodoxe Schule in Europa. Für ihre akademischen Erfolge wurde sie mehrfach ausgezeichnet, sie genießt einen exzellenten Ruf. Doch mit dem Streit gerät die Schule immer mehr in die negativen Schlagzeilen, und ein Ende der Auseinandersetzung ist nicht in Sicht. Nun wollen die Lightmans vor Gericht ziehen, um die Aufnahme ihrer Tochter zu erstreiten. Ein Richter soll darüber entscheiden, ob die Aufnahmepraxis der Schule, nur diejenigen zuzulassen, die die orthodoxe Definition des Jüdischseins erfüllen, gegen das Verbot rassischer Diskriminierung verstößt.
Der Fall eröffnet die heikle Diskussion darüber, ob und in welchem Umfang jüdische Schulen das Recht haben, über die Aufnahme ihrer Schülerinnen und Schüler zu bestimmen. JFS bevorzugt Kinder, die im Einklang mit dem Oberrabbinat als jüdisch angesehen werden – und schließt, wie im Fall der Lightmans, das Kind einer Mutter aus, die bei einem nicht-orthodoxen Rabbiner übergetreten ist. Auf ihrer Internetseite stellt JFS zwar klar, dass ihre Einstellung und Praxis orthodoxen Regeln folgt. Gleichzeitig rühmt sie sich der großen religiösen Vielfalt: »Unsere Schüler spiegeln das sehr weite Spektrum der Juden in Großbritannien wider«, heißt es da. Dazu gehören beispielsweise auch Kinder aus Familien, die mit jüdischem Glauben und Tradition überhaupt nichts anzufangen wissen. Die fehlende Anerkennung nicht-orthodoxer Übertritte passt da schlecht ins Bild.
Rabbi Danny Rich, ein Vertreter des liberalen Judentums, kritisiert die Aufnahmepolitik denn auch als »politisch motiviert, ungerecht und diskriminierend«. Eine Schule sollte, so der Rabbiner, jüdische Kinder ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen Richtung zulassen.
Rabbi Tony Bayfield, Kopf der Reformbewegung, sieht das anders: »Es erschreckt mich, dass das Vorgehen, einige Menschen als Juden zu definieren und andere als Nichtjuden, als Rassismus ausgelegt werden könnte. Wenn der Prozess zur Folge hätte, dass diese Definition verboten werden sollte, würde das die jüdische Welt in Aufruhr stürzen.« Man würde dem Judentum die christliche Vorstellung überstülpen, dass Religion lediglich von metaphysischen Glaubenssätzen definiert werde, so Bayfield.
Das Judentum beruht auf festen Kriterien. Wer in diesem Sinne die Anwendung und Auslegung der Halacha, darunter die Definition, wer jüdisch ist, als religiöse, nicht rassische Angelegenheit anerkennt, entzieht dem Vorwurf der Diskriminierung den Boden. Denn nach dieser Auffassung fällt die Entscheidung, welcher Übertritt akzeptiert wird und welcher nicht, klar ins Ermessen der Schule. »Nur wenn beispielsweise Kinder mit einem jüdischen Vater denen vorgezogen werden, die überhaupt keine religiösen Wurzeln aufweisen, ist der Tatbestand der Diskriminierung erfüllt«, urteilte Schulrichter Philip Hunter. Denn hier fehle ein entsprechendes Gesetz.
Ob Diskriminierung oder nicht – das viel gepriesene weltoffene, tolerante Image jüdischer Schulen in England dürfte durch die Auseinandersetzungen erheblichen Schaden genommen haben. Und die Tochter der Lightmans wird bald zu alt sein für eine Aufnahme in die JFS.

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025