Duisburg

Darf’s nicht ein bißchen mehr sein?

von Runen Guttmann

»Darf es nicht ein bißchen mehr sein?«, fragt der Gemeindevorsitzende Jacques Marx rhetorisch. Es ist heute brütend heiß und auf der Veranda seines Hauses in Mülheim-Saam sorgt kein laues Windchen für Abkühlung. »Wir bemühen uns um jedes einzelne Gemeindemitglied, aber dennoch bleiben zu viele Bänke der Synagoge leer«, grummelt Marx. Da kann man einfach nichts tun als weitermachen.
Sein Spruch ist legendär. »Nach dem Krieg war das Fett in der Suppe einfach ein Muß. Und wenn einmal nicht genügend Fettaugen auf der Suppe schwammen, pflegte mein Vater meine Mutter zu fragen: »Darf es nicht ein bißchen mehr sein?« Marx erzählt von den Gottesdienstbesuchen in seiner Geburtsstadt Paris und von den vollen Synagogen. Das habe ihn beeindruckt und sei ihm besonders wichtig. Für den stolzen Großvater dreier Enkel ist Jüdischsein gleichbedeutend mit Zusammensein, mit dem Teilen einer Gemeinsamkeit. Dies ist das Vermächtnis seiner Eltern, eines Kaufmanns und einer Hausfrau. Marx betont: einer »jüdischen« Hausfrau. Das ist, was er nun der neuen Generation und den Zuwanderern aus Osteuropa vermitteln will.
Jacques Marx, am 29. Juli 1936 geboren, wurde zum Grenzgänger zwischen dem französischen Savoir-vivre und der familiär begründeten Verwurzlung mit der deutschen Kultur Goethes und Schillers und des Judentums. Die Okkupation überlebte Familie Marx versteckt in den Wäldern Frankreichs. Nach dem Krieg wuchs Marx im Saarland auf. Zum Militärdienst kehrte er nach Frankreich zurück. Sein Leben wurde zu einer Verkettung von Zufällen. Ausgerechnet durch einen Unfall der Mutter habe er seine spätere Frau kennengelernt.
In der französischen Armee war er Fahrer und Sekretär eines Militärrabbiners aus Marokko. Es wurden seine Lehrjahre, nicht nur der religiösen Praktik, »sondern vielmehr in die jüdische Weisheit und Philosophie, in Verständnis der Welt und der jüdischen und menschlichen Gemeinschaft«.
Zum Studium zog er nach Straßburg. Ganz im Sinne des Zeitgeistes besaß auch er das rote Parteibuch. Seine Teilnahme an der Protestbewegung Ende der 50er Jahre im innenpolitisch bewegten und vom Algerienkrieg zerrütteten Frankreich hinderte ihn, sein Pharmazie-Studium abschließen zu dürfen. Er wechselte die Rheinseite und machte in Freiburg sein Staatsexamen. Dort traf er einen Freund, der ihn überredete, ins Ruhrgebiet zu ziehen. Marx lebte in Gelsenkirchen-Buer und machte sich 1966 mit einer Apotheke in Mülheim an der Ruhr selbständig.
»Irgendwann las ich in der Zeitung vom Tod des damaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Salomon Lifschis. Von der jüdischen Gemeinde hatte er bis dato nichts gewußt. »Ich ging zur Beerdigung.« Die Mitglieder luden ihn prompt ein, Mitglied zu werden. Damals hatte die Gemeinde 60 Mitglieder, jeder kannte jeden.
Nachdem er wenige Jahre später in die Gemeindevertretung, dann in den Vorstand gewählt wurde, setzt er sich unermüdlich für die Belange der Gemeinde ein. »Offenheit, Toleranz, Transparenz« wurden zu den Leitbegriffen seiner Tätigkeit und zur Philosophie der Gemeinde. So hält er Orthodoxie und Liberalität unter dem Dach einer Gemeinde für möglich und sieht sich im Kampf gegen den Antisemitismus gut gerüstet. »Diesen besiegt man nur durch Ehrlichkeit und durch die Öffnung nach außen.« Alljährlich folgen Hunderte Duisburger unterschiedlichen Alters und Konfessionen den Einladungen zu Führungen in der Synagoge.
Als zu Beginn der 90er Jahre der Eiserne Vorhang fiel, wuchs die Gemeinde auf 2.800 Mitglieder an. »Ein Neubau wurde einfach notwendig. Ich begann mit den Städten über die Möglichkeit der Finanzierung zu verhandeln«, erinnert sich Jacques Marx. Seine langjährige Kontaktpflege und Offenheit sollten sich jetzt auszahlen, seine Bitten stießen auf offene Ohren. 1999 wurde der Neubau mit dem Grundriß einer ausgestreckten Hand eröffnet. Trotz dringenden Rats der Ärzte, den Gemeindevorsitz, seine Ämter im Landesverband von Nordrhein und im Direktorium des Zentralrats niederzulegen, hat er dem Drängen der Gemeindemitglieder ein letztes Mal nachgegeben und sich erneut zur Wahl gestellt. Jetzt feiert er seinen 70. Geburtstag. Da kann man doch sagen: »Darf es nicht ein bißchen mehr sein?

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