Herr Erenbourg, vor zehn Jahren wurde der Deutsch-Israelische Freiwilligendienst (DIFD) der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) ins Leben gerufen – und startete damals mit fast 30 Freiwilligen. Nun feiert er sein Jubiläum, aber die Bilanz dürfte leider anders ausfallen als gehofft. Wie gestaltet sich die Situation?
Bis zum 7. Oktober 2023 hat sich die ZWST mit dem DIFD zu einer der größeren Entsende-Organisationen für deutsche Freiwillige nach Israel entwickelt, mit jährlich 25 bis 30 Teilnehmern. Der DIFD basiert auf einer gemeinsamen Absprache der deutschen und der israelischen Regierung im Rahmen der Regierungskonsultationen 2015 und bietet jungen Deutschen und Israelis im Alter von 18 bis 26 Jahren konfessionsunabhängig die Möglichkeit, das jeweilige Partnerland über einen Freiwilligendienst für 6 bis 18 Monate zu erleben und kennenzulernen. Seit der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ist die Entsendung jedoch ausgesetzt. Dabei ist es für die ZWST elementar, die Entsendung von Freiwilligen nach Israel wiederaufzunehmen, um die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen zu erhalten.
Warum?
Es gibt in Deutschland circa 20 Trägerorganisationen, die deutsche Freiwillige in viele Länder schicken, nicht nur nach Israel. Auf dem digitalen Fachtag zu Zukunftsperspektiven für den Freiwilligendienst in Israel, den die ZWST für nach Israel entsendende Träger organisiert hat, wurden auch die Herausforderungen bei der Entsendung diskutiert. Und da wurde ganz deutlich, dass vergleichsweise weniger junge Leute aus Deutschland Interesse haben, in dieses Land zu gehen. Bis zum 7. Oktober waren unter den 25 bis 30 deutschen Freiwilligen vielleicht zwei bis drei Jüdinnen oder Juden, die anderen waren nicht jüdisch. Und jetzt hat es sich umgedreht, es kommen auf zehn Kandidaten neun bis zehn, die jüdisch sind.
Ist dieser Austausch genauso wichtig wie vor zehn Jahren?
Gerade jetzt ist der Austausch wichtiger denn je. 2023 waren insgesamt 201 deutsche Freiwillige in Israel, die nach dem 7. Oktober alle zurückkehren mussten. Damit brach die größte ausländische Freiwilligengruppe in Israel weg, was erhebliche Auswirkungen auf die Einsatzstellen und die Zusammenarbeit hatte. Die lang anhaltende Reisewarnung hat die Strukturen des Austauschs massiv gefährdet. Deshalb wäre es für uns so wichtig, ab September wieder Freiwillige nach Israel zu entsenden, um die in über 40 Jahren gewachsenen Freiwilligendienststrukturen zu erhalten und die Zusammenarbeit fortzuführen.
Und was bedeutet das für die Einsatzstellen in Israel?
Sie müssen auf andere Optionen ausweichen und rekrutieren Freiwillige aus anderen Ländern oder über private Anbieter.
Wo werden die Freiwilligen eingesetzt?
Wir arbeiten mit dem israelischen Wohlfahrtsministerium zusammen. In Israel werden die deutschen Freiwilligen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Rehabilitationszentren sowie in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt.
Wie sieht es bei den Israelis aus? Kommen sie gern nach Deutschland?
Die Israelis fühlen sich sehr wohl. Es liegt natürlich auch daran, dass wir sie in Einsatzstellen unterbringen, die gut auf sie eingestellt sind, beispielsweise in jüdischen Einrichtungen, vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit. Aber auch Vereine oder Organisationen wie israelische Jugendbewegungen, die in Deutschland aktiv sind, kommen infrage. Wir haben natürlich auch nichtjüdische Israelis, die sich bewerben. Ich hatte gerade für eine arabische Israelin einen Platz außerhalb der jüdischen Community gefunden. Aber sie hat sich am Ende dagegen entschlossen, denn natürlich ist es auch für arabische Israelis gerade nicht einfach. Sie hat für sich einen »Safe Space« gesucht und möchte sich auch nicht rechtfertigen müssen, dass sie als Israelin arabisch und muslimisch ist.
Wie viele Israelis kommen im Moment nach Deutschland?
Aktuell haben wir zwölf israelische Freiwillige, im nächsten Jahrgang ab September erwarten wir bis zu 20. Aktuell ist aufgrund der Situation die Visa-Vergabe nicht einfach, geplant ist, dass alle im September starten.
Ist das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend noch der Geldgeber?
Ja. Der DIFD wurde 2015 im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ins Leben gerufen, um das Verhältnis zwischen beiden Gesellschaften auf diverse und nachhaltige Weise zu stärken. Wir sind dankbar, dass sich das Bundesministerium trotz aller Widrigkeiten für den Erhalt des Dienstes starkmacht. Die Strukturen des deutsch-israelischen Austauschs müssen nach 40 Jahren des mühsamen Aufbaus unbedingt erhalten werden.
Was ist das schönste Lob, das Sie bislang gehört haben? Manche Freiwillige waren so begeistert vom anderen Land, dass sie dageblieben sind.
Das ist nicht das Ziel. Ich denke, das schönste Kompliment ist, wenn Freiwillige uns rückmelden, dass sie bei uns eine fundierte, unabhängige, kultursensible Vorbereitung auf ihren Aufenthalt in Israel erhalten – und dabei zugleich einen tieferen Einblick in das jüdische Leben in Deutschland gewinnen. Wir wollen gesellschaftliche Vielfalt abbilden und jungen Menschen die Möglichkeit geben, Gemeinsamkeiten beider Länder und Unterschiede über einen längeren Zeitraum kennenzulernen und somit ein besseres Verständnis für sie zu entwickeln. Und mit diesem Wissen sollen sie in ihre Länder zurückkehren.
Welche Sorgen haben Israelis, wenn sie nach Deutschland kommen?
Es geht um Anfeindungen und Antisemitismuserfahrungen. Sie fragen: Wo darf ich Hebräisch sprechen? Werde ich Anschluss finden? Eine sensible Vorbereitung ist daher umso wichtiger.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass die Freiwilligendienste, insbesondere der Austausch zwischen Deutschland und Israel, wieder Fahrt aufnehmen. Der persönliche Kontakt, das Kennenlernen von Land und Leuten ist ein wichtiges Element auf dem Weg zu gegenseitigem Verständnis und Toleranz.
Mit dem Projektleiter des Deutsch-Israelischen Freiwilligendienstes (DIFD) sprach Christine Schmitt.