JSUD

»Wir fordern Mitbestimmung«

Anna Staroselski über pragmatische Politik, die junge jüdische Generation und ihre zu Ende gehende Amtszeit als Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland

von Joshua Schultheis  23.03.2023 09:31 Uhr

»Für mich ist Politik meine Leidenschaft«: Anna Staroselski (26) vor dem Büro der JSUD in Berlin-Mitte Foto: Chris Hartung

Anna Staroselski über pragmatische Politik, die junge jüdische Generation und ihre zu Ende gehende Amtszeit als Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland

von Joshua Schultheis  23.03.2023 09:31 Uhr

Frau Staroselski, Sie waren drei Jahre lang Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und treten bei der nächsten Wahl voraussichtlich im Mai nun nicht mehr an. Warum nicht?
Ich glaube, dass eine Jugendorganisation von neuen Impulsen lebt und dass es wichtig ist, eine neue Generation zu empowern, ihre Visionen für die Zukunft einzubringen. Ich habe versucht, das meiste rauszuholen in dieser kurzen Zeit, und freue mich jetzt sehr zu sehen, wohin die Reise der Organisation gehen wird.

2016 ist die JSUD gegründet worden, seit 2018 sind Sie im Vorstand mit dabei. Wie hat sich die JSUD in den vergangenen sieben Jahren entwickelt?
Der Ursprungsgedanke der JSUD war, jungen Jüdinnen und Juden eine politische Stimme zu verleihen. Ich glaube, dass es uns gelungen ist, die Vielfalt an jungen jüdischen Perspektiven sichtbar zu machen, und wir es geschafft haben, auf einer politischen Ebene als Vertreter ernst genommen zu werden. Wir haben viele Impulse in die Gesellschaft hineingetragen und meiner Meinung nach auch einen internen und politischen Dialog unter jungen jüdischen Leuten angestoßen. Und das, finde ich, ist eine gute Errungenschaft.

Zur größeren Wahrnehmung junger jüdischer Stimmen in der Öffentlichkeit haben auch Sie maßgeblich beigetragen. Ein Jahr nach Ihrem Antritt als JSUD-Präsidentin saßen Sie zum Beispiel bei Markus Lanz in der Sendung. Wie war es für Sie, plötzlich so viel Aufmerksamkeit zu bekommen?
Das war wahnsinnig unerwartet. Ich habe damit nicht gerechnet. Ich glaube, dass es dazu kam, weil wir in der Gesellschaft auch eine Entwicklung zu grundsätzlich mehr Sichtbarkeit junger Stimmen haben. Wir sehen jetzt auch, dass es im Deutschen Bundestag mehr junge Abgeordnete gibt und sich junge Menschen mehr in der Politik einbringen und dafür auch respektiert und ernst genommen werden. Die beiden Einladungen zu Lanz haben mir zudem gezeigt, dass die Themen junges jüdisches Leben und Kampf gegen Antisemitismus offenbar interessant sind für die Menschen in Deutschland.

Man hört oft von jungen Jüdinnen und Juden, dass sie nicht mehr so sehr auf Antisemitismus oder auf die Schoa reduziert werden wollen. Und trotzdem ist es natürlich so, dass man in Deutschland als Jude eben vor allem für diese Themen Aufmerksamkeit bekommt. Ein Teufelskreis?
Deutschland hat natürlich eine besondere und historische Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden. Die meisten Jüdinnen und Juden, insbesondere auch in meinem Alter, wünschen sich aber einen ganz normalen Umgang mit jüdischem Leben hierzulande. Ich denke, dass es allen Jüdinnen und Juden selbst überlassen sein sollte, wie viel sie sich mit diesem Thema beschäftigen. Ich finde, man kann nicht von ihnen erwarten, dass sie sich immer zu Antisemitismus und zu Israel äußern. Das passiert noch viel zu häufig. Auf der anderen Seite finde ich auch, dass wir als Jüdinnen und Juden mehr Selbstbewusstsein zeigen sollten. Damit wir künftig keine jungen Menschen mehr haben, die sich irgendwie für ihr Jüdischsein schämen. Ich hoffe sehr, dass die schönen Seiten des Judentums und der jüdischen Vielfalt in Zukunft mehr Berücksichtigung finden und wir gleichzeitig von einer Art Exotisierung und Fetischisierung wegkommen und Juden nicht ausschließlich mit Klezmer und Kippot assoziiert werden.

Sie sprechen die Vielfalt des Judentums in Deutschland an. Ihre Eltern sind in der Ukraine geboren, und damit haben Sie wie mindestens 90 Prozent der Juden in Deutschland einen Migrationshintergrund. Wird diese Pluralität tatsächlich in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Ich hoffe sehr, dass das künftig noch mehr Berücksichtigung findet. Ich glaube, durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat man angefangen, genauer hinzuschauen, weil in den jüdischen Gemeinden etwa 50 Prozent der Mitglieder auch Wurzeln in der Ukraine haben. Das ist ein sehr großer Teil auch der Identität von Jüdinnen und Juden meiner Generation, auch wenn viele von ihnen schon in Deutschland geboren sind und natürlich auch eine deutsche Identität haben.

Man kann beobachten, dass Ihre Generation, also insbesondere die Kinder der sogenannten Kontingentflüchtlinge, zurzeit in der jüdischen Gemeinschaft eine ganz neue, spannende Dynamik erzeugen …
Ja, auf jeden Fall. Ich würde sagen, wir fordern ganz stark politische Mitbestimmung ein. Wir wollen aus einer vermeintlichen Opferrolle raus. Viele jüdische Freunde in meinem Alter sind damit aufgewachsen, dass ihre Eltern gesagt haben, du musst jetzt vielleicht nicht jedem erzählen, dass du jüdisch bist, und lieber den Ball flachhalten. Daraus auszubrechen und zu sagen, das ist meine Identität, und ich bin stolz darauf, ich bin widerständig – dafür steht meine Generation ganz stark ein. Auch das war für mich immer ein Ziel der Jüdischen Studierendenunion: mit zu bewegen, dass man eine positive Identität entwickelt, dass man es cool findet, jüdisch zu sein, dass man Spaß hat an jüdischer Tradition und jüdischer Kultur.

Was war aus Ihrer Sicht das Highlight Ihrer Präsidentschaft?
Ich würde gern zwei Sachen nennen. Zum einen war es mir besonders wichtig, eine historische Bildungsreise in die Region von Worms, Speyer und Mainz zu organisieren, um jungen Jüdinnen und Juden die Möglichkeit zu geben, da mal einzutauchen und zu verstehen, was im Mittelalter dort alles passiert ist. Die Zeit der sogenannten SchUM-Städte finde ich unglaublich beeindruckend. Das war die Blütezeit des Judentums in Europa. Da sind Schriften entstanden, die bis heute weltweit studiert werden. Der andere Aspekt, der mir auch sehr wichtig war, ist eine Auseinandersetzung mit Israel. Bei der JSUD haben wir ein dreiteiliges Seminar organisiert, und einer der Teile war eine Reise nach Israel. Dort haben wir uns mit politischen Vertretern getroffen, wir waren in der Knesset, im Außenministerium, im ARD-Korrespondentenstudio und haben viele kritische Fragen stellen dürfen. Wir sind sogar zusammen durch die West Bank gefahren. So haben wir das Land aus einer politischen Perspektive noch mal kennenlernen dürfen.

Gab es etwas, woran Sie in Ihrem Amt gescheitert sind?
Ich glaube, dass uns als JSUD-Vorstand nach der Lockerung der Corona-Maßnahmen die Transition aus dem Digitalen wieder in die Live-Veranstaltungen etwas schwergefallen ist. Wir hätten noch mehr Menschen erreichen können, denke ich. Es kann auch sein, dass es nach der Pandemie, als Veranstaltungen wieder erlaubt waren, ein Überangebot gab. Auch für uns ist die Nach-Coronazeit noch immer eine Herausforderung.

Nach dem Ende Ihrer Präsidentschaft werden Sie deutlich mehr Zeit haben. Wissen Sie schon, was Sie damit anfangen wollen?
Für mich ist Politik eindeutig meine Leidenschaft, und auch die JSUD habe ich immer als eine politische Organisation und politische Interessenvertretung gesehen. Ich bin davon überzeugt, dass man am besten politische Inhalte vermittelt, wenn man einen pragmatischen Ansatz wählt. Wenn man ein Netzwerk ausbaut, wenn man mit Leuten spricht, die Möglichkeiten haben, Dinge zu verändern. Meine Zeit bei der JSUD hat mir geholfen, dieses Verständnis zu entwickeln und die Politik von innen besser kennenzulernen. Was genau danach kommt, kann ich noch nicht sagen, aber ich werde auf jeden Fall im politischen Betrieb bleiben, weil mir das viel Spaß macht und ich glaube, dass ich das ganz gut kann.

Haben Sie einen Ratschlag für Ihren Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin?
Vielleicht keinen Ratschlag, aber ein Anliegen oder einen Wunsch. Ich würde mir sehr wünschen, dass die JSUD zu einer Organisation wird, wo sich Jüdinnen und Juden unabhängig von ihrer politischen und religiösen Verortung wohlfühlen. Dass es uns gelingt, ein vereinendes Element in Zeiten zu sein, die gespalten und die emotional sowie politisch sehr aufgeladen sind.

Mit der Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland sprach Joshua Schultheis.

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