Kassel

Solidarität in schwierigen Zeiten

Die Band Sistanaglia beim »Israel Day« in Kassel: Das Quintett besteht aus israelischen und iranischen Musikern. Foto: Joachim F. Tornau

Nicht auf alle Fragen gibt es Antworten, keine einfachen jedenfalls. Doch das ist kein Grund, sie nicht zu stellen, im Gegenteil. »Wir haben gedacht, wir müssten doch alles wissen«, sagt Ilana Katz. »Aber dann haben wir gemerkt: Das stimmt gar nicht.« Die Gründerin und Geschäftsführerin des Sara Nussbaum Zentrums für Jüdisches Leben führt eine Besuchergruppe durch die Ausstellung, mit der das Kasseler Zentrum zum Dialog einlädt.

Über Klischees und Vorurteile, über den Antisemitismus, dessen Gegenwärtigkeit der documenta-Skandal des vergangenen Jahres auch in Kassel unübersehbar gemacht hat, aber vor allem auch über das Verbindende – zwischen den Religionen und zwischen allen Menschen, denen Demokratie und Menschenrechte am Herzen liegen.

»Netz gegen Hetz« heißt diese Ausstellung, und gleich im ersten Raum hängen die schwierigen Fragen an der Wand. Ist Integration dasselbe wie Assimilation? Oder: Sollen Juden nicht eigentlich in Israel leben? »Das ist die erste Frage, die uns bei jedem Rundgang und jedem Workshop gestellt wird«, sagt Katz. Kein Fall für ein schlichtes Ja oder Nein, zumindest so viel ist klar.

Garten Am Sonntag lud das Sara-Nussbaum-Zentrum zusammen mit der Kasseler jüdischen Gemeinde und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zum »Israel Day«. Bei koscheren Hotdogs und israelischem Wein feierten rund 300 Menschen das 75. Jubiläum der Staatsgründung Israels, sommerlich-entspannt unter den hohen Linden- und Kastanienbäumen im Garten des Zentrums und umrahmt von großformatigen Fotos, die, ringsum an den Hauswänden befestigt, das Fernweh nach dem gelobten Land befeuerten. Oder das Heimweh.

Zu den Gästen gehörte auch eine Schulklasse aus Kassels israelischer Partnerstadt Ramat Gan, die derzeit zum Austausch in Nordhessen weilt.
»Israel ist ein Land, das für uns alle von besonderer Bedeutung ist«, sagt Zentrumsgründerin Katz, die zugleich der Jüdischen Gemeinde vorsteht, als sie das Gartenfest am frühen Abend eröffnet.

»Es ist ein Symbol des Fortschritts und der Hoffnung. Gerade in schwierigen Zeiten müssen wir an der Seite Israels stehen und uns für Freiheit und Demokratie einsetzen.« Zusammenkommen, miteinander sprechen, gemeinsam feiern, nicht trotz der aktuellen Entwicklungen in Israel also, sondern jetzt erst recht – so jedenfalls sieht es Elena Padva, die Leiterin des Sara-Nussbaum-Zentrums: »Gerade jetzt ist es wichtig, solidarisch mit Israel zu sein.« Wohlgemerkt: mit dem Staat, nicht mit der Regierung, das ist der gewichtige Unterschied, den antisemitisch aufgeladene »Israel-Kritik« gern unter den Tisch fallen lässt.

Sommerfest »Alle Juden, egal, wo sie leben, sind mit Israel verbunden«, erklärt Padva. »Man spürt diese Verbundenheit. Es ist wichtig für uns, dass es diesen jüdischen Staat gibt.« Als Schutzraum und, ganz buchstäblich, als »Lebensversicherung«, als Ort, an dem man jederzeit sofort aufgenommen würde. Und mehr noch: »Seit 2000 Jahren ist Israel ein Sehnsuchtsort für die jüdische Community.« Die Heiterkeit und Leichtigkeit des Sommerfests soll das spürbar machen.

»Alle Juden, egal, wo sie leben, sind mit Israel verbunden.«

Elena Padva

Constantin Ganß, Bundesvorsitzender des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, formuliert es in seiner Begrüßung so: Israel sei ein wahr gewordenes Märchen. »Israel ist da. Und es ist da, um zu bleiben.« Das gelte es zu feiern, so ernst die Lage auch sein möge. »Wir lassen uns nicht unterkriegen!« Dem Thema, das Ganß nur andeutet – die Justizreform der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu –, hatte das Sara-Nussbaum-Zentrum drei Tage zuvor eine eigene Veranstaltung mit dem Historiker und Journalisten Ralf Balke gewidmet.

Doch natürlich wird auch an diesem Sommerabend darüber diskutiert. Dafür sorgt schon Kassels designierter Oberbürgermeister Sven Schoeller, der in einem nicht ganz so heiteren Grußwort den bemerkenswerten Bogen schlägt von seiner, wie er sagt, »Sorge um die Rechtsstaatlichkeit in Israel« zur Situation in Deutschland.

»Wir müssen uns kritisch fragen: Geht es uns so viel besser?«, meint der Grünen-Politiker und verweist auf den wachsenden Antisemitismus und auf das Umfragehoch der AfD. »Das Recht allein«, betont der Jurist, »hilft uns nicht gegen diejenigen, die es darauf anlegen, unsere Werteordnung zu zerstören. Dafür müssen wir zusammenstehen.«

Begegnung Gekommen sind zum »Israel Day« nicht allein Mitglieder von Jüdischer Gemeinde und Deutsch-Israelischer Gesellschaft, von Kirchen und anderen Kooperationspartnern des Sara-Nussbaum-Zentrums, sondern viele weitere Menschen aus der Stadtgesellschaft. Begegnung und Dialog, darum geht es.

Und mit Sistanagila aus Berlin tritt als Höhepunkt des Festes dann eine Band auf, die genau das in Musik übersetzt: Das Quintett aus israelischen und iranischen Musikern lässt Klezmer, sefardische und traditionell persische Musik aufeinandertreffen, spielt religiöse und folkloristische Melodien, bedient sich bei Flamenco, Jazz und sogar Metal. All das in faszinierender Virtuosität und mit größter Selbstverständlichkeit. Keine Spur eines Gegeneinanders, sondern pures Miteinander – Musik als Vorbild für ein menschliches Zusammenleben.

Draußen stehen derweil uniformierte Polizisten, um die Veranstaltung zu schützen, zu tun aber bekommen sie nichts. »Polizei, wollt ihr Hotdogs?«, fragt sie eifrig ein kleines Mädchen. Die Beamten mögen. Entspannter geht es kaum.

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