Erinnerungskultur

»Vielen Deutschen ist Babyn Jar kein Begriff«

Marina Schubarth über die Schoa in der Ukraine, Unwissen junger Generationen und bilaterale Begegnungen

von Christine Schmitt  06.10.2021 09:01 Uhr

Regisseurin Marina Schubarth Foto: imago stock&people

Marina Schubarth über die Schoa in der Ukraine, Unwissen junger Generationen und bilaterale Begegnungen

von Christine Schmitt  06.10.2021 09:01 Uhr

Frau Schubarth, die Schlucht Babyn Jar liegt in der Ukraine und ist ein Ort des Grauens, denn dort wurden am 29. und 30. September 1941 mehr als 30.000 Juden ermordet – das größte einzelne Massaker an Juden während der Schoa. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Theaterstück dazu auf die Bühne zu bringen?
Vor zwei Jahren war ich in Kiew und habe meine Co-Partnerin Vlada Belosorenko besucht. Wir wollten ein Austauschprojekt mit Deutschland und der Ukraine starten und haben uns an die Deutsche Botschaft gewandt. Da Babyn Jar nun 80 Jahre zurückliegt, fragten die Botschaftsmitarbeiter uns, ob wir uns an das Thema herantrauen würden. Ich fand es auf Anhieb hervorragend und wichtig.

Wie sind Sie vorgegangen?
Ein ganzes Jahr lang habe ich recherchiert. Ich stamme aus der Ukraine und kenne Babyn Jar seit meiner Kindheit, ich war dort auch mit Zeitzeugen und Zwangsarbeitern – in der Ukraine ist der Ort bekannt. Dann ging es in die Archive. In Berlin starteten wir eine Umfrage. Aus diesem Material ergab sich ein schreckliches Resultat: 98 Prozent der Berliner wussten gar nichts darüber. In der Ukraine war Babyn Jar vielen ein Begriff, aber was genau dort passierte, die Geschichte, kannten doch eher wenige. Ich würde mal sagen, 60 Prozent wussten nichts. Also eher unbefriedigend. Vor allem jüngere Leute hatten noch nie davon gehört.

Mit Theater wollen Sie diese Geschichte den Menschen näherbringen?
Genau. Aus den Ergebnissen der Recherchen versuchte ich, ein Szenario zu entwickeln, was hoch kompliziert und komplex war. Ob man es Theaterstück nennen kann, weiß ich nicht, für mich ist es eher eine Gedenkveranstaltung in Form eines Requiems.

Wer hat das Drehbuch geschrieben?
Die Grundlage war ein großer Berg von Informationen – Berichte der Zeitzeugen, Texte von Historikern. Ich habe es dann geschrieben. Zum ersten Mal nach 80 Jahren treffen sich in künstlerischer Weise zwei Länder, Deutschland und die Ukraine.

Wann wird das Stück in Berlin aufgeführt?
Die Theatergruppe »Studio 11« kommt im November. Und wir können ihnen so die Topographie des Terrors, das Holocaust-Mahnmal und Stolpersteine zeigen. All das, was ihnen gar nicht bekannt ist, da es solche Gedenkprojekte in der Ukraine gar nicht gibt. Das sind ja junge Leute, Laienschauspieler und Profis, es ist also ein richtiges Begegnungsprojekt.

Wer finanziert es?
Das Auswärtige Amt. Und dann kamen und kommen im Laufe der Zeit viele Unterstützer dazu, was mich sehr freut, da ich mit so einer Reaktion gar nicht gerechnet habe. Da kommt so viel positive Energie.

Welche Reaktion erwarten Sie vom Publikum?
Ich denke, es wird für alle interessant sein, Neues zu erfahren, denn vieles ist noch unbekannt. Ich bin mir sehr sicher, dass das Requiem, der letzte Teil des Stückes, ein tränenreiches Finale sein wird. Wir haben schon Freunde eingeladen, zuzuschauen, die haben alle geweint. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht das Herz erreicht.

2003 gründeten Sie das Dokumentartheater in Berlin. Was hat Sie dazu bewogen?
Ich habe gemerkt, dass in Deutschland sehr, sehr viele Themen nicht genügend Beachtung finden. In der Theaterlandschaft gibt es viele Menschen, die sich an solche Themen gar nicht heranwagen. Mein Ziel war nicht, eine neue Form zu finden, sondern jungen Menschen Bildungsarbeit zu geben. Die Geschichte von Babyn Jar kennen viele Lehrer nicht, aber wir müssen darüber sprechen. Wir haben hier in Deutschland immer stärker werdenden Rassismus und Antisemitismus – da muss man etwas tun. Theater ermöglicht diese Auseinandersetzung.

Mit der Intendantin, Autorin und Regisseurin sprach Christine Schmitt.

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024