11. September

Der Kleinzwischenfall

von Henryk M. Broder

Am Abend des 11. September 2001 gab es im SFB wie jeden Dienstag die »Nachtgespräche mit Eugen Drewermann«, dem Moraltheologen und katholischen Querdenker aus Paderborn. Das Thema waren die Anschläge in den USA, warum es passiert war und was »wir« daraus lernen sollten. Zu Anfang der Sendung sagte Drewermann: »Wir erleben etwas, das vollkommen unmenschlich ist ... das hat eine Dimension des Terrors, die es noch nie gegeben hat, eine Skrupellosigkeit des Vorgehens, für die wir wirklich keine Worte haben.« Doch dann fand Drewermann die Sprache wieder und redete über die »Embargo-Politik« gegenüber dem Irak und deren Folgen: »Die UN haben geschätzt, daß etwa jeden Monat 3.ooo Menschen durch Mangelversorgung sterben, innerhalb von zehn Jahren addiert sich das zu der ungeheuerlichen Zahl von einer Million Menschen.« Dann erinnerte er die SFB-Zuhörer »an Hiroshima, als man mit einer einzigen Bombe ... über 1oo.ooo Menschen getötet hat«, und an Nagasaki, wo es »8o.ooo Tote in einer einzigen Sekunde« gab, »mit all den Folgen, und offensichtlich haben wir aus den Greueln nichts gelernt, ganz im Gegenteil, immer noch furchtbarer, noch skrupelloser, die Waffen noch systematischer, barbarischer, grausamer, aber das im Namen einer scheinbar geordneten staatlichen Legitimation ...«
Hätte man nicht gewußt, was am Morgen dieses Tages passiert war, wäre die Schlußfolgerung aus Drewermanns Worten gewesen: Die USA haben mit ferngelenkten Präzisionswaffen Riad oder Bagdad platt gemacht. So müssen es auch die Zuhörer verstanden haben, denn sie riefen im Studio an und überlegten gemeinsam mit dem diletierenden Theologen, wie man den USA in den Arm fallen könnte, um eine »Eskalation der Gewalt« zu verhindern. Nach einigem Hin und Her kam Drewermann auf die Ursachen des Terrors zu sprechen. »Terror ist die Waffe der Ohnmächtigen und deswegen rücksichtsloser, skrupel- loser, wenn man so will ... Wann lernen wir, die Sprache des Hasses als ein Betteln und Bitten darum zu verstehen, daß man sich auseinandersetzen müßte über die Gründe einer solchen menschlichen Entfernung. Es gibt keinen Haß ..., der etwas anderes wäre als eine enttäuschte Liebe, Menschen möchten dazu gehören, das ist der Sinn dieser ganzen irrsinnigen Aktionen ...«
So wie Drewermann agierten und reagierten viele. Nach einem kurzen Moment des Erschreckens wechselten sie das Thema, redeten nicht mehr von den Opfern, immerhin rund 3.ooo, sondern von den Nöten und Seelenqualen der Täter, die nur dazugehören wollten und aus enttäuschter Liebe handelten. Das Feuer in New York war noch nicht gelöscht, die Toten noch nicht geborgen, da hatte in der deutschen Öffentlichkeit, in den Medien wie auf der Straße, schon ein Rollentausch stattgefunden: Aus den Opfern der Anschläge wurden die Täter, aus den Tätern die Opfer.
Zwei Tage nach 9/11 fand im Berliner Haus der Kulturen eine Diskussion über das Thema »Terror – Gefahren für das Zusammenleben der Kulturen« statt. Der Abend mit »WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen« wurde zu einem Tribunal – nicht über den Terror, der das Zusammenleben der Kulturen gefährdet, sondern über die USA, die Verursacher des Terrors. Die Schriftstellerin Ulrike Draesner sagte: »Jemand, der Zivilisation für sich in Anspruch nimmt, indem er andere für Barbaren erklärt, kann nicht so sonderlich zivilisiert sein.« Die damalige Berliner Kulturse- natorin Adrienne Goehler erklärte, warum ausgerechnet das World Trade Center angegriffen wurde: »Ich bin ja von Hause aus Psychologin, und natürlich steht dieses World Trade Center nicht etwa für eine Zivilgesellschaft, sondern es sind die schlecht-hinnigen Symbole für Globalisierung, für Kapitalismus, für Weltmacht. Es ist ein Weltsymbol, und dieses Symbol wurde angegriffen.« Bedauerlich sei nur, »daß Menschen, die dort drin arbeiten, davon getroffen wurden, auch dann, wenn es sich um diese aggressive Symbolik handelt«. Zur »aggressiven Symbolik« der Türme, ergänzte Frau Goehler Minuten später, gehöre auch ihre »phallische« Form, worauf sie für diese Feststellung mit einem Lachausbruch im Saal belohnt wurde.
So ging es überall zu, landab, landauf. Die Experten für aggressive Symbolik, die Intellektuellen der Feuilletons und die Platzwarte der politischen Korrektheit waren sich einig: Man müsse sehr genau hinschauen und differenzieren, und auf keinen Fall dürfe man »Osama bin Laden gleichsetzen mit dem Islam, er hat mit dem Islam ähnlich viel gemein wie die Kreuzfahrer mit der Bergpredigt«, sagte der Nahostexperte Michael Lüders am 18. September bei Biolek und erklärte die »Haßgefüh- le« und die »Frustration« der Muslime mit ihrer »narzistischen Kränkung«, die der Westen durch seine Politik verursacht habe. Roger Willemsen war sich »nicht ganz sicher, ob das wirklich erschreckende Bilder waren«, er verspürte gar »in diesem Moment des Ernstes ein sublimes, ich will nicht sagen Vergnügen, ein sublimes Behagen daran, daß einen Augenblick gedacht werden darf,... und ich diesem Terror des Amüsements, der Albernheit nicht ausgeliefert bin« und verteidigte den Begriff »Antiamerikanismus« als »berechtigte Kritik an George Walker Bush«.
Die Tage und Wochen nach dem 11. September waren Harakiri-Zeit. Ein Vor- und Querdenker nach dem anderen redete sich um Kopf und Kragen – und niemand merkte es, denn so dachten alle: der einfache Mann auf der Straße, der sensible Intellektuelle an seinem Stehpult und der globalisierte deutsche Millionär mit Wohnsitzen in Potsdam, Monte Carlo und New York, Wolfgang Joop: »Ich bedaure nicht, daß das Symbol der Twin Towers nicht mehr steht, weil sie kapitalistische Arroganz symbolisierten«, sagte er dem Wiener Magazin Profil. Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk sprach von einem »Zwischenfall in amerikanischen Hochhäusern«, riskierte einen Blick auf die »Katastrophenlandschaft des 2o. Jahrhunderts« und stellte fest: »Der 11. September gehört da eher zu den schwer wahrnehmbaren Kleinzwischenfällen.« Ein Großzwischenfall wäre es wohl nur gewesen, wenn Sloterdijk zur Zeit der Anschläge in der Bar »Windows On The World« im 106. Stock des Nordturms gesessen hätte.
Ein Leser der »Welt« sah ausgleichende Gerechtigkeit am Werk: »Die Opfer nun mögen mir verzeihen, aber beim Anblick der zerstörten Gebäude Pentagon und Twin Towers huscht mir auch ein Lächeln über das Gesicht. Bislang haben die Amerikaner der USA immer nur Zerstörungen außerhalb ihres Landes angerichtet. Jetzt erfahren sie einmal selber, was es heißt, Opfer zu sein.« Die Hamburger PDS brachte die Stimmung im Lande in einem Flugblatt auf den Punkt: »So was kommt von so was.«

Capri

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