Buch

Starker Stoff

Hausvogteiplatz Berlin Foto: imago/Travel-Stock-Image

In seinem neuesten Buch konzentriert sich der Autor Uwe Westphal auf die Modemetropole Berlin 1836–1939. Entstehung und Zerstörung der jüdischen Konfektionshäuser, so der Titel. Westphal ist kein Neuling auf diesem Gebiet, sondern forscht bereits seit mehr als 30 Jahren zu diesem Thema.

Neben einem chronologischen, intensiv recherchierten Teil stellt der Historiker neun Einzelschicksale von Inhabern vor und ergänzt diese mit vier Interviews und einem Register, in dem Firmen aus der Berliner Damenkonfektion am Hausvogteiplatz in Berlin-Mitte vorgestellt werden. Westphals Buch ist zeithistorisches Sachbuch und Nachschlagewerk in einem: Es beschreibt die Blütezeit der Konfektionsbranche – die jäh endete, als die Nazis an die Macht kamen.

zuwanderung 1820 setzte eine Zuwanderung der rechtlosen und verarmten jüdischen Bevölkerung aus Posen nach Berlin ein. Viele der Zugewanderten waren Schneider. Die Gewerbefreiheit ebnete den Weg – in den folgenden Jahren entstanden jüdische Kaufhäuser, für die immer mehr Mode produziert wurde.

Mitte des 19. Jahrhunderts galt der Hausvogteiplatz als Zentrum für Mode und Konfektion – dank jüdischer Firmen.

1836 listet das Berliner Adressbuch bereits elf Damenmäntel-Geschäfte und »41 Kleiderhändler für Damen und Herren« auf. Wenig später, Mitte des 19. Jahrhunderts, galt der Hausvogteiplatz als Zentrum für Mode und Konfektion. Hunderte Firmen siedelten sich hier an, deren Modedesigns weltweit exportiert wurden. 1933 hatten sich in Berlin 2400 Firmen mit mehr als 90.000 Beschäftigten etabliert.

ZWANGSARBEIT Das Kapitel, das die »arische« Mode und die Vertreibung der jüdischen Modemacher aufgreift, ist besonders spannend. Die Nazis wollten die namhaften jüdischen Firmen am Hausvogteiplatz vernichten, brauchten andererseits jedoch die Devisen, die diese durch einen erfolgreichen Export einbrachten. Mit den Devisen finanzierten die Nazis ihre Aufrüstung.

Eines der bewegendsten Kapitel dürfte »Haute Couture in Auschwitz« sein. Denn Zwangsarbeiter, die in Deutschland all ihre Rechte und ihren Besitz verloren hatten, mussten in Auschwitz und Theresienstadt nähen. Und: »Die Wahrscheinlichkeit, dass eine große Zahl von Berliner Zwangsarbeitern im Ghetto Litzmannstadt für die Modefirmen produzierten, in denen sie einst tätig gewesen waren oder die ihnen vielleicht sogar gehörten, ist groß«, schreibt Westphal.

Lodz wurde zur Bekleidungsfabrik der Nazis schlechthin. Von der Zwangsarbeit profitierten nach 1945 Firmen wie Neckermann oder Hugo Boss – auch das zeigt der Autor auf.

Der Autor hinterfragt das Desinteresse der Modemacher, die Geschichte ihrer jüdischen Vorläufer aufzuarbeiten.

Für Uwe Westphal bleibt die letzte Frage ungeklärt: Warum haben die Modemacher kein Interesse, die eigene Tradition der jüdischen Vorläufer und deren Schicksal in der Nazizeit aufzuarbeiten? Mittlerweile würden sich viele deutsche Unternehmer der Aufarbeitung ihrer NS-Geschichte durch unabhängige Historiker stellen, Hugo Boss beispielsweise.

Hingegen würden die deutschen Textil- und Modeverbände – und auch die Macher der Fashion Week – wegschauen. Bis heute.

Uwe Westphal: »Modemetropole Berlin 1836–1939. Entstehung und Zerstörung der jüdischen Konfektionshäuser«. Henschel, Leipzig 2019, 272 S., 28 €

Sachsen

Landesbeauftragter: Jüdisches Leben auch in Sachsen gefährdet

Die Hemmschwelle, in eine Synagoge zu gehen, sei größer geworden, sagt Thomas Feist (CDU)

 25.04.2024

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024