Die deutsche Nachkriegsgeschichte, insbesondere die der jüdischen Flüchtlinge, ist bisher meist nur aus westdeutscher Perspektive untersucht, verbreitet und an die jüngeren Generationen weitergegeben worden. Das erklärten am vergangenen Wochenende in Berlin zum Auftakt des Projektes »Kriegskinder – Lebenswege bis heute« dessen Initiatoren. »Aus Geschichten Geschichte machen« lautet das Ziel ihrer Arbeit.
Die Initiative des Anne Frank Zentrums arbeitet eng mit der Bundeszentrale für politische Bildung zusammen und wird vom Bundesministerium des Inneren im Rahmen des Bundesprogramms »Zusammenhalt durch Teilhabe« gefördert. Exemplarisch soll das Projekt nun in den drei Städten Schwedt, Saalfeld und Strelitz durchgeführt werden.
Geschichte Besonders die individuelle und lokale Geschichte soll dabei erzählt werden. »Wir müssen alte Narrative hinterfragen«, so der Projektleiter Timon Perabo. »Die eigene Geschichte vor Ort zu erleben«, sei ein wichtiger Schritt für Schüler und Jugendliche, um Geschichte zu verstehen und sich ihrer eigenen Identität zu nähern. Für eine derart detaillierte Betrachtung der Lokalgeschichte sei eine Einbindung örtlicher Akteure von zentraler Bedeutung, betont Ute Seckendorf, Leiterin der Regiestelle »Zusammenhalt durch Teilhabe«.
Neuartig an dem Programm ist neben der besonderen Perspektive auch die geforderte Vielfalt der Methoden. So will sich das Stadtmuseum in Schwedt mit einer Ausstellung zum Thema Kriegskinder beteiligen und bietet an, Zwischenstände der Projekte zu dokumentieren. In Saalfeld arbeitet man schon an einer Sendereihe auf dem offenen Bürgerkanal, in der Interviews mit lokalen Zeitzeugen ausgestrahlt werden sollen. Auch Schulen und Seniorenzentren wurden bereits angeschrieben.
Unterschiede »Wir müssen den Spagat zwischen den Generationen wagen«, erklärt ein Teilnehmer aus Strelitz. Auch wenn der Dialog zwischen den Generationen, aufgrund der unterschiedlichen Lebenserfahrung, nicht ausgeglichen sein kann, ist es doch eine Erleichterung für viele ältere Menschen, ihre Erfahrungen zu teilen.
Das zumindest zeigen die bisherigen Erfahrungen in der Arbeit an den verschiedenen Unterprojekten. Und tatsächlich kommen immer mehr »Kriegskinder« freiwillig aus der Reserve und sprechen über ihre Erlebnisse. Das soll auch in mehreren sogenannten Erzählcafés genutzt werden. In Saalfeld ist geplant, überall in der Stadt historische Stätten zu markieren und mit Infotafeln zu versehen. Entlang dieser Hinweise bestünde die Möglichkeit zu historischen Stadtrundgängen zur Thematik von Krieg, Flucht und Vertreibung. »Vielleicht können Zeitzeugen sogar an den Orten ihrer Erinnerung von ihren Erlebnissen erzählen«, schwärmt ein Saalfelder.
Projekte Mehrere Schultheater und Projektwochen für Schüler sind bereits in Planung. So könnten sie aktiver mit Geschichte umgehen und dadurch vielleicht die Programme der Bundesregierung zu ihren eigenen machen. An dieser Stelle sind manche Teilnehmer skeptisch. Wie sollen und können Schüler mit Senioren umgehen? »Nicht alle Menschen dieser Generation waren Widerstandskämpfer«, drückt es einer der Anwesenden vorsichtig aus. Ein anderer spricht von »rückfälligen Rentnern«.
Um im Umgang mit derlei Schwierigkeiten geschult zu werden, trafen jetzt bei der Auftaktveranstaltung die Leiter der verschiedenen lokalen Vereine und Organisationen auf erfahrene Profis aus dem Umfeld der Bundeszentrale für politische Bildung, die den Teilnehmern bei den Schwierigkeiten und Besonderheiten der Erinnerungs- und Aufarbeitungsarbeit halfen. Dazu gehören Interviewtrainings, theoretisches Hintergrundwissen und praktisches Handwerkszeug.
Dabei wird klar, wie viel Aufwand in die Betreuung der Projekte gesteckt werden muss. Um keine »falschen Perspektiven« fortzuschreiben, muss den Schülern ein kritischer Umgang mit Zeitzeugen nahegebracht werden.
Immer wieder stoßen die Initiativen auf Schwierigkeiten. Wer sich zu sehr auf die Rentner konzentriere, rede an den Jugendlichen vorbei, und wer die Jugendlichen anlocken wolle, vergraule die Rentner, fasst es eine Organisatorin zusammen. Der Spagat zwischen den Zielgruppen wird eine der größten Herausforderungen der Projekte sein, glaubt auch Ute Seckendorf, die schon viele derartige Programme betreut hat. »Dennoch wird es ein spannender Weg für alle Beteiligten«, ist sie sich sicher. Eine Frau seufzt: »Ein weiter Weg, der das Projekt lange überdauern wird.«