Frankfurt/Main

»Wir lassen die Menschen in Israel nicht alleine«

Schimon Staszewskis Kinder leben in Tel Aviv. Seit die Raketen der Hamas in der Stadt einschlagen, telefoniert er fast täglich mit ihnen. »Ich bin nicht in Panik«, sagt er. Seine Kinder hielten sich an die Regeln. »Wenn die Sirenen heulen, suchen sie befestigte Räume auf«, erzählt der 60-Jährige. Doch in Sorge ist er schon.

Eigentlich wäre auch er längst von Frankfurt aus wieder nach Tel Aviv geflogen. Einige Monate im Jahr verbringt Staszewski in Israel. Doch eine private Feier und auch die Geschehnisse der vergangenen Tage in Frankfurt haben seine Abreise verzögert. Auch wollte er unbedingt an der Solidaritäts-Kundgebung für Israel an diesem Donnerstagnachmittag teilnehmen.

Demonstranten Rund 400 Demonstranten haben sich auf dem Frankfurter Opernplatz versammelt, viele schwenken blauweiße Israel Fähnchen oder tragen große Flaggen über den Schultern.

Auf der Rednerbühne hat sich fast die komplette Stadtregierung, darunter Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann, Kämmerer Uwe Becker und Vertreter der hessischen Landesregierung versammelt.

Dieter Graumann, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, zeigt sich »bewegt und berührt«, dass viele Menschen dem Aufruf der Demonstrationsveranstalter gefolgt sind. »Wir sind heute zusammen gekommen, um den Menschen in Israel zu zeigen: Ihr seid nicht alleine, wir sind mit Euch in euren schweren Stunden.«

Verständnis Graumann wünscht sich mehr Verständnis für die Last und Belastung, die die Menschen dort Tag und Nacht zu ertragen haben. »Von unseren Verwandten und Freunden wissen wir, wie schwer es ist, wenn die Sirenen heulen, und sie nur wenige Sekunden Zeit haben, alles stehen und liegen zu lassen, sich die Kinder zu schnappen und in die Bunker zu eilen«, beschreibt der Zentralratspräsident die Situation dieser Tage in Israel.

Er wünsche sich mehr »Empathie für Israel und weniger Vorwürfe, mehr Verständnis und weniger Kritik«. Israel habe jedes Recht »sogar die Pflicht, diesem Terror eine Ende zu setzen«. Auch kritisiert Graumann die Doppelmoral und Heuchelei und fragt, »wo denn der Aufschrei der Welt gegen den Terror der Hamas bleibe oder das kritische Hamas Gedicht von Günter Grass«. Oder wo »die solidarische Hilfs-Flotilla für die bedrängten Menschen in Israel?«.

Graumann erinnert daran, dass drei jüdische Jugendliche entführt worden sind und Freunde, Anghörige und Juden 18 Tage lang auf »ein Wunder gehofft hatten – und mit einer Tragödie aufgewacht« sind. »Wir fühlen mit den Familien ihren Schmerz und ihre Trauer.« Graumann geht auch auf den ermordeten palästinensischer Junge ein. »Wir machen da keinen Unterschied: Mord ist Mord, an wem und von wem auch immer. Und wir fühlen auch mir der Familie des palästinensischen Jungen den gleichen Schmerz, wir alle ohne Einschränkung!«

Existenzrecht Bestürzt äußert sich darüber auch Frankfurts Oberbürgermeister Feldmann (SPD). Er bekräftigt die intensive Städtepartnerstadt mit Tel Aviv: »Wir stehen an Ihrer Seite«. Das Existenzrecht Israels stehe nicht zur Disposition. Er und die Stadtregierung würden nicht zulassen, dass sich Juden in Frankfurt nicht mehr sicher fühlten. »Wir werden unsere jüdische Minderheit schützen.«

Die Stadt stehe für Internationalität und Toleranz »und das lassen wir uns von niemanden kaputt machen«, sagt der OB. Hessens Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) betont, »dass für Antisemitismus in Hessen kein Platz ist«. Er äußert Verständnis für die Haltung Israels im aktuellen Konflikt. »Wie würden wir denn, wie würde Berlin reagieren, wenn Raketen fallen?«, fragt er unter großem Beifall.

Vorfälle Auch die Demo-Teilnehmer Maxim, Jacob und Sharon ärgern sich, dass an Israel stets andere Maßstabe angelegt werden. Alle drei haben Familie, Freunde und Verwandte in Israel, um die sie sich Sorgen machen. Die Vorfälle in Frankfurt beunruhigen die jungen Leute. »Ich fühle mich deutlich unwohler in der Stadt als sonst«, erzählt der 23-Jährige.

Maxims Schwester sei am Tag nach der Kundgebung auf der Zeil an einer Bushaltestelle angemacht worden, weil jemand wusste, dass sie Jüdin ist, berichtet er. Am Donnerstag wollen sie mit ihrer Präsenz auf dem Opernplatz ein Zeichen setzen, »aber ich bin mit einem mulmigen Gefühl hier«, sagt Jacob.

Reaktion Diese Demonstration ist eine Reaktion auf die pro-palästinensische Kundgebung am vergangenen Samstag, bei der es zu schweren Ausschreitungen kam. Über 2000 Teilnehmer waren über die Fußgängerzone Zeil gezogen und hatten dabei antisemitische und israelfeindliche Parolen skandiert.

Die Polizei war heftig dafür kritisiert worden, weil sie die Situation völlig unterschätzt und mit zu wenigen Beamten vor Ort war. Dabei stellte sie einem Demonstranten auch noch ihr Mikrofon zur Verfügung, der es nutzte, um Israel als »Kindermörder« zu bezeichnen.

Am Donnerstagnachmittag hat die Polizei offenbar aus diesen Fehlern gelernt. Um mögliche Gefährdungen zu verhindern, ist sie mit einem massiven Aufgebot an Beamten und Polizeimannschaftswagen auf dem Opernplatz und den Zufahrtstraßen präsent. Den etwa 400 Kundgebungsteilnehmern stehen genauso viele Polizisten und Polizistinnen zur Seite.

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Vertrag

Jüdische Gemeinde Frankfurt erhält mehr Gelder

Die Zuwendungen durch die Mainmetropole sollen bis 2031 auf 8,2 Millionen Euro steigen

von Ralf Balke  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Hannover

Ministerium erinnert an 1938 zerstörte Synagoge

Die 1938 zerstörte Neue Synagoge war einst mit 1.100 Plätzen das Zentrum des jüdischen Lebens in Hannover. Heute befindet sich an dem Ort das niedersächsische Wissenschaftsministerium, das nun mit Stelen an die Geschichte des Ortes erinnert

 10.11.2025

Chidon Hatanach

»Wie schreibt man noch mal ›Kikayon‹?«

Keren Lisowski hat die deutsche Runde des Bibelquiz gewonnen. Jetzt träumt sie vom Finale in Israel

von Mascha Malburg  10.11.2025