Ihren Arbeitsplatz kennt Elisabeth Frey-Salz in- und auswendig. Kaum verwunderlich, denn immerhin arbeitet die Pädagogin schon seit knapp 35 Jahren in der Franz-Herschtritt-Kindertagesstätte der Kölner SynagogenGemeinde. Inzwischen hat sie es zur Leiterin der Betreuungseinrichtung gebracht, trägt die Verantwortung für 13 Mitarbeiter.
Von denen sind viele ebenfalls schon seit Jahren in der jüdischen Kindertagesstätte aktiv. »Ein gewachsenes Team«, wie Frey-Salz betont, »mit nur wenig Wechseln«. Dass sie selbst so lange an diesem Ort bleiben würde, hat sie vermutlich nicht geahnt, als sie sich vor knapp dreieinhalb Jahrzehnten auf eine Erzieherinnen-Stelle bewarb. Am Anfang stand die Neugier auf das Fremde, Unvertraute – das Judentum.
»Ich fand das damals sehr spannend«, erzählt Frey-Salz, »nicht zuletzt weil Christentum und Judentum gemeinsame Wurzeln haben.« Wie ein Großteil ihrer Mitarbeiterinnen ist die Leiterin der jüdischen Kindertagesstätten nichtjüdisch. Frey-Salz ist gläubige und praktizierende Christin. Die Eltern der 60 Kindern der Franz-Herschtritt-Kita wissen das selbstverständlich. Die Kleinen hingegen merken das weder bei ihr noch bei den anderen Erzieherinnen und Erziehern. »Die wissen nicht, wer von uns jüdisch ist oder nicht.«
Arbeitsmarkt Es ist kein seltenes Phänomen. In vielen jüdischen Kindertagesstätten stellen mittlerweile nichtjüdische Pädagogen die Mehrzahl des Personals. In Köln hängt das damit zusammen, dass sich nicht genügend jüdische Kindergärtnerinnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt tummeln. »Wir versuchen immer jüdisches Personal zu finden, am besten russischsprachiges«, erklärt Frey-Salz. Alszuoft aber bleibt die Suche ergebnislos.
Knapp 100 Kilometer nördlich von Köln sind andere Kriterien bei der Personalsuche entscheidend. »Als Leiterin ist mir wichtig, dass unsere Pädagogen gut ausgebildet sind«, betont Dariya Itunina, Leiterin des jüdischen Kindergartens in Duisburg. »An zweiter Stelle steht die Bereitschaft mit mir zu lernen.« Lernen müssen im Ruhrgebiet nicht nur die Kinder. Gerade einmal zwei der sechs Pädagogen der Kita sind jüdischen Glaubens. In Duisburg allerdings ist dieses Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden kein Ergebnis von Personalnotstand, sondern Teil des Konzepts.
Als die Kindertagesstätte der Gemeinde Duisburg-Mühlheim/Ruhr-Oberhausen vor knapp zwei Jahren die Pforten öffnete, entschloss man sich bewusst, bislang unbekannte Pfade zu beschreiten. Neben jüdischem Personal sollten auch Christen und Muslime an der Erziehung der Kleinsten beteiligt sein. »Wir haben damals gesagt: Wir sind ein jüdisches Haus. Aber wir stehen auch andersgläubigen Familien offen«, so Itunina.
Strikt koscher Ein »jüdisches Haus« ist die Kindertagesstätte nach wie vor, auch wenn von den 35 Kindern, die dort betreut werden, inzwischen gut die Hälfte nicht aus der Gemeinde stammt. Nach wie vor wird strikt koscher gekocht, werden der Schabbat und die jüdischen Feiertage traditionell begangen. »Das war für mich sehr spannend, als ich die jüdischen Feste und Gebete kennenlernen durfte«, erinnert sich Eva Tersteegen, stellvertretende Kita-Leiterin und Christin.
Mittlerweile gibt sie das erworbene Wissen, das gelegentlich mithilfe des Gemeinderabbiners und der jüdischen Kolleginnen noch vertieft wird, an die Kinder weiter. Davon profitieren nicht selten auch die Eltern. »Denn für viele Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion ist alles, was mit dem jüdischen Glauben zu tun hat, Neuland.«
Konzept Neuland ganz anderer Art betritt derweil die Gemeinde in Osnabrück mit ihrer ersten »trialogischen« Grundschule, in der christliche, muslimische und jüdische Schüler unterrichtet werden sollen. Das gemeinsame Projekt des katholischen Bistums, der jüdischen Gemeinde und der Vertretung der Muslime in Niedersachsen, soll nach dem Willen der Verantwortlichen ab dem Schuljahr 2012/2013 den Dialog der Religionen fördern. Für die jüdische Gemeinde bringt das den Vorteil, dass ihre Kinder künftig an einer Schule unterrichtet werden, anstatt an verschiedenen Einrichtungen über die Stadt verteilt.
Religion erleben Damit soll ein Umfeld geschaffen werden, in dem sie ihre Religion erleben können. Im ersten Jahrgang werden allerdings nur zwei Kinder aus der Gemeinde vertreten sein. »Mehr sind es nun mal nicht«, bedauert Michael Grünberg, Vorsitzender der Gemeinde.
Der Grundstein für die jüdische Erziehung soll allerdings auch in Osnabrück schon vor der Einschulung gelegt werden. Bereits diesen Sommer startet das Projekt jüdisch-christlicher Kindergarten. Innerhalb der Kita Sankt Barbara soll eine eigene Gruppe für jüdische Kinder entstehen. Zwölf Anmeldungen liegen bislang vor. Und auch in Osnabrück gestaltet sich die Suche nach jüdischem Fachpersonal schwierig. Die Leiterin des unter dem Namen »Jüdischer Kindergarten König David« firmierenden Projekts ist christlich. »Wir hatten aber das Glück, noch eine jüdische Helferin zu finden«, so Grünberg.
Fortbildung Schon in den kommenden anderthalb Jahren soll aus der provisorisch in Containern untergebrachten Gruppe eine echte Kita werden. Bis dahin, hofft Grünberg, werde auch die Zahl der jüdischen Pädagogen steigen. Bis es so weit ist, setzt man bei den Gemeinden auf die Fortbildung des nichtjüdischen Personals. Entsprechende Angebote hält etwa die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) bereit.
»Nur so wächst man in die Aufgabe hinein«, glaubt Elisabeth Frey-Salz. In Köln stellen die jüdischen Kinder noch die klare Mehrheit. Und gerade orthodoxe Eltern achten besonders auf die Einhaltung der Mizwot. Größere Missverständnisse oder Irritationen habe sie in ihrer 35-jährigen Tätigkeit aber noch nicht erlebt, berichtet Frey-Salz.
Auch wenn im Duisburger Kindergarten bislang keine Kinder aus orthodoxen Familien angemeldet sind, werden die Pflichten hier nicht minder streng gehandhabt. »Letztlich geht es darum, unsere jüdischen Normen und Sitten auch den nichtjüdischen Kindern zu vermitteln, um Vorurteile auszuräumen«, sagt Darya Itunina.