Liturgie

Zurück zu den Wurzeln

War Louis Lewandowksi (1821–1894) ein Workaholic? Der Verdacht liegt nahe, wenn man sich das umfangreiche Werk des deutsch-jüdischen Komponisten ansieht, dessen Verdienst es ist, den Gottesdienst reformiert und geöffnet zu haben. So hat Lewandowski manche liturgischen Texte nicht nur einmal, sondern mehrfach vertont, darunter auch »Tow L’hodoss« (»Schön ist es, dem Ewigen zu danken«), den Psalm 92 aus der Freitagabendliturgie.

Dieses Stück erklang gleich viermal am vergangenen Sonntag beim Abschlusskonzert des 7. Louis Lewandowski Festivals in der Synagoge Rykestraße – immer in einer anderen Tonart, gesungen von jedem der vier internationalen Chöre. So wurde schon zum Konzertauftakt Lewandowskis Vielfältigkeit demonstriert. »Icke und der Rest der Welt« hieß die siebte Ausgabe des Festivals, das diesmal ausschließlich Lewandowski gewidmet war – so wie schon bei der Premiere 2012. Zurück zu den Wurzeln also.

reinbeckhallen Alle Konzerte der fünftägigen Veranstaltung waren sehr gut besucht, stellte Festivaldirektor Nils Busch-Petersen zufrieden fest. Die Synagogen waren voll, ebenso die Potsdamer Nikolaikirche, die zum ersten Mal als Veranstaltungsort hinzukam, und die Krankenhauskirche Wuhletal. Einer der Höhepunkte war für den Festivaldirektor das Konzert in den Reinbeckhallen.

Die schwarze Konzertkleidung hatten die Sänger zu Hause oder im Hotel gelassen. Stattdessen traten sie in Jeans und Pullover in den historischen Hallen des ehemaligen Berliner Elektrokonzerns AEG in Oberschöneweide auf, der im 19. Jahrhundert von dem jüdischen Industriellen Emil Rathenau gegründet worden war.

Die Chöre aus Kiryat Tivon, Jerusalem, London und Berlin traten gemeinsam auf und luden das Publikum ein, mitzusingen. So habe sich laut Busch-Petersen »ein spontaner Synagogenchor gebildet«. Das Kulturgut sei somit »über die Synagoge hinaus in die Breite« gegangen. Was die Sänger neben dem gemeinsamen Auftritt ebenfalls zu schätzen wussten, war die Zusammenarbeit mit Experten aus Israel und den USA, die von den Organisatoren eingeladen worden waren, um mit den Chören zu arbeiten.

finale Beim Finale wurde zu Beginn und am Ende des Konzerts stereo gesungen, denn das Ensemble der Jerusalem A-Cappella Singers sowie die Sänger des Tivon Israel Chamber Choir, des Londoner Zemel Choir, des Synagogal Ensembles Berlin und des Jugendchors der Synagoge Pestalozzistraße standen an verschiedenen Orten der Synagoge und interpretierten gemeinsam das »Deutsche Keduscha« und »Ss’u Schorim«.

Dazwischen trat jeder Chor solo auf. Der Zemel Choir etwa zeigte mit der »Käferhochzeit«, wie viel Humor Lewandowski hatte. Es war im Übrigen das einzige weltliche Stück. Alle anderen Werke sind Vertonungen liturgischer Texte. »Alle Chöre haben ein hohes Niveau«, sagte Regina Yantian, die Künstlerische Leiterin des Festivals, unter deren Dirigat das Synagogal Ensemble auftrat, begleitet vom Organisten Ian Shaw.

Das Louis Lewandowski Festival nehme in Berlin unter den hochkarätigen Musikfestivals eine Sonderstellung ein, schrieb der Schirmherr, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), in seinem Grußwort im Programmheft. Es sei eng mit der Kultur und Geschichte Berlins verbunden. »Zugleich hebt es einen der breiten Öffentlichkeit noch recht unbekannten musischen Schatz.«

akzente Und auch einige Berlin-Touristen fanden den Weg in die Rykestraße. »Ich hatte es als Tipp von Freunden gehört«, so Hanns-Jürgen Schmidt aus Hamburg. Neben der Musik interessierte ihn auch die Architektur der Synagoge, von der er ganz beeindruckt war. »Sie ist wunderschön. Ich finde es toll, dass sie heute wieder genutzt wird«, sagt der 72-Jährige. Synagogalmusik habe er bisher noch nie gehört – es gebe so viele Aspekte und Facetten, dass es nicht langweilig werde.

So hatte auch das siebte Festival keine Probleme, neue Akzente zu setzen. Bisherige Themen waren etwa Lewandowskis Zeitgenossen, jüdische Komponisten, die Synagogalmusik geschrieben haben und in der Schoa verfolgt und ermordet wurden, sowie Komponisten, die in die USA ausgewandert sind. Vergangenes Jahr standen die jüdische Renaissance und Barock in der Synagogalmusik im Mittelpunkt. »Es gibt noch vieles zu entdecken«, so Nils Busch-Petersen.

Als der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg und der Freundeskreis 2011 mit der Planung begannen, waren noch viele Fragen offen: Würden sie genügend Teilnehmer finden? Wie würde das Publikum reagieren? Woher sollte das Geld kommen? Inzwischen hat sich das Festival zum Publikumsmagneten entwickelt. Und auch die Finanzierung durch Sponsoren scheint gesichert.

tradition Das Synagogal Ensemble Berlin erhält zudem viele Einladungen aus der ganzen Welt. Der Chor ist das einzige Profi-Ensemble, das am Schabbat und an allen Feiertagen in der Synagoge Pestalozzistraße ausschließlich die Liturgie Lewandowskis erklingen lässt. Aber nicht alle Einladungen könnten angenommen werden, sagt Busch-Petersen.

Seit sieben Jahren verzichten er und seine Frau Ulrike auf einen längeren Urlaub, da ihnen schlicht die Zeit fehle. »Lewandowski geht vor – es ist ein ehrenamtlicher Vollzeitjob«, sagt Busch-Petersen. »Nach dem Festival ist vor dem Festival. Wir werden jetzt die Tage Revue passieren lassen und dann mit den Planungen fürs nächste Festival anfangen.« Das Thema für 2018 stehe zwar noch nicht fest, wohl aber das Datum: Das 8. Louis Lewandowski Festival wird demnach voraussichtlich vom 20. bis 23. Dezember stattfinden.

Es sei wichtig, die Synagogalmusik aufrechtzuerhalten, bringt Gemeinderabbiner Jonah Sievers die Bedeutung des Festivals auf den Punkt. »Denn solange sie gespielt wird, bleibt die Tradition lebendig.«

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