27. Januar

»Zum Guten erschüttern«

Standing Ovations und ein großer Strauß weißer Rosen für Charlotte Knobloch zeigten bei der Parlamentarischen Gedenkstunde des saarländischen Landtags am 27. Januar, wie sehr die Anwesenden von der Rede der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) und Beauftragten für das Holocaust-Gedenken des World Jewish Congress (WJC) beeindruckt waren.

Knobloch hatte als Zeitzeugin am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz nicht nur an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnert. Sie, die den Aufbau jüdischen Lebens miterlebt und mitgestaltet hat, ging auch auf das Heute ein, in dem Deutschland vielen Juden wieder zur Heimat geworden ist: »Über Jahrzehnte hat die jüdische Gemeinschaft diese Heimat wieder für sich gewonnen. Welchen größeren Sieg über Hitler könnte es geben?«

vergangenheit Doch Vergangenheit und Gegenwart gehören zusammen, unterstrich sie: »In Deutschland zu leben, hier beheimatet zu sein; deutsch zu sein – das bedeutet immer auch: sich zu erinnern. Unser Land, wie wir es heute kennen, ist auf Erinnerung gebaut. Gerade für jüdische Menschen war und ist das die Voraussetzung für ein Wiederankommen in Deutschland.«

Dass sich Geschichte und Gegenwart nicht losgelöst voneinander betrachten lassen, wurde in allen drei Reden der Gedenkstunde deutlich. Gerade das Saarland als kleinstes Flächenland der Bundesrepublik in der südwestlichen Ecke von Deutschland mit seiner Nähe und Verbindung zu Frankreich ermöglichte Einblicke, die zu einem besseren Verständnis auch des jüdischen Anteils an deutscher Geschichte führten.

Bereits im Frühsommer 1946 gründeten Überlebende im Saarland eine neue Gemeinde.

Vor, während und nach den Jahren der NS-Herrschaft in Deutschland hat das Saarland durch seine geografische Lage eine Sonderrolle eingenommen, hin- und hergerissen zwischen den Zugehörigkeitsansprüchen Deutschlands und Frankreichs.

Landtagspräsident Stephan Toscani (CDU) erinnerte in seiner Begrüßungsrede daran, dass viele jüdische Saarländer, die vor Hitlers Machtergreifung nach Frankreich geflohen waren, nach Kriegsende wieder in ihre saarländische Heimat zurückkehrten: »Bereits im Frühsommer 1946 haben 40 überlebende Juden hier in Saarbrücken eine neue Gemeinde gegründet.« Es sei eine der ersten nach dem Ende der Schoa gewesen. »Im Januar 1951 wurde dann in Saarbrücken der erste Synagogen-Neubau nach dem Krieg eingeweiht. Dies grenzt an ein Wunder, wir sind auch heute noch dankbar dafür«, sagte Toscani.

zukunft Die erwartete Trennung von Deutschland habe es den saarländischen Juden leichter gemacht, in ihrer Heimat wieder dauerhaft anzukommen, sagte Charlotte Knobloch in ihrer Rede. Als das Saarland wieder zu Deutschland kam, »führte auch ihr Weg in eine neue jüdisch-deutsche Epoche. Und nicht nur hier: Jüdische Menschen im ganzen Land, die fest an eine Zukunft außerhalb Deutschlands geglaubt hatten, fanden sich doch in der neuen Heimat wieder, die für manche von ihnen auch die alte gewesen war.«

So gehöre es zur deutschen Aufgabe der Erinnerung auch, sich die Leistungen und Beiträge der jüdischen Gemeinschaft nach 1945 bewusst zu machen – Leistungen, die in der Mehrheitsgesellschaft bis heute nur wenig bekannt seien, so die IKG-Präsidentin weiter. Die Gemeinden seien weiter angewachsen, neue Synagogen wurden errichtet. In diesem Zusammenhang erwähnte sie eine Verbindung zwischen Saarbrücken und München: »Das Ensemble aus Synagoge und Gemeindezentrum am Jakobsplatz in der Münchener Altstadt wurde von einer ausgezeichneten Architektin aus Saarbrücken geplant und erbaut, Rena Wandel-Hoefer.«

Der Synagogenneubau fungiere als Stein gewordenes Ausrufezeichen in ganz Deutschland, eine Ära voller Fragezeichen sollte so beendet werden. Doch, so Charlotte Knobloch weiter: »Unser Optimismus war verfrüht. Der Judenhass ist schneller gewachsen als das jüdische Leben.«

gegenwart Roland Rixecker (SPD), der Beauftragte für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus, setzte sich damit gleich zu Beginn seiner Rede auseinander. An den Anfang stellte er ein Zitat des amerikanischen Schriftstellers James Baldwin: »Geschichte ist nicht Vergangenheit, sie ist Gegenwart. Wir tragen unsere Geschichte mit uns. Wir sind unsere Geschichte.« Die Vergangenheit könne nicht vergessen werden, »sie ist uns allen gegenwärtig, so sehr sich manche um einen Schlussvorhang bemühen, auch denen, die für Vergessen plädieren«.

Kaum ein Täter lebe noch, Zeitzeugen würden weniger. Aber die seelischen Verletzungen der Vernichtungsorgien lebten und wirkten fort. »Die Erinnerungen an die Erzählungen sind gegenwärtig in Deutschland. Die Zeitzeugenschaft ist zeitlos in den Familien der Nachkommen und jenen mancher Täter. Sie ist und bleibt ein Teil der eigenen Identität.«

Rixecker warf auch einen Blick auf die Auswirkungen für die Gegenwart: »Wir tragen Verantwortung, Vorkehrungen zu treffen, damit die Zeiten der Finsternis nicht wiederkehren und das Gift, das zur Schoa geführt hat, nicht wieder schleichend zu wirken beginnt. Geschichte wird sich (…) gewiss nicht so wiederholen, aber sie kann wie ein Virus wiederkehren, wandlungs- und anpassungsfähig, und unser Immunsystem auf die Probe stellen. Diese Probe müssen wir Heutigen bestehen, wenn wir die Unantastbarkeit der Menschenwürde, Freiheit und Frieden bewahren wollen.«

»Der Einsatz für Freiheit und Demokratie ist die Aufgabe unserer Zeit.«

Charlotte Knobloch

Dass dieser Tag besonders im Gedächtnis bleibt, dazu trug das Konzept des Veranstalters bei: Die Reden korrespondierten miteinander, griffen gegenseitig ihre Themen auf. Selbst die musikalischen Beiträge von Alexander Baier am Klavier und Johanna Hempen an der Geige sowie der Liedvortrag von Kantor Benjamin Chait waren weit mehr als ein Rahmenwerk.

Die ausgewählten Stücke waren ein jedes für sich ein besonderer Beitrag zum Thema. Mahnend und eindringlich zugleich bleibt das »El Male Rachamim« (»Gott voller Erbarmen«), bei dem der Kantor bei der Aufzählung der Konzentrations- und Vernichtungslager von dem sonst üblichen Gesang abwich. Eindringlich schallten die mit fester Sprechstimme vorgetragenen Orte durch den Raum.

erinnerung Dazu passte dann auch der Schlusssatz von Roland Rixecker: »Für die Kraft, Menschen zum Guten zu erschüttern, und für die Bereitschaft, uns an die Seite derer zu stellen, zu deren seelischen Sedimenten die Verfolgung und Vernichtung ihrer Vorfahren gehört, für ›erinnernde‹ Solidarität, für die Kraft einer freiheitlichen Demokratie des Respekts, ist anschauliche Erinnerung, sind Tage wie dieser unverzichtbar.«

»Der Einsatz für Freiheit und Demokratie ist die Aufgabe unserer Zeit. Wir müssen erhalten, was uns erhält. Mit Selbstbewusstsein können und müssen wir füreinander da sein«, ergänzte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch. Das Andenken an die Opfer des Holocaust müsse in Ehren bewahrt werden, »denn die Erinnerung gibt uns den Weg in unsere gemeinsame Zukunft vor. Ein Deutschland ohne Erinnerung wird finster.«

Sie sage all das auch ganz besonders den jungen Menschen: »Euch rufe ich zu: Lasst euch in eurer Zukunft von niemandem sagen, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt. Folgt immer dem Kompass eures Herzens.«

Die Parlamentarische Gedenkstunde ist in der Mediathek des Saarländischen Rundfunks abrufbar.

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