Hanau

Solidarität und Mitgefühl

Gedenken an die Toten in der Ruine der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Wallonisch-Niederländischen Kirche Foto: Rafael Herlich

Hanau

Solidarität und Mitgefühl

Stadtgesellschaft und Religionsgemeinschaften gedachten der neun Opfer des rassistischen Anschlags

von Eugen El  25.02.2021 16:13 Uhr

Am vergangenen Freitag stand Hanau ganz im Zeichen des Gedenkens. Die Namen und Gesichter der vor einem Jahr beim rassistischen Anschlag vom 19. Februar getöteten neun Männer und Frauen, Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov, waren vielerorts präsent. Oft war die Aufforderung: »Say Their Names« zu lesen. Mehrere Plakate forderten Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Auch am Brüder-Grimm-Denkmal vor dem Hanauer Rathaus wurde namentlich der Opfer gedacht.

»Der Täter hat sich nicht in einem Vakuum radikalisiert.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Die hessische Stadt wirkt bis heute vom Anschlag gezeichnet. In seiner Erklärung zum ersten Jahrestag ging Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, auf die Auswirkungen des 19. Februar ein: »Als ich im vergangenen Jahr einen Tag nach dem Anschlag in Hanau war, war die Trauer in der ganzen Stadt zu spüren. Die Angehörigen der Opfer müssen seit diesem Tag mit dem schrecklichen Verlust leben. Viele Betroffene leiden noch heute unter den Spätfolgen des Anschlags.« Schuster betonte: »Ihnen gilt unsere Solidarität und unser Mitgefühl. Die Hinterbliebenen brauchen konkrete und nachhaltige Unterstützung.« Und der Zentralratspräsident mahnte: »Der Täter hat sich nicht in einem Vakuum radikalisiert.« Jetzt gelte es, die rechtsextremen Netzwerke, die weiterhin existieren, aufzudecken.

Bundespräsident Eine offizielle Gedenkfeier fand am Freitagabend im Hanauer »Congress Park« statt. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahmen daran Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) sowie die Familien der Opfer teil. Zuvor gedachten Bürger und Organisationen bei dezentralen Kundgebungen und Aktionen der Getöteten. Die Jüdische Gemeinde Hanau veranstaltete gemeinsam mit der Wallonisch-Niederländischen Kirche und den katholischen Stadtpfarreien eine Gedenkstunde, die an die Tradition des toleranten Zusammenlebens unterschiedlicher Religionen gemahnen sollte.

»Vor einem Jahr ist etwas zerbrochen, was wir als Gesellschaft vielleicht viel zu selbstverständlich hingenommen haben – unser Zusammenleben.«

Pfarrer Torben W. Telder

Sie fand unter freiem Himmel am Denkmal für Graf Philipp Ludwig II. statt, das an der Ruine der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Wallonisch-Niederländischen Kirche steht. Der Hanauer Graf hatte 1603 eine Urkunde erlassen, die der Jüdischen Gemeinde die Existenz, religiöse Autonomie sowie Selbstverwaltung garantierte. Schon 1597 schloss er einen ähnlichen Vertrag mit den reformierten Wallonen und Niederländern. 1809 ermöglichte ein Dekret von Napoleon den Hanauer Katholiken wieder den Gottesdienst. Um daran zu erinnern, verlasen bei der Gedenkstunde Vertreter der drei Religionsgemeinschaften Ausschnitte aus den jeweiligen historischen Dokumenten. Für die Jüdische Gemeinde sprach Geschäftsführer Oliver Dainow.

Zusammenleben »Vor einem Jahr ist etwas zerbrochen, was wir als Gesellschaft vielleicht viel zu selbstverständlich hingenommen haben – unser Zusammenleben«, sagte Torben W. Telder, Pfarrer der Wallonisch-Niederländischen Kirche in Bezug auf den Anschlag vor einem Jahr. »Wir stehen zusammen und sind doch verschieden«, betonte er. Für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen sprach Alfred Jacoby. Er erinnerte unter anderem an die Hanauer »Tradition der Toleranz und des friedvollen Nebeneinanders«.

»Der 19. Februar 2020 war der schwärzeste Tag unserer Stadt seit 1945«, sagte Hanaus Stadtverordnetenvorsteherin Beate Funck (SPD). »Wir dürfen nicht vergessen«, mahnte sie nach der Verlesung der Namen der Anschlagsopfer. Anschließend las Funck die Präambel und mehrere Artikel des Grundgesetzes vor. Rabbiner Shimon Großberg und der katholische Diakon Philipp Schöppner sprachen Gebete für Frieden, Toleranz und die Opfer.

Gedicht Ihren bewegenden Abschluss fand die Gedenkstunde mit der erneuten Nennung der Namen der Getöteten und dem Vortrag eines Auszugs aus dem Gedicht, das Amanda Gorman bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden am 20. Januar vorgelesen hatte. Die von Sarah Ahouansou vorgetragenen Verse setzten einen hoffnungsvollen, kämpferischen Schlussakzent: »Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.«

Gedenken

Neues Denkmal für jüdische Häftlinge in Gedenkstätte Ravensbrück

Etwa 20.000 Jüdinnen und Juden sind im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg inhaftiert gewesen. Die heutige Gedenkstätte hat nun ein neues Denkmal enthüllt - im Beisein von Überlebenden

von Daniel Zander  06.11.2025

Ehrung

»Wir Nichtjuden sind in der Pflicht«

Am Mittwochabend wurde Karoline Preisler mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

 06.11.2025 Aktualisiert

Reaktionen

Zohran Mamdanis Sieg spaltet die jüdische Gemeinschaft

Während ein Drittel der New Yorker Juden den neuen Bürgermeister gewählt hat, haben andere Angst, dass dessen Antizionismus ihre Sicherheit gefährdet

 06.11.2025

Hamburg

Viel mehr als Klezmer

In der Hansestadt haben die zweiten Jüdischen Kulturtage begonnen. Bis Mitte Dezember erwartet die Besucher ein breit gefächertes Programm – inklusive einer jiddisch-hebräischen Oper

von Heike Linde-Lembke  06.11.2025

Düsseldorf

»Eine Stimme, wo andere schwiegen«

Die Gemeinde zeichnet Wolfgang Rolshoven mit der Josef-Neuberger-Medaille aus

von Stefan Laurin  06.11.2025

Berlin

Andacht für Margot Friedländer: »Du lebst weiter«

Sie war Holocaustüberlebende, Berliner Ehrenbürgerin und eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Gestern wäre Margot Friedländer 104 Jahre alt geworden. An ihrem Grab erinnern Freunde und Bekannte an sie

von Andreas Heimann  06.11.2025

Laudatio

»Wie hält man so etwas aus?«

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hielt die Laudatio auf Karoline Preisler anlässlich der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises in Berlin. Eine Dokumentation

von Julia Klöckner  05.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Berlin

Davidstern-Gemälde an East Side Gallery beschmiert

Der Tatverdächtige konnte gefasst werden. Bei der Begehung seines Wohnhauses fand die Polizei mehrere Hakenkreuze

 05.11.2025