Jewrovision

Wir sind da!

2015 gewann das Jugendzentrum aus Mannheim und holte den Songwettbewerb erstmals in die Kurpfalz. Foto: Gregor Zielke

Während in den Karnevalshochburgen nach der heutigen Weiberfastnacht zerschnittene Krawatten beerdigt werden, bereitet sich die junge jüdische Gemeinschaft darauf vor, am Samstag zum nunmehr 15. Mal unter Beweis zu stellen, dass sie lebt. Nicht leise und bescheiden, sondern selbstbewusst und aus voller Kehle.

Nachdem vergangenes Jahr mit dem Motto »Make a Difference« ein Unterschied gemacht wurde, besinnt sich die Jewrovision in diesem Jahr auf die Essenz jüdischen Lebens in Deutschland: »Next Generation – Ledor Wador«, von Generation zu Generation. Ein Motto, das der eigentlichen Bedeutung einer Vision nicht näher kommen könnte: dem inneren Bild einer Vorstellung. Denn diese eine simple Vorstellung, ist die Grundlage jenes Events, das am Wochenende mehr als 1200 Teilnehmer aus 60 Gemeinden und etwa 800 Besucher aus ganz Deutschland in den Mannheimer Rosengarten bringen wird.

MTV Wo die Reise hingeht, das wusste vor 14 Jahren niemand. Lediglich Spaß sollte es machen, etwas anderes sollte es sein, »irgendwas mit Singen«. Wer damals dabei war, der erinnert sich. An den unverwechselbaren Geruch des Max-Willner-Heims: Linoleum, frisch gemähter Rasen, würzige Suppe und süßer Honigkuchen aus der Küche. Es war das Jahr 2002, die Mädels trugen eigenartig tiefsitzende Jeans, George W. Bush war Präsident der Vereinigten Staaten, Shakiras Hüftschwung war das Thema auf MTV. Heute, im Jahr 2016, ist sie im Vorruhestand, und Sänger, Performer und Tänzer üben ihn ein.

Sie kommen aus Hamburg, Dortmund, München und Köln. Selbst die Berliner treten ihre Reise in die kurpfälzische Universitätsstadt an. Nach 14 Mal Jewrovision, nach 14 Mal Wiedersehen, Freudentränen, Singen, Tanzen und Feiern wissen die Veranstalter, die Organisatoren und Sponsoren: Die Quadratestadt Mannheim steht an diesem Wochenende Kopf. Dafür, dass in diesen Tagen nichts außer der Stimmung aus den Fugen gerät, wird auch gesorgt. Besonders das vergangene Jahr hat gezeigt, dass Judentum, dass Jüdischsein in Deutschland leider immer noch keine Normalität ist. Doch Schlagzeilen haben noch keine Jewrovision davon abgehalten, stattzufinden. Mehr noch: Wenn man sich in den Gemeinden umhört, erhält man den Eindruck, dass getreu dem Motto »Dafke« – jetzt erst recht – gehandelt wird.

Bereits in den Bussen werden die jeweiligen Jugendzentrumshymnen gesungen. So laut, dass man besorgte Stimmen einfach übertönt. Die »Next Generation« kommt zusammen, um sich zu beweisen, dass sie da ist. Die Freunde, die Talente, die jüdischen Weggefährten. Während an den anderen 362 Tagen im Jahr niemand gänzlich die Augen vor einer schwierigen Realität verschließen kann, werden diese in den nächsten Tagen beim Singen einer Ballade geschlossen. Politik bleibt draußen, hat keinen Zutritt in den Backstagebereich. Schwitzige Hände gibt es nur aufgrund des Lampenfiebers, Pressefotos nur von glücklichen Teilnehmern. Negativschlagzeilen nur, wenn überhaupt, für schiefe Töne. Stellt man damit die Realität nicht einfach von Play auf Pause? Mag sein. Aber so ist das nunmal bei der Jewrovision.

Juroren Meschugge, größenwahnsinnig, träumerisch: Andere Worte hätten Showgrößen für die Veranstalter der ersten Jewrovision nicht gefunden, wenn man ihnen von einem 14-Jahres-Ziel berichtet hätte. Von kaum 100 Teilnehmern auf mehr als 2000. Von einem Schullandheim in den Rosengarten. Von einer Idee zu einer Vision. Heute nicken sie anerkennend, die prominenten Juroren, die Zweifler und die überregionale Tagespresse. Verdientermaßen. Denn das, was die jüdische Gemeinschaft in Deutschland in punkto Emanzipation und Selbstbewusstsein vor sich hat, ist eine Generationenaufgabe. Mit der Jewrovision hat sie bereits einen Riesenschritt gemacht.

Viele Pioniere der ersten Stunde, es muss ihnen wie eine Ewigkeit vorkommen, werden im Publikum sitzen. Manche als Eltern, andere als Verantwortliche des Zentralrats. Kurzum: als Erwachsene. Sie werden sich daran erinnern, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. An ihre Teenagerjahre, an den damaligen Schwarm, der heute großflächige Geheimratsecken hat, an den ersten Kuss im Keller.

Dort, wo früher die Telefonzelle war. Sie werden im Publikum sitzen und an die ganz besondere Stimmung des noch in den Kinderschuhen steckenden Gesangs-Contests denken. Der Charme des Improvisierens, selbstgemalte Plakate, ein kleiner Saal. Heute stecken lediglich die eigenen Kinder in kleinen Schuhen, während die nächste Generation in einer riesigen Halle um den ersten Platz singt. Auf Hebräisch sagt man dazu: Kmo she tzarich. So muss es sein.

Die Stimmen beider Meinungslager rund um die Frage nach einer jüdischen Renaissance in Deutschland sind laut, doch die Stimmen der Next Generation sind definitiv lauter. Und zur Debatte um die Infragestellung des europäischen Judentums gibt die Jewrovision auch dieses Jahr 2000 klare Antworten.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Kolumnistin in Berlin.

Vertreibung

Vor 600 Jahren mussten die Juden Köln verlassen - Zuflucht auf der anderen Rheinseite

Die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen - und dann ist auf einmal Schluss. Vor 600 Jahren verwies Köln seine Juden der Stadt. Viele zogen darauf gen Osten, manche kamen dabei nur ein paar Hundert Meter weit

von Johannes Senk  19.09.2024

Magdeburg

Jüdischer Kalender für 5785 in Sachsen-Anhalt veröffentlicht

Bereits vor Rosch Haschana ist er als Download verfügbar

 18.09.2024

Augsburg

Jüdische Kulturwoche beginnt in Bayerisch-Schwaben

Führungen, Konzerte und Workshops stehen auf dem Programm

 18.09.2024

Berlin

Für die Demokratie

Ehrenamtspreis für jüdisches Leben für das EDA-Magazin und »BeReshith«

von Katrin Richter  17.09.2024

Hochschule

»Herausragender Moment für das jüdische Leben in Deutschland«

Unter dem Dach der neuen Nathan Peter Levinson-Stiftung werden künftig liberale und konservative Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet. Bei der Ausbildung jüdischer Geistlicher wird die Uni Potsdam eng mit der Stiftung zusammenarbeiten

von Imanuel Marcus  17.09.2024

Würdigung

Ehrenamtspreise für jüdisches Leben verliehen

Geehrt wurden das »EDA-Magazin« und der Verein BeReshit aus Sachsen-Anhalt

 16.09.2024

Hannover

Leib und Seele sind vereint

Die bucharische Gemeinde eröffnete in ihrem neuen Zentrum drei Mikwaot

von Michael B. Berger  16.09.2024

München

Wehmütig und dankbar

Die Religionslehrerin Michaela Rychlá verabschiedet sich nach knapp 30 Jahren in den Ruhestand

von Luis Gruhler  15.09.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Bayern »topsicherer Platz« für Juden

Die Verlegung des Hauptsitzes der Europäische Rabbinerkonferenz war laut Gady Gronich ein guter Schritt

 15.09.2024