Porträt Der Woche

Von Rechts wegen

Orna Knoch ist Anwältin in Frankfurt am Main

von Canan Topçu  15.01.2013 15:21 Uhr

In ihrer Kanzlei im Frankfurter Bahnhofsviertel: Orna Knoch (33) Foto: Judith König

Orna Knoch ist Anwältin in Frankfurt am Main

von Canan Topçu  15.01.2013 15:21 Uhr

Mit dem Umzug in die Stadt hat sich unser Leben sehr verändert. Mein Mann und ich haben davor in Langenselbold, einer kleinen Stadt bei Hanau, gewohnt. Dort lebt auch mein Vater. Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben, und wir wollten meinen Vater in der ersten Zeit nach ihrem Tod nicht allein lassen.

Seit Anfang November wohnen wir in Frankfurt. Das ist toll! Mein Leben ist nicht mehr so stressig, weil die langen Anfahrten wegfallen. Immerhin habe ich die Zeit im Zug zum Lesen nutzen können. Ich lese sehr gern, besonders gefallen mir Biografien.

Vorteil Seit wir in Frankfurt wohnen, kann ich morgens länger schlafen, bin schneller auf der Arbeit und abends früher zu Hause – nicht erst um 22 Uhr, sondern oft zwei, drei Stunden vorher. Da bleibt noch Zeit, gemeinsam mit meinem Mann etwas zu unternehmen. Wir gehen essen, ins Kino oder ins Theater, nehmen jetzt mehr teil am kulturellen Leben.

Noch sind in der neuen Wohnung nicht alle Zimmer hergerichtet, es warten Kisten darauf, geleert zu werden. Wir richten unsere Wohnung orientalisch ein. Ich suche immer mal in Möbelgeschäften und im Internet nach Einzelstücken. Wir vermissen das Land nicht. Ich war seit dem Umzug kaum mehr in Langenselbold. Jetzt kommen mein Vater und meine Schwester, die auch dort wohnt, uns besuchen. Den Freitagabend verbringen wir nämlich mit der Familie, mal mit meinem Vater und meiner Schwester, mal mit meinen Schwiegereltern oder auch alle zusammen. Ich koche gerne, meist orientalisch, wie ich es von meiner Mutter gelernt habe. Und ich lade gern Leute ein. Unsere Wohnung ist groß genug, um mit vielen Gästen an einem Tisch zu sitzen.

wochenende Der Samstag ist unser Haushaltstag. Da kaufen wir ein, erledigen, was liegen geblieben ist, kümmern uns um die Wohnung, und abends gehen wir meistens aus, oft mit Freunden. Der Sonntag ist ein ruhiger Tag. Wir schlafen aus und gehen raus an die frische Luft, oft mit den Kindern meiner Schwägerin, der Schwester meines Mannes. Ich finde es schön, in der Natur zu sein, denn in der Woche komme ich kaum dazu. Sonntagabend ist meistens »Tatort«-Zeit. Wenn ich es schaffe, schaue ich mir davor auch noch den »Weltspiegel« an.

Mein Mann ist Muslim, seine Eltern kommen aus Marokko, er ist aber wie ich in Hanau geboren. Meine Mutter stammt aus Aden im Jemen. Sie war auf einem orthodoxen Internat, ist also sehr traditionell aufgewachsen. Als 14-Jährige wanderte sie mit einer älteren Schwester nach Israel aus. Das war 1956. Über diese Zeit hat meine Mutter nicht gern gesprochen. Sie wollte in Israel beerdigt werden, wir haben ihr den Wunsch erfüllt.

Mein Vater kommt aus Langenselbold. Anfang der 70er-Jahre machte er Fernreisen und lernte in Israel meine Mutter kennen. Sie heirateten, lebten zunächst in Israel und kamen 1978, kurz vor meiner Geburt, nach Deutschland. Danach war es eigentlich ein Hin und Her. Kaum lebten wir hier zwei Jahre, zog es sie wieder nach Israel, doch 1981 gingen sie nach Deutschland zurück, und nach einem Jahr stand wieder ein Umzug nach Israel an. Endgültig in Deutschland niedergelassen haben wir uns 1986, kurz vor meiner Einschulung in Langenselbold.

tradition Meine Mutter hat sehr viel Wert auf Tradition gelegt. Sie hat alle Feiertage begangen, wir hatten eine koschere Küche, und samstags wurde nicht Auto gefahren. Zu Pessach reisten wir immer zu ihrer Familie nach London. Meine Mutter sagte oft: »Man muss wissen, woher man kommt und darf seine Wurzeln nie verleugnen«. In der hessischen Provinz war es allerdings schwierig, die Religion und Tradition zu leben. Wir waren die einzigen Juden im Ort. Das war zwar bekannt, es war aber nicht so, dass wir damit offen umgegangen wären. Wir haben irgendwann zu Hause auch nicht mehr Hebräisch gesprochen. Meine Mutter meinte, etwas Gutes für uns zu tun, wir sollten hier keine Probleme haben und uns schneller integrieren. Untereinander haben meine Eltern immer nur Englisch gesprochen.

Mein Verhältnis zur jüdischen Religion würde ich mit »sowohl als auch« beschreiben. Ich lebe nach manchen Regeln und praktiziere manche Tradition. So esse ich nach wie vor koscher, trenne zwar Milchiges und Fleischiges, aber nicht in zwei Kühlschränken. Ich orientiere mich an den Vorschriften – so, dass ich sie mit meinem Alltag vereinbaren kann.

prüfungen Ich bin zwar Rechtsanwältin, mache aber Notariatsarbeiten, befasse mich hauptsächlich mit Verträgen, vor allem im Immobilien- sowie im Handels- und Gesellschaftsrecht. Die Notarprüfung habe ich im September abgelegt. Das war eine ziemlich anstrengende Zeit, ein Jahr lang habe ich für die schriftliche und mündliche Prüfung gelernt.

Ich habe in Passau und Heidelberg studiert, in Frankfurt das Referendariat sowie das zweite Staatsexamen gemacht. Zusammen mit Hermann Alter habe ich ein Büro im Bahnhofsviertel. In dieser Kanzlei bin ich seit 2006, also seitdem ich Anwältin bin. Es war meine erste Bewerbung, und ich hatte echt Glück. Auf Hermann Alter hatte mich jemand aus der Gemeinde aufmerksam gemacht. Ich bekam den Tipp, mich doch mal bei ihm zu melden. Eines Tages habe ich also zum Telefon gegriffen und ihn angerufen. Wir trafen uns, und er machte mir das Angebot, dass ich jede Woche ein paar Stunden in seiner Kanzlei arbeiten könne. Aus ein paar Stunden ist immer mehr geworden, inzwischen haben wir eine Bürogemeinschaft.

Montagmorgen kommen wir mit allen Mitarbeitern im Büro zusammen, trinken Kaffee, erzählen vom Wochenende und besprechen, was in der Woche anliegt. Dann geht’s los: Verträge vorbereiten, zu Gericht gehen, Telefonate, Termine. Wenn ich es schaffe, treffe ich mich mittags mit befreundeten Kollegen aus dem Bahnhofsviertel zum Essen. Ich mag das Viertel, hier ist Leben, hier ist immer was los. Hier haben so viele unterschiedliche Kulturen ihren Platz. Ich interessiere mich sehr für andere Kulturen und Sprachen.

Sport Einmal in der Woche ist bei uns immer Sushi-Tag, da lassen wir das Essen ins Büro liefern. Freitags machen wir rechtzeitig Schluss, so um 15 Uhr. Das Ende der Woche läute ich mit Sport ein; ich trainiere in einem Studio in der Nähe meines Büros. Und wenn ich noch Zeit habe, dann gehe ich auf der Hanauer Landstraße in den buddhistischen Tempel zur Akupunktur. Das ist echt gut!

Seitdem ich mit Hermann Alter zusammenarbeite, ist mein Bezug zur Jüdischen Gemeinde stärker geworden. Ich gehe an den Feiertagen in die Synagoge. Und wenn ich es mir einrichten kann, bin ich bei den Mittwochnachmittags-Treffen der WIZO-Frauen dabei. Die Gemeinde gibt mir Halt, gerade nach dem Tod meiner Mutter ist sie für mich zu einem wichtigen Bezugspunkt geworden. Ich überlege, ob ich mich nicht mehr engagieren sollte. Ich hatte noch nie so viel Zeit wie jetzt.

Und wenn ich auch noch meine Promotion beendet habe, wird es richtig entspannt. Dann werden wir auch mehr reisen können. Ende Dezember waren wir am Bodensee bei einer Freundin aus Studienzeiten. Sie hat sechs Geschwister. Die haben sich alle mit ihren Familien im Elternhaus getroffen. Und mein Mann und ich waren dabei. Das war sehr schön! Wir saßen zusammen, haben geplaudert, sind spazieren gegangen, haben gut gegessen und viel gelacht. Ich mag diese Art von Geselligkeit.

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