von Christine Schmitt
Die Hitler-Karikaturen in den Skizzenbüchern hatte seine Mutter ausradiert. »Das hat sie natürlich als Vorsichtsmaßnahme gemacht. Die Karikaturen von Stalin und Mussolini und den Zionisten hat sie stehen gelassen«, sagt Wolfgang Hirsch und schmunzelt. Entspannt sitzt der schmächtige 84-Jährige in einem Sessel in seinem Wohnzimmer und macht den Fernseher aus. Er hatte gerade eine Sendung über Apfelbauern im Alten Land gesehen. »So etwas interessiert mich«, sagt der Künstler.
Die meisten seiner Werke sind nicht ausradiert, sondern hängen in den früheren Praxisräumen seiner zweiten Frau – bei ihm im Haus in Pinneberg bei Hamburg. Allerdings sind etliche auch verkauft oder in Schweden geblieben, wo er früher gelebt hat.
Derzeit sitzt er viel am Computer und sortiert seine Galerie auf seiner Website. »Ich räume hinter mir auf«, nennt er seine Tätigkeit. Denn er möchte, dass seine Bilder – überwiegend in Aquarell- und Gouachetechnik gemalt – nicht mehr länger im Wartezimmer hängen, sondern verkauft werden. Der Erlös soll an den Jüdischen Natio- nalfonds (KKL) gehen. »Ich wäre glücklich, wenn von diesem Geld Bäume in Israel wachsen.« Das wäre sein größter Wunsch.
Er hatte ein reiches Leben, sagt er über sich selbst. Nun sei er zwar »satt an Jahren« und etwas schwach bei Puste, aber er müsse noch die letzten zehn Bände von Marcel Proust lesen und er sei überhaupt neugierig, wie es weitergeht. »Ich finde das Leben spannend.« Und natürlich auch, ob sein Wunsch in Erfüllung geht und Israel mit dem Erlös aus seinen Bildern weiter begrünt wird.
Schon als kleines Kind ziehen ihn Stifte magisch an, und er zeichnet gut und gerne. Seine Verwandten amüsieren sich über die Karikaturen, auf denen sie sich selber wiederfinden, doch die Lehrer einer Berliner Grundschule ziehen ihm die Ohren lang. »Da ich nicht sehr gesprächig war, hielten mich meine Angehörigen für ein bisschen zurückgeblieben, bis sie dann meine Zeichnungen sahen«, sagt Hirsch.
Wolfgang Hirsch ist wenige Monate alt, als sich seine Eltern trennen. Zusammen mit seinem Bruder bleibt er in seiner Geburtsstadt bei Greifswald. Seine Mutter geht mit seiner Schwester nach Berlin zurück. Doch als sein Vater eine andere Frau kennenlernt, werden auch er und sein Bruder nach Berlin geschickt. In der Synagoge Oranienburger Straße feiert er seine Bar Mizwa und besucht die Schule an der Großen Hamburger Straße.
Als 15-Jähriger kommt er mithilfe der Jugendaliyah nach Dänemark. Das ermöglicht seiner Mutter, zu seiner Schwester nach England auszuwandern. Sein Bruder emigriert nach Palästina. Seine Familie ist zerstreut. »Da habe ich das letzte Mal geweint – zumindest für eine lange Zeit.«
In Dänemark arbeitet Wolfgang Hirsch als Pflegekind bei einem Bauern, der sehr freundlich zu ihm ist. »Aber ich war trotzdem so unglücklich, dass ich fliehen wollte.« Also nimmt er das Fahrrad und will nach Palästina radeln, unterwegs wird er allerdings gefasst und kommt für drei Monate ins Kopenhagener Gefängnis.
Ans Malen kann er in dieser Zeit nicht denken. Erst in Schweden, wo er nach seiner zweiten Flucht landet, »kommt es mit aller Macht wieder«. Er arbeitet in einer Keramikfabrik in Uppsala und übernimmt dort zunächst einfache Arbeiten und schleppt Kübel mit Lehm. Aber: »Es gab einen Malersaal, und da zog es mich hin.« Bald darf er kleine Tierchen kneten, die für die Verzierungen von Aschenbechern gebraucht werden. Aber was viel wichtiger für ihn ist: Er bekommt einen Malkasten geschenkt.
1948 erhält er an der Fachhochschule für Kunstgewerbe in Stockholm einen Studienplatz, um sich in dekorativer Malerei ausbilden zu lassen. Stadtbilder auf Öl. Damit verdient er so viel Geld, dass er seine Frau und seine zwei Kinder ernähren kann. Doch dann »wurde meine Malerei immer persönlicher und damit schlechter zu verkaufen«. Aber er will sich nicht verbiegen. Er möchte keine gefälligen Bilder malen, um seine Familie durchbringen zu können. Der Beruf des Malers wäre ihm sonst wie jeder andere erschienen. »Dann hätte man auch Heringe verkaufen können.«
Mittlerweile geht seine Frau arbeiten, während er zu Hause malt und Kinder hütet. »Das passte mir nicht.« Also wird er aktiv und bewirbt sich im Verlagshaus Albert Bonnier als Archivar und wird eingestellt. Zum Malen hat er keine Muße mehr. Als sein Bruder Gerhard Hirsch sich das Leben nimmt, zieht es ihn nach Deutschland zurück. Das war Anfang der 70er-Jahre. Auch seine beiden Kinder sterben in dieser Zeit, von seiner Frau lässt er sich scheiden. Mit der Witwe seines Bruders freundet er sich an, und sie merken, dass sie vieles verbindet. 34 Jahre lang leben sie zusammen – bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren.
In den 70er-Jahren bekommt er in der Jüdischen Gemeinde Hamburg eine Stelle in der Bibliothek. Unter anderem hilft er auch bei der Chewra Kaddischa. Bei jedem Begräbnis muss er dabei sein – das kann er nicht ertragen. Ihm wird gekündigt. »Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können«, sagt er heute. Denn er beginnt wieder zu malen. Er habe immer das Gefühl gehabt, dass »noch ein Funken unter der Asche glimmt«.
»Ich hatte meine Sprache wiedergefunden nach einer Zeit, in der ich wie in einer Art Vakuum gelebt hatte, die mich nötigte, selbst das Weinen zu verlernen.« Die Idee komme mit dem ersten Pinselstrich. »Beim Malen verlasse ich mich auf meine Eingebung«, so Hirsch. Es sei so ähnlich, wie wenn man Wolken anschaut und so langsam Bilder entstehen. »Ich weiß nicht, wie es ausgeht.« Wie einer seiner Wünsche ausgeht, weiß er: Die Jüdische Galerie Berlin hat zugesagt, seine Bilder auszustellen. In diesem Jahr sei sie zwar ausgebucht, aber 2009 werden die Bilder von Wolfgang Hirsch dann zu sehen und zu kaufen sein.