Neo-Nazis

»Der Feind steht rechts außen«

Herr Rautenberg, Sie sind Generalstaatsanwalt in Brandenburg. Ihr Land steht an der Spitze der Statistik rechtsextremistischer Straftaten. Was tun Sie?
rautenberg: Meine Staatsanwaltschaften räumen der Verfolgung derartiger Straftaten höchste Priorität ein. Das bedeutet, dass wir uns bemühen, schnellstmöglich zu reagieren und auf angemessene Sanktionen hinzuwirken. Ich persönlich engagiere mich seit vielen Jahren im brandenburgischen »Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit«, das auch meinen Essay »Schwarz-Rot-Gold: Das Symbol für die nationale Identität der Deutschen!« herausgegeben hat. Damit habe ich versucht, dem Nationalismus der Rechtsextremen einen Patriotismus der Demokraten entgegenzusetzen.

Dennoch ist die NPD gerade auf kommunaler Ebene bei Wahlen sehr erfolgreich.
rautenberg: Seit 1998 fordere ich ein Verbot der NPD. Politisch gibt es aber derzeit keine Mehrheit dafür, weil bei den Verantwortlichen die Meinung vorherrscht, es sei wichtiger, in den Führungsgremien der NPD V-Leute zu haben. Ein neuer Verbotsantrag würde aber, nach dem Scheitern des letzten, erfordern, dass man diese Spitzel abzieht. Ich meine, dass der Schaden gering wäre, wenn man sie abziehen würde. Das Entscheidende ist nämlich, dass der NPD als zugelassener Partei staatliche Mittel zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe sie ihr Gedankengut in der Öffentlichkeit verbreiten kann.

Könnte nicht nach einem Verbot ein rechtsextremer Untergrund entstehen?
rautenberg: Ich halte diese Gefahr für deutlich geringer als die der Propaganda. Solange die Zustimmung zur NPD noch unter der Fünf-Prozent-Hürde lag, hat man gesagt: Wir verbieten sie lieber nicht, denn so wird bei jeder Wahl deutlich, wie wenig Zuspruch sie erhält. Aber diese Zeiten sind lange vorbei. Die NPD sitzt in zwei Landtagen, und ich habe schon eine gewisse Sorge, dass sie es auch in die Landtage der anderen ostdeutschen Bundesländer schaffen könnte. Das muss verhindert werden.

Sehen Sie auch einen Handlungsbedarf auf Seiten des Gesetzgebers?
rautenberg: Ich begrüße ausdrücklich den Gesetzentwurf des Bundesrates zur sogenannten Hasskriminalität, der auf Initiative Brandenburgs und Sachsen-Anhalts beschlossen wurde. Danach soll im Strafgesetzbuch ausdrücklich geregelt werden, dass bei der Strafzumessung erschwerend zu berücksichtigen ist, wenn eine Straftat aus einer menschenverachtenden Motivation wie Rassismus heraus begangen worden ist. Leider gibt es dagegen im Bundestag Widerstand, den ich nicht nachvollziehen kann, zumal der Antirassismusausschuss der UNO diese Gesetzesinitiative ausdrücklich begrüßt hat. Man muss sich aber damit abfinden, dass die strafrechtliche Verfolgung rechtsextremistischer Parolen und Symbole durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit beschränkt wird und die Gerichte die Strafvorschriften eng auslegen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?
rautenberg: Wir haben so etwas bei der strafrechtlichen Bewertung des ersten Logos der in Brandenburg ansässigen Firma Thor Steinar erlebt, deren Kleidung von Rechtsextremen bevorzugt wird. Die Frage war, ob es einem NS-Symbol »zum Verwechseln ähnlich« sah und sein Zeigen in der Öffentlichkeit deshalb strafbar ist. Wir haben uns für eine Anklageerhebung entschieden, doch das Oberlandesgericht hat die Strafbarkeit verneint. Dieses Ergebnis und die Publizität des dazu führenden Verfahrens bewirkten leider einen großen Propagandaeffekt für die Firma.

Welchen Stellenwert haben nichtjuristische Maßnahmen für Sie?
rautenberg: Die sind besonders wichtig. Daher wünsche ich mir eine noch aktivere Zivilgesellschaft, die gegen den Rechtsextremismus agiert. Voraussetzung dafür ist aber, dass die demokratischen Parteien ihren Grundkonsens für die Bevölkerung sichtbarer machen, als dies bisher geschieht.
Warum geschieht das nicht?
rautenberg: Die Parteien sind darauf getrimmt, sich zu profilieren und ihre Unterschiede deutlich zu machen. Und dann kommen auch noch wahltaktische Erwägungen hinzu. Dabei vernachlässigen sie das Gemeinsame. Man sollte sich an die Weimarer Republik erinnern. Die demokratischen Parteien waren von Gegnern der Demokratie umzingelt und haben es nicht geschafft, die Idee der Demokratie zu verteidigen. Deshalb finde ich es verheerend, wenn man heute in bestimmten Fragen der demokratischen Grundordnung immer wieder das Trennende herausstellt und nicht in der Lage ist, das Gemeinsame zu betonen. Aus meiner Sicht ist das unser Hauptproblem. Dies hat sich zuletzt im Bundestag gezeigt, wo es nicht gelungen ist, zum 70. Jahrestag der Pogromnacht einen von allen Parteien getragenen Antisemitismus-Antrag einzubringen. Und dann haben noch nicht einmal alle Abgeordneten dem mühsam erarbeiteten Kompromisspapier zugestimmt.

Sie meinen die elf Abgeordneten der Fraktion Die Linke, die der Abstimmung am 4. November im Bundestag fernblieben?
rautenberg: Ja. Aber auch, dass die CDU/ CSU sich zuvor geweigert hat, gemeinsam mit der Linkspartei den Antrag einzubringen, sodass diese einen eigenen Antrag gestellt hat, der mit dem der übrigen Fraktionen inhaltsgleich war. Dahinter verbirgt sich, dass Teile der Union neuerdings die Linkspartei mit der NPD gleichsetzen. Im September hat bereits der Fraktionsvorsitzende der CDU im sächsischen Landtag, Steffen Flath, den im Januar 2005 auch mit der Linkspartei vereinbarten »Konsens der Demokraten« aufgekündigt. Er forderte, dass es künftig keine gemeinsamen Anträge mit der Linkspartei gegen die NPD mehr geben dürfe, weil beide Parteien extremistisch seien.

Gibt es in der Linkspartei keine extremistischen Tendenzen?
rautenberg: Die gibt es offenbar ebenso wie antiisraelische Tendenzen. Man mag die Linke auch wegen einer Mischung aus realitätsfernem Idealismus, DDR-Nostalgie und Populismus für koalitionsuntauglich halten. Aber das reicht nicht aus, die gesamte Partei und damit die Mehrheit ihrer Mitglieder als Extremisten abzustempeln. Es fehlt mir der Beweis dafür, dass die Linkspartei die Abschaffung der Grundrechte und der demokratischen Staatsform beabsichtigt.

Und die NPD?
rautenberg: Die leugnet die Gleichwertigkeit aller Menschen als Grundlage unserer Zivilisation, liebäugelt mit dem Führerstaat und knüpft damit an die Tradition der NSDAP an. Manche machen es sich zu einfach: Sie erklären nicht nur die Linkspartei zur Nachfolgepartei der SED und sehen keinen Unterschied zur NPD, sondern setzen auch die SED-Diktatur mit der NS-Diktatur gleich. Beides ist nicht hinzunehmen.

Man darf die beiden Diktaturen nicht miteinander vergleichen?
rautenberg: Natürlich darf man das, und sie haben durchaus Berührungspunkte, vor allem, wenn man die DDR-Geschichte während der stalinistischen Phase betrachtet. Aber es gibt eben auch gravierende Unterschiede. Insbesondere die Massenmorde der Nationalsozialisten sind singulär. Daher verbietet sich eine Gleichsetzung beider deutscher Diktaturen. Man darf die NS-Verbrechen nicht relativieren und die SED-Ver-
brechen nicht bagatellisieren. Ebenso fatal ist es, die Wähler der NPD und der Linkspartei in einen Topf zu werfen, womit Deutschland durch den Linksextremismus mehr als durch den Rechtsextremismus bedroht wäre.

Ist das denn die Position der CDU/CSU?
rautenberg: Nein. Aber das ist die letzte Konsequenz der Gleichsetzung von NPD und Linkspartei, die Teile der CDU vertreten. Es gibt in der Partei aber auch die Gegenposition, die von der Landtagsfraktion in Schwerin eingenommen wird. Dort agiert die CDU gemeinsam mit der Linkspartei erfolgreich gegen die NPD.

Und wenn diese Art der Zusammenarbeit nicht funktioniert?
rautenberg: Dann würde sich die Gleichsetzung von Linkspartei und NPD meines Erachtens in den ostdeutschen Bundesländern ebenso kontraproduktiv für die CDU auswirken wie ihre Rote-Socken-Kampagne im Bundestagswahlkampf 1994. Zudem wäre der Grundkonsens der Demokraten zerstört. Damit würden vor den Feiern zum 20. Jahrestag der Wende in der DDR wieder alte Gräben aufgerissen, und die Linkspartei würde zur Solidarisierung mit ihrem linken Rand genötigt werden. Dies ginge auch zu Lasten einer ehrlichen Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Die demokratische Linke in der alten Bundesrepublik musste sich während des Terrorismus der Roten Armee Fraktion damit abfinden, dass der Feind links außen steht. Die demokratische Rechte sollte heute akzeptieren, dass der Feind mit der NPD rechts außen steht.

Das Gespräch führten Katrin Richter und Martin Krauß

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