Rezept

Verantwortung

Foto: ddp

An der Schwelle zum jüdischen Jahr 5771 und mitten im bürgerlichen Jahr 2010 schauen wir auf kein schlechtes Jahr in Deutschland zurück. Monatelang hielt uns die Wirtschaftskrise in Bann. Nach jüngsten Meldungen soll sie hierzulande vorbei sein. Gewiss, jetzt kommen noch die Belastungen, die durch die Staatsschulden zur Rettung der Wirtschaft entstanden sind. Doch allgemein durchweht bereits ein Klima der Erleichterung das Land.

Deshalb sollten wir nicht vorschnell die Befürchtungen der beiden letzten Jahre abhaken, sondern einen Moment innehalten. Die Tatsache, dass Deutschland die Krise einigermaßen gut überstanden zu haben scheint, hängt nicht allein, aber auch mit seiner politischen Kultur zusammen. In den USA bestimmt immer noch eine tiefe Rezession das Bild. Gerade dort hatte das trügerische Versprechen eines Neoliberalismus die letzten Jahre geprägt, wonach soziale Gleichgültigkeit, die Umwertung der Gier zur Tugend und das Vorrecht der »Gewinner« zu mehr Wohlfahrt für alle führen.

Diese Einstellung färbte durchaus auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik in Deutschland ab. Trotzdem orientierte sich die hiesige politische Kultur weiterhin auch an ihrer sozialen Verantwortung für alle Bevölkerungsschichten. Das hat die Krise einigermaßen abfangen können. Die Ursprünge dieses Denkens liegen maßgeblich im Judentum – dessen sollten wir uns bewusst sein.

Aufschwung Viel hat sich im jüdischen Leben hierzulande verändert. Auch wenn die Schoa schmerzhaft nachwirkt und der Antisemitismus neuerdings vor allem unter Jugendlichen ein Revival erfährt, konstatieren viele Juden, in einem Land zu leben, dessen man sich nicht mehr zu schämen braucht, das in mancher Hinsicht sogar politisch wegweisend ist. Zugleich hat es eine erstaunliche Entwicklung innerhalb des jüdischen Lebens gegeben. Hiervon zeugen liberale und orthodoxe Rabbinerordinationen, viel beachtete Ausstellungen in den jüdischen Museen, jüdische Kulturveranstaltungen und Filmfestivals, vor allem aber eine immer pluralistischer werdende Landschaft jüdischer Gemeinden. Jüdisches Leben wird zunehmend als Bestandteil der deutschen Gesamtgesellschaft wahrgenommen.

Neuerdings ist oft vom »jüdisch-christlichen Kulturerbe« Europas die Rede. Mancher Jude mag dem nur schwer zustimmen, ist doch der jüdische Anteil dieses Erbes viele Jahrhunderte lang geleugnet worden. Heute jedoch dürfen wir uns fragen, wie der jüdische Anteil bei der politischen Gestaltung Deutschlands und Europas, und dies auch in einem globalen Zusammenhang, vertieft werden kann.

Verantwortung Umkehr, die zentrale Forderung der Hohen Feiertage beginnt bei der kritischen Selbstbefragung. Aber sie endet nicht bei der persönlichen Läuterung. Sie verlangt, dass wir Verantwortung für die Welt übernehmen, in der wir leben. Möge unsere Teschuwa uns und den anderen helfen, die kleinen und die großen Herausforderungen im kommenden Jahr besser meistern zu können. Im Namen meiner Kollegen und Kolleginnen der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschlands wünsche ich Ihnen allen sowie unseren Brüdern und Schwestern im Land Israel ein gesegnetes, friedliches und erfolgreiches neues Jahr.

Leschana Towa Tikatwu wetechatemu

Landesrabbiner em. Henry G. Brandt für die Allgemeine Rabbinerkonferenz

Graphic Novel

Gezeichnete Erinnerungen

Die Geschichte von vier Überlebenden für Kinder erzählt

von Jan Popp-Sewing  06.06.2023

Biografie

Schöneberg, Sydney, Neukölln

Der Regisseur Aaron Lucas hat in »Iʼll be Frank« das Leben seines Großvaters verfilmt

von Katrin Richter  06.06.2023

»Slammt Tacheles!«

Poetry Slam-Wettbewerb auf der Zielgeraden

Am 13. Juli wird die Jury die zu prämierenden Beiträge auswählen

von Imanuel Marcus  06.06.2023

»Jetzt ist die Zeit«

Kirchentag in Nürnberg

Im Programm sind zahlreiche jüdische Themen vertreten

von Joshua Schultheis  05.06.2023

Nürnberg

Erstmals wieder ein Gottesdienst an ehemaliger Hauptsynagoge

Am früheren Standort des von den Nazis zerstörten Gotteshauses soll der Schabbat begangen werden

 05.06.2023

Portät der Woche

Blick in die Seele

Alisa Goldman ist Verhaltenstherapeutin und arbeitet im Jüdischen Krankenhaus in Berlin

von Gerhard Haase-Hindenberg  04.06.2023

JLEV

Ein volles Programm

Der Vorstand des neuen liberal-egalitären Verbandes arbeitet an einem umfangreichen Angebot

von Christine Schmitt  04.06.2023

Frankfurt

Ein »Mentsch« mit Verstand

Der Gemeindevorsitzende und Architekt Salomon Korn wird 80 Jahre alt. Eine Würdigung von FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube

von Jürgen Kaube  03.06.2023

Gratulation

Meister der geschliffenen Worte

Der Frankfurter Gemeindevorsitzende und Architekt Salomon Korn wird 80. Ein Grußwort des Zentralratspräsidenten

von Josef Schuster  03.06.2023