Herr Stern, am 26. und 27. Oktober fand in Berlin die erste Convention der B’nai B’rith Alliance (BBA) statt. Was genau war der Anlass?
Die BBA wird die B’nai B’rith Europe (BBE) in ihrer bisherigen Zusammensetzung ablösen. Die Logen aus Frankreich (B’nai B’rith France) und aus England (B’nai B’rith UK) sollen nun eigenständig agieren. Alle übrigen europäischen Logen werden zukünftig unter dem Dach der BBA vereint sein. Die dafür notwendigen organisatorischen Voraussetzungen wurden von uns auf der Tagung beschlossen.
Warum diese Aufteilung?
In Europa leben derzeit etwa 1,3 Millionen Juden, davon über die Hälfte in Frankreich und England. Dementsprechend gibt es dort deutlich mehr B’nai B’rith Logen als in den übrigen Ländern Europas. Dies hatte bisher erhebliche Auswirkungen auf Strukturen und die politische Einflussnahme bei BBE – beide Länder waren deutlich überrepräsentiert. Um diese Schieflage zu beseitigen, wurde die neue BBA gegründet. So werden in Zukunft die einzelnen Länder ihre regionalen Besonderheiten und Interessen besser einbringen können. Strukturiert wird das Ganze in fünf Distrikte, nämlich Skandinavien, Zentraleuropa, Mittelmeerländer, Balkan und die deutschsprachigen Logen. Jede Region vertritt jeweils vier bis acht Logen. So kommen wir auf einen Zusammenschluss von über 30 B’nai B’rith Logen europaweit.
Wurde Berlin als Ort der Zusammenkunft gewählt, weil die Stadt geografisch etwa in der Mitte von Europa liegt?
Auch, aber nicht nur. Hier wurde am 20. März 1882 die erste B’nai B’rith Loge in ganz Europa gegründet. Vor dem Holocaust gab es allein in Berlin neun Logen mit über 2500 Mitgliedern. Ebenfalls hier vor Ort wirkte ab 1924 Leo Baeck als Großpräsident des gesamtdeutschen Distrikts, damals der größte in ganz Europa mit seinen über 100 Einzellogen. Berlin wurde ebenfalls deshalb als Veranstaltungsort ausgewählt, weil hier die Raoul Wallenberg Loge zu Hause ist – und weil wir eine mehr als 140 Jahre alte Tradition fortführen. In diesem Sinne war es uns eine besondere Ehre und Herausforderung zugleich, die allererste Convention der BBA organisieren und ausrichten zu dürfen.
Wie viele Teilnehmer kamen, und was durften sie hier erfahren?
Es kamen wohl mehr als 90 Teilnehmer aus 20 verschiedenen Ländern, darunter aus den Vereinigten Staaten und Israel. Die Präsidenten und Vizepräsidenten von 30 europäischen Logen waren anwesend. Für die Eröffnung im Rahmen eines Gala-Dinners haben wir zudem den früheren Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer gewinnen können, der eine Keynote über die Rolle von Tikkun Olam aus der Perspektive eines Elder Statesman hielt.
Gab es noch weiteren Input?
Ja, unter anderem die persönliche Begrüßung der Gäste durch Rob Spitzer, Präsident von B’nai B’rith International aus Washington, sowie Impulsvorträge von Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Daniel Mariaschin, CEO von B’nai B’rith International, USA.
Welche Botschaft sollte von der Zusammenkunft in Berlin ausgehen?
Von Anfang an lauten die Ideale von B’nai B’rith Wohltätigkeit, Brüderlichkeit und Eintracht. Gerade in schwierigen Zeiten wie den jetzigen sind diese wichtiger denn je geworden, vor allem in unserem gemeinsamen Engagement gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel. Deswegen ist die Zusammenkunft in Berlin nicht einfach nur ein administrativer Akt, um die Gründung der B’nai B’rith Alliance einzuleiten. Sie ist ebenfalls der Neubeginn einer intensiveren Kommunikation und Vernetzung im Rahmen der neuen Strukturen, die wir uns gegeben haben.
Was ist Ihre persönliche Hoffnung dabei?
B’nai B’rith funktioniert in vielerlei Hinsicht wie eine große Familie. Durch die Zusammenkunft und die daraus entstehenden Initiativen hoffe ich, dass unsere Stimme in der Zivilgesellschaft noch stärker zu hören sein wird als bereits ohnehin.
Mit Richard Stern, dem amtierenden Präsidenten von B’nai B’rith Berlin – Raoul Wallenberg Loge, sprach Ralf Balke.