Neonazis

Braune Gefahr

von Wladimir Struminski

Als die Beter am vergangenen Donnerstagmorgen die Große Synagoge von Petach Tikwa betraten, verschlug es ihnen den Atem. »Es gab nicht eine einzige Wand ohne Hakenkreuzschmiererein«, berichtete Awraham Dolberg, Vorsitzender des Synagogenvorstands. Auch die Aufschrift »Hitler« und mehrere christliche Kreuze prangten an mehreren Stellen des Gotteshauses. Bücherregale, Sitze, Bodenfliesen und der Teppichboden – selbst heilige Bücher waren entweiht worden. Die Täter, die in der Nacht in die Synagoge eingedrungen waren, hatten sich für ihr Werk viel Zeit genommen und keine Mühe gescheut, um ihren Judenhaß gründlich zu dokumentieren. »Und das zehn Tage nach dem Holocaust-Gedenktag«, klagte Stadtratsmitglied und Synagogenbesucher Jaakow Pelheimer. Unter diesen Umständen, das NS-Symbol vor Augen, wollten die Gläubigen den Gottesdienst nicht abhalten und kehrten erschüttert um.
So groß die Erschütterung war – eine wirkliche Überraschung war der Nazivandalismus nicht. »Es ist bekannt, daß es in Petach Tikwa – und nicht nur dort – Gruppen von russischen Neonazis gibt«, erklärt Salman Gilitschenski. Gilitschenski ist bei der gemeinnützigen Vereinigung Damir tätig, die NS-Aktivitäten in Israel dokumentiert. Nach seinen Schätzungen gibt es im Land mehrere Hundert Olim, die der russischen Variante des Nationalsozialismus frönen. Es handelt sich um Nichtjuden, die als Familienangehörige von Juden oder von Personen teiljüdischer Abstammung im Rahmen des israelischen Rückkehrgesetzes ins Land gekommen sind.
In ideologischer Hinsicht, so Professor Robert Wistrich, Leiter des Internationalen Vidal-Sassoon-Zentrums für Antisemitismusforschung an der Hebräischen Universität in Jerusalem, gegenüber der Jüdi-
schen Allgemeinen sind die israelisch-russischen Nazis ein Ableger der NS-Gruppen in Rußland selbst. »Es handelt sich um extreme russische Nationalisten, die die Symbole und den antisemitischen Aspekt des Nationalsozialismus übernommen haben«, erklärt der renommierte Historiker. Angesichts der engen Kontakte zwischen Rußland und der russischsprachigen Bevölkerung in Israel schwappt das braune Gedankengut leicht herüber. Videokassetten wie »Britogolowyje idut« (die Skinheads kommen) lassen sich in einschlägig spezialisierten Immigrantenläden in den Hinterhöfen der Tel Aviver Allenby-Straße und an vielen anderen Orten problemlos besorgen. Auch Bücher, die den Holocaust verneinen, sind leicht zu haben. Der Sympathisantenkreis der aktiven Nazis wird auf Tausende von Menschen geschätzt.
Die selbsternannten Nazis – meistens jung, oft minderjährig – sorgen immer wieder für Schlagzeilen. So etwa der Sergeant der Golani-Infanteriebrigade, Ilja Zolotov, der eine israelische NS-Website ins Netz stellte. Oder Wladimir Tornorudski, der während seines Wehrdienstes wegen einer Hakenkreuztätowierung auf dem Oberarm auffiel. Medienberichten zufolge wurde in seiner Wohnung umfangreiches NS-Material gefunden. Die israelisch-russischen Nazis nehmen aktiv an NS-Foren im Internet teil. Schmierereien gehören ebenfalls zum Alltag. Nur zwei Tage nach der Synagogenschändung in Petach Tikwa wurde auch eine Schule in der Stadt mit Hakenkreuzen beschmiert. Auch Gewalttätigkeit ist keine Seltenheit. Im vergangenen Jahr überfiel eine Gruppe junger Russen einen Studentenklub in Karmiel und schlug mehrere Besucher zusammen. »In Israel gibt es eine weitverbreitete Nazibewegung«, konstatierte denn auch die Tageszeitung Maariv.
Die Polizei sieht dennoch keinen Grund zu übermäßiger Sorge. Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen erklärte ein Polizeisprecher: »Es handelt sich um keine Erscheinung, sondern um Einzelfälle. Jeder Vorfall wird auf der nachrichtendienstlichen wie der operativen Ebene mit Ernsthaftigkeit und Empfindsamkeit behandelt.« Das sieht Aufklärer Gilitschenski ganz anders. »Das Problem wird unter den Teppich gekehrt, weil es so peinlich ist.« Auch Immigrantenpolitiker, so der Aktivist, haben kein Interesse, das Problem anzupacken: »Sie haben Angst, eine ganze Bevölkerungsgruppe zu stigmatisieren.« Wie ernsthaft die Polizei und andere Sicherheitsorgane das Nazi-Problem angehen, läßt sich von außen schwer beurteilen, doch gibt es durchaus alarmierende Zeichen. So etwa, klagt Gilitschenski, wurde der Neonazi Zolotov von der Armee lediglich mild bestraft, durfte aber seinen Dienst fortsetzen. Turnorudski wiederum wurde als »seelisch unausgeglichen« aus der Armee entlassen – ohne weitere Sanktionen. In einem Fall wurde ein Luftwaffentechniker als Nazi ausgemacht – in der Waffengattung, die ihre Soldaten wegen der hohen Anfälligkeit für Spionage und Sabotage besonders streng aussiebt, ein seltsamer Vorgang. Das Gefahrenpotential ist auch deshalb besonders groß, weil die jungen Extremisten in der Armee dienen und damit Zugang zu Waffen und anderem Kampfmaterial haben. Gilitschenski warnt: »Falls russische Nazis beschließen, einen Terroranschlag auf Juden zu verüben, können die Folgen verheerend sein.«

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