Ariel Scharon

Auf den Weg gebracht

von Sylke Tempel

Es mangelte nicht an den üblichen propagandistischen Seitenhieben. Solle Ariel Scharon doch leiden, hieß es in einer Reportage über eine Überlebende des Massakers von Sabra und Schatila im arabischen Fernsehsender Al Dschasira. Elie Houbeika, Anführer der christlichen Miliz, die in jenen zwei Tagen im September 1982 Hunderte Palästinenser ermordete, wurde hingegen nicht erwähnt. In der arabischen Welt findet es ja bis heute auch niemand beschämend, daß Houbeika »Minister for Displaced Persons« werden konnte und nie vor ein Gericht gestellt wurde. Im Gasastreifen verteilten Kinder nach den ersten Nachrichten über Scharons Hirnschlag Süßigkeiten – als Ausdruck der Freude. Das staatliche Radio Syriens konnte sich, ebenso wie die Hamas im Gasastreifen, einiger Kommentare über den »Schlächter von Beirut« nicht enthalten.
Schwamm drüber, möchte man fast sagen. Jene in der arabischen Welt, die im lebensbedrohlichen Gesundheitszustand des israelischen Premiers nur einen Anlaß zum Jubeln sahen, gehören zu den hoffnungslos verblendeten Fraktionen des Nahen Ostens. Sonst aber – wer hätte das nach Jahren der hemmungslosen Verteufelung des israelischen Premiers vermutet – überwog der Schock über das Ende der Ära Scharon. Es sei leider nicht garantiert, daß ein Nachfolger ebenso mutige Entscheidungen treffen könne, sorgte sich die Beiruter Tageszeitung Daily Star. Man hoffe doch generell, daß der Friedensprozeß damit nicht zu einem Halt käme, ließ Jordaniens König Abdullah verlauten. Scharon habe sich von einem Feind zum »Friedenspartner« gewan- delt, sprach ein ägyptischer Kommentator in das Mikrofon der britischen BBC. Nicht so sehr die innenpolitischen Spekulationen, wie die von Scharon neu gegründete Partei Kadima bei den nächsten Wahlen abschneiden könnte, sind für die Zukunft des Nahen Ostens ausschlaggebend, sondern das, was bereits jetzt als vermutlich unveränderbare politische Hinterlassenschaft Scharons gelten darf: der Sicherheitszaun und der Abzug aus Gasa.
Die Räumung von Gasa war nicht nur ein politisches Meisterstück Scharons und eine logistische Glanzleistung der israelischen Armee. Der Premier, langjähriger Schutzherr der Siedler, erschütterte auch eine Bewegung in den Grundfesten, die sich immer als letzte Wahrer des Zionismus verstanden hatte. Das stellte sich als gefährlicher Irrtum heraus. Die Mehrheit der Israelis empfindet sie als Bedrohung der israelischen Sicherheit – und dieser Mehrheit mußten sie sich zum ersten Mal seit 1967 beugen. Ihren Lebenskampf haben sie damit verloren. In Zukunft wird es höchstens um die Annexion einiger Siedlungsblöcke in der West Bank gehen. Der Traum aber, den Rückzug aus den besetzten Gebieten gänzlich verhindern zu können, ist endgültig ausgeträumt.
Scharons sichtbarster Nachlaß schlängelt sich, wenigstens im Süden der West Bank, dicht an der Waffenstillstandslinie von 1967 entlang. Ohne Frage ist der Verlauf des Sicherheitswalls im Norden höchst problematisch, weil er in manchen Teilen tief in die West Bank einschneidet. Aber mit dem Zaun konstatiert Israel deutlich sichtbar, daß die West Bank nicht zum Kernland gehört. Selbst, wenn ein extremer Hardliner in das Amt des Ministerpräsidenten geraten würde, ist klar: Eine Wiederbesetzung der West Bank ist unmöglich.
Es kommt also ganz auf die arabischen Nachbarn, vor allem die Palästinenser an. Palästinenser-Präsident Machmud Abbas schafft es nicht, den Milizen Einhalt zu gebieten. Die Milizenführer wiederum verfolgen schon lange keine nationale Agenda mehr, sondern mafiöse Einzelinteressen. Hamas dürfte bei den Wahlen bestens abschneiden und ihre Politik einer jetzt noch schleichenden, danach vermutlich immer offener betriebenen Islamisierung fortsetzen (vgl. S. 11). Daß sie sich plötzlich moderat geben und als Voraussetzung für Verhandlungen das Existenzrecht Israels aner- kennen würde, ist wohl illusorisch.
Der Schutzwall wurde also zur richtigen Zeit gezogen. Denn »Palästina« dürfte unter Abbas womöglich weiter zerfallen – ein »Failed State« bevor er Staat wurde. In diesem »Staat« könnte niemand schwierige Entscheidungen treffen oder gar die Einhaltung von Verträgen garantieren. Oder es wird ein islamischer Staat, der sich in Angriffen auf das Nachbarland erschöpft. Der Bau des Sicherheitszauns schreit gerade nach einem weiteren Rückzug auch aus der West Bank. Denn was hätten die Israelis in einem »Failed State Palestine« verloren? Nichts. Und genau diesen Rückzug wünscht eine Mehrheit der Israelis. Der Weg wurde vorgezeichnet. In einer Demokratie wie Israel könnte ihn fast jeder Nachfolger auch gehen.
Ein Großteil der arabischen Welt scheint diese Lebensleistung Scharons anzuerkennen und einen unilateralen Rückzug aus einem Großteil der besetzten Gebiete zu akzeptieren. Der andere Teil ist weder mit Geld noch mit guten Worten zu gewinnen. Gegen sie kann man sich nur schützen und verteidigen. Ein Sicherheitswall ist nicht das schlechteste Instrument dafür.

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025

Frankfurt am Main

Michel Friedman will nicht für TikTok tanzen

Es handle sich um eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreite, sagt der Publizist

 28.08.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025

Nahost

Alabali Radovan besucht Palästinensergebiete: Hilfe im Fokus

Die Entwicklungsministerin will in Tel Aviv diese Woche Angehörige von Geiseln treffen und das Westjordanland besuchen

 25.08.2025

Würzburg

AfD-Mann Halemba wegen Volksverhetzung vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft wirft dem bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Halemba auch Geldwäsche und Nötigung vor

von Angelika Resenhoeft, Michael Donhauser  21.08.2025