Freiburg

»Wir müssen zusammenhalten«

Freiburgs Gemeindevorsitzende Irina Katz Foto: picture alliance / Winfried Rothermel

Freiburg

»Wir müssen zusammenhalten«

Gemeindevorsitzende Irina Katz über den Schock des russischen Angriffs und unterschiedliche Meinungen dazu

von Eugen El  03.03.2022 08:16 Uhr

Frau Katz, Sie stammen aus Donezk in der Ostukraine. Wie haben Sie den 24. Februar, den Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine, erlebt?
Als fürchterlich. Am 24. Februar 1993, vor genau 29 Jahren, kamen wir nach Deutschland – in ein Aufnahmelager für jüdische Kontingentflüchtlinge in Baden. Wir hatten wenige Tage zuvor Donezk verlassen. Jetzt diese Tragödie. Wir sind schockiert.

Wie kam es damals zu Ihrer Auswanderung aus der Ukraine?
Meine Mutter sel. A. hat seinerzeit die Auswanderung initiiert, weil sie wahrscheinlich schon ahnte, was dort in vielen Jahren passieren könnte. Von der Ausreise war ich damals nicht allzu begeistert, da ich meinen Beruf als Französisch- und Biologielehrerin mochte und wusste, dass ich ihn in Deutschland nicht mehr ausüben kann. Mein Sohn war zu der Zeit sieben Jahre alt.

Wie ist die Stimmung in der Freiburger Gemeinde derzeit?
Wir haben in der Gemeinde überwiegend Menschen aus der Ukraine – etwa 80 Prozent der Mitglieder. Wir haben teilweise auch Gemeindemitglieder, die aus Russland – meist aus Moskau und St. Petersburg – stammen. Am vergangenen Donnerstag fand eine Beerdigung statt, zu der viele Menschen kamen. Sie waren schockiert von dem Geschehen.

Haben Sie mit den Mitgliedern sprechen können?
Bei der Beerdigung habe ich zu den Anwesenden gesprochen und gesagt: Ich möchte nicht, dass es bei uns in der Gemeinde wie während des ersten Ukraine-Krieges 2014 abläuft, als es eine gemeindeinterne Auseinandersetzung zwischen »Russen« und »Ukrainern« gab. Ich habe gesagt: Wir sind alle Juden – unabhängig von der Herkunft aus der Ukraine, aus Russland oder Belarus, aus Georgien, Argentinien oder Israel. Wir müssen zusammenhalten.

Wie stark waren die Auseinandersetzungen im Jahr 2014?
Auseinandersetzungen gab es in vielen Familien, darunter auch in meiner. Ein Teil der Familie ist für die Ukraine, ein anderer für Russland. Als meine Mutter 2015 im Sterben lag, hat sie sich mit ihrer Verwandtschaft gestritten, die für Russland war. Irgendwann habe ich gesagt: Jetzt ist Schluss, es wird nicht mehr gestritten! Meine Mutter tat mir leid, wie sie im Sterbebett noch für die Ukraine kämpfte. So ist es auch in den Familien bei uns in der Gemeinde. Die Menschen streiten sich. Auch Freunde streiten sich.

Wie wollen Sie die Gemeinde jetzt zusammenhalten?
Ich konnte die Spannung bei der Beerdigung fühlen. Selbst wenn die Menschen aus der Ukraine stammen, stehen einige auf Russlands Seite. Wir wollen als Gemeinde geschlossen auf der Seite der Ukraine stehen, denn das Land wurde angegriffen, und Russland ist der Aggressor.

Wie kann die jüdische Gemeinschaft den Menschen in der Ukraine helfen?
Bei der Beerdigung hat unser Kantor für die jüdischen Menschen in der Ukraine, die in Not sind, gebetet. Von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) erreichte uns vergangenen Donnerstag die Nachricht, dass 2000 ukrainisch-jüdische Flüchtlinge an der Grenze zu Rumänien sitzen und Hilfe brauchen. Hoffentlich wird Deutschland ohne Formalitäten Menschen aus der Ukraine aufnehmen. Das hoffe ich sehr. 2014 hatte es nicht funktioniert, die meisten jüdischen Flüchtlinge wurden letztlich von Israel aufgenommen.

Mit der Vorsitzenden der Israelitischen Gemeinde Freiburg sprach Eugen El.

Hamburg

»Strong. Jewish. Here.«

Der Jugendkongress 2026 der ZWST setzt ein bewusstes Zeichen des Selbstbewusstseins und der Präsenz

von Imanuel Marcus  18.12.2025

Umbenennung

Medien: Berlin erhält Yad-Vashem-Straße

Ein neues Holocaust-Gedenken mitten im Berliner Regierungsviertel - Ein Teilabschnitt der Dorotheenstraße soll künftig den Namen der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem tragen. Die zweite Umbenennung in kurzer Zeit

 18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Sicherheit

»Keine jüdische Veranstaltung soll je abgesagt werden müssen«

Nach dem Massaker von Sydney wendet sich Zentralratspräsident Josef Schuster in einer persönlichen Botschaft an alle Juden in Deutschland: Lasst euch die Freude an Chanukka nicht nehmen!

von Josef Schuster  17.12.2025

Deutschland

»Das Licht wird nicht erlöschen«

Trotz des Terroranschlags in Sydney lassen es sich viele Juden in Deutschland nicht nehmen, öffentlich Chanukka zu feiern. Ein Stimmungsbild

von Christine Schmitt, Helmut Kuhn, Nicole Dreyfus, Ulrike Gräfin Hoensbroech  17.12.2025

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025