Marathonstrecke

48.000 Mizwot auf 42 Kilometern

von Sabine Brandes

Auf israelischem Boden zu gehen ist eine Mizwa. Rennen zählt doppelt. Kein Wunder, daß die Fangemeinde der Langstreckenläufe stetig wächst. Doch die erfüllten Gebote sind für die meisten Teilnehmer sekundär. Sie laufen für sich selbst. Wer möchte nicht von sich sagen können, einmal am tiefsten Punkt der Erde beim Halbmarathon dabeigewesen zu sein? Oder gar die legendären 42,195 Kilometer auf den Spuren Jesu – und sei es lediglich der Historie wegen– erfolgreich gemeistert zu haben?
Der einzige komplette Marathon im Heiligen Land findet jedes Jahr in und um Tiberias am See Genezareth statt. 750 Läuferinnen und Läufer schnürten beim 29. Lauf vergangene Woche ihre Schuhe fest. Mit 197 Metern unter dem Meeresspiegel ist dies der tiefste Marathon der Welt. Es geht eine 2.000 Jahre alte Route entlang, vom West- bis zum Ostufer und zurück. Eine Durchschnittstemperatur von 15 Grad um neun Uhr morgens bietet ideale Voraussetzungen. Die traditionelle Pasta-Party am Abend zuvor soll reichlich Energie für die zehrenden Schritte bringen.
Ein Marathon in Israel ist jedoch nicht so wie in anderen Teilen der Welt. Ob der Weg entlang des Sees Genezareth führt, die Salzsäulen am Ufer des Toten Meeres am tiefsten Punkt der Erde kreuzt oder einmal quer durchs Land verläuft: Die Strecken sind nicht nur malerisch, sondern auch historisch gesehen so reich, daß den Läufern manches Mal allein wegen der Bedeutung des Bodens ganz schwindelig wird. »Es ist schon irre, wenn man bedenkt, daß man beim Eilat-Halbmarathon von einem Ende des Landes zum nächsten rennt«, sagt Lior Abitan, Marathon- und Triathlon-Athlet. Das Rennen im Süden des Landes beginnt an der jordanischen Grenze und endet an der ägyptischen.
Noch sind die Teilnehmerzahlen relativ niedrig. Statt 7.000 stehen in Israel um die 700 Frauen und Männer am Start. »Da kann man noch atmen«, sagt Abitan. Doch die Zahl steigt stetig. Gelaufen wird im Winter, im Sommer ist es bei 35 und mehr Grad im Schatten einfach zu heiß. Für gläubige Teilnehmer ist ein Lauf auf Heiliger Erde eine besonders himmlische Erfahrung. Die Statistik eines Tora-Gelehrten, der vor einigen Jahren am Tiberias-
Marathon teilnahm, brachte Erstaunliches zutage. Die Weisen sagten, eine Elle in Israel zu gehen sei bereits eine Mizwa, ein erfülltes Gebot. Das biblische Längenmaß Elle beträgt 0,4572 Meter. Umfaßt die Rennschrittweite etwa vier Ellen, erfüllt man demzufolge auf einem Kilometer mehr als 560 Gebote. Für den ganzen Marathon macht es 24.000 Gebote. Doch weil Rennen besser ist als Gehen, kann man bei einem ganzen Marathon mit 48.000 Mizwot rechnen. Wen kümmern da noch die Schmerzen in den Beinen?
Die überwiegende Masse braucht zwischen drei und vier Stunden, um anzukommen, professionelle Läufer wie John Rotich, der diesjährige Gewinner aus Kenia, schaffen es in etwas mehr als zwei Stunden und fünfzehn Minuten. Für viele jedoch ist das Dabeisein so gut wie alles. »Es ist diese besondere Gruppenerfahrung, die mich immer wieder dafür begeistert«, sagt Ran Levi, der die Ziellinie hinter sich gebracht hat. »Ja, du spürst jeden einzelnen Muskel in deinem Körper, Füße und Beine schmerzen fürchterlich. Aber du weißt genau, den anderen geht es ebenso. Und sie alle laufen aus demselben Grund: Weil sie es lieben.«
Lior Abitan liebt seine Familie. Der Mann aus der Nähe von Tel Aviv hat zwei Töchter. Achinoam ist fünf Jahre, Aya 15 Monate alt. Vor zwei Jahren wagte der Werbegestalter den Schritt in die Selbständigkeit. Besonders am Anfang sei das purer Streß. Arbeit bis spät in die Nacht, zu viele Termine, Enttäuschungen. Doch der 37jährige hat einen Weg gefunden, den Ärger abzubauen und sich »den Kopf freizupusten«, wie er sagt. Abitan läuft und läuft und läuft. »Damit lasse ich den Streß auf der Strecke und bringe ihn nicht mit nach Hause.« Wenn er den toten Punkt überwunden hat, das Herz in einem gleichmäßigen Takt schlägt, komme für ihn die Zeit, in der sein Kopf völlig frei ist. »Das Laufen geht dann wie von selbst, ich kann mich ganz auf die Gedanken konzentrieren. Auf diese Art habe ich schon einige Probleme gelöst, privat wie beruflich.«
Während der Vorbereitungen auf einen Wettkampf trainiert er fünfmal die Woche, in der Nebensaison dreimal. Abitan läuft seit zehn Jahren regelmäßig, seit drei Jahren nimmt er an Wettkämpfen teil. Natürlich sei das viel Zeitaufwand, räumt er ein. »Doch meine Familie profitiert davon. Durch den Sport bin ich ein ausgeglichener Mensch.« Kann er mal zwei, drei Tage seine Laufschuhe nicht anziehen, beginne es zu kribbeln. Nach vier Tagen sei er nervös und unleidlich. »Damit falle ich in die Kategorie ›süchtig‹, oder?«, fragt der drahtige Mann und lacht. »Aber ehrlich gesagt kann ich mit dieser Sucht prima leben.«
Zvi Himmelman aus Jerusalem läuft auch. Für andere. Mit jedem Kilometer sammelt er Geld für Bedürftige. »Davon profitieren die Menschen – und ich natürlich auch«, ist er überzeugt. Himmelmann weiß, daß der Ausblick auf eine prall gefüllte Zedaka-Büchse bester Ansporn ist. Bereits im vergangenen Jahr startete er beim Tiberias-Lauf für Menschen in Not und bekam 8.000 US-Dollar (etwa 6.600 Euro) zusammen. »Es war ganz einfach«, sagt der Mann, der aus Chicago stammt, »ich habe Freunde und Bekannte gebeten, für jeden von mir gelaufenen Kilometer zu spenden. Meine Frau und ich haben am Ende 1.000 Dollar draufgelegt, so kam die schöne Summe zusammen.« Über Himmelmans sportlichen Ehrgeiz freuen sich jetzt Überlebende von Terroranschlägen und ein Kindergarten in Jerusalem.

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