Heiligenhaus

Silber, Sterne und Siddur

Lenin, Che Guevara und Familienfotos: Axel Geschs Arbeitsraum ist Werkstatt und Museum zugleich. Foto: Alexandra Umbach

Der funkelnde Treidel, das Che-Guevara-Plakat, das Foto der Enkelin, der DDR-Sparkassenkalender, der Davidstern-Schlüsselanhänger – jeder einzelne Gegenstand birgt Erinnerungen. Unzählige Sammelobjekte bedecken Wände, Möbel, sogar die Decke. »Das ist mein Museum«, erklärt Axel Gesch. Neben dem Heizungskeller in einem Mehrfamilienhaus in Heiligenhaus bei Düsseldorf hat er ein Sammelsurium der besonderen Art ausgestellt. Und hier ist seine Werkstatt, hier entsteht seine Schmuckkollektion. Die Ringe, Anhänger, Ohrringe, Armbänder und Broschen aus Silber und Gold sind geordnet in kleine Vitrinen und Schmuckschatullen mit Glasdeckeln. Sie geraten optisch zunächst zur Nebensache. Und sind doch das Wichtigste für Axel Gesch, der auf diesen rund zehn Quadratmetern etwa 50 Stunden in der Woche verbringt.

»In meinem Schmuck steckt Herzblut«, sagt er mit seiner sonoren Stimme. Er trägt einen großen Davidstern als Amulett um den Hals. Gefertigt aus einer Medaille, die zur Staatsgründung Israels herauskam. Seine Kippa auf den kurzen grauen Haaren ist aus dunkelgrünem Stoff und zart bestickt in Rot-Orange. Die Lederweste über dem schwarzen Sweatshirt verleiht ihm handwerkliche Aura. Ein schmaler Gang führt zu einem kleinen Tisch. An ihm fertigt Axel Gesch jüdischen Schmuck in Handarbeit. Preziosen mit religiösem Bezug, oft mit hebräischen Schriftzeichen oder jüdischer Symbolik.

Anstoss »Vor knapp 20 Jahren habe ich eine Silbermünze geschenkt bekommen und einen Davidstern daraus gesägt. Von da an ging es los«, erinnert sich der 59-Jährige. Davor hatte er sich mit Holzkunsthandwerk beschäftigt, nun wurde er zum Hobby-Silberschmied. Verkauft hat er damals kaum etwas. Als in Düsseldorf bei einem S-Bahn-Anschlag Gemeindemitglieder verletzt wurden, saß Axel Gesch in seiner Werkstatt und fertigte gerade einen Ring für Iris Berben, der ihr verliehen werden sollte. Er bekam den Text »Wenn nicht jetzt, wann dann?«.

Mit diesem Spruch aus dem Talmud und einer vagen Idee, helfen zu wollen nahm die Geschichte von Axel Gesch, der selbst Mitglied der Wuppertaler Gemeinde ist, die mittlerweile umfangreichen Schmuckkollektion ihren Fortgang. Er wollte Ringe zugunsten der Anschlagsopfer verkaufen. Das gelang, in drei Monaten, kamen 20.000 Mark Spenden zusammen.

Damals arbeitete er noch im Außendienst bei einer Krankenkasse. Kurz darauf musste er seinen Job aufgeben, weil er durch Krankheit erwerbsunfähig geworden war. Frühberentung mit 49 Jahren. Als Autodidakt brachte er sich die Schmuckschmiedekunst selbst bei. Er entwickelte ein Schmuckprogramm, ging erstmals auf Kunsthandwerkermärkte. Dann entwarf seine Frau eine Internetseite, machte Fotos, und der Käuferkreis erweiterte sich.

Unerkannt Einmal bestellte Franka Potente. »Ich kann mir keine Schauspielernamen merken«, sagt Angela Gesch, die die Aufträge bearbeitet. So blieb die prominente Auftraggeberin von Geschs unerkannt. Der Ring war für Potentes damaligen Freund, »Herr der Ringe«-Hauptdarsteller Elijah Wood bestimmt. Als dann schließlich ein Kunde kam, der den gleichen Ring wie der amerikanische Schauspieler kaufen wollte, erfuhr das Ehepaar erst, für wen sie eigentlich den Ring hatten herstellen sollen.

Oft sei seine Arbeit monoton und langwierig, meint der Silberschmied. Bei Axel Gesch steht die Handarbeit im Vordergrund. Hörbücher aus der Stadtbücherei unterhalten ihn beim stundenlangen Feilen und Schleifen. Der andere Part, das Kreative, das Entwerfen neuer Modelle, passiere einfach. »Man kann nichts erzwingen, das haut nicht hin. Ich kann gar nicht sagen, wie meine Ideen entstehen, die kommen einfach«, beschreibt er seine Vorgehensweise. Der Zeichenblock ist immer griffbereit. In der Wohnung, bei Seminaren und Einladungen. Falls nicht, skizziert er seine Idee auf einen Bierdeckel.

Überzeugung Die Lektüre von Tora und Talmud ist dem gläubigen Juden wichtig. Manchmal beschäftige er sich tagelang mit einzelnen Texten. »Sie müssen mir selbst auch alle etwas sagen«, meint Axel Gesch überzeugt und ergänzt: »Über die Religion kam ich an den Schmuck.« Und über die Inschriften auf den einzelnen Stücken kommt er mit den Menschen ins Gespräch. Denn neben dem Internetverkauf kommen immer mal wieder Kunden in seine kleine Kellerwerkstatt.

Dann staunen sie über die eigenwillige Mischung aus sozialistischer Vergangenheit, jüdischem Kitsch und den »Kleiner Prinz«-Utensilien, die sich hier vereinen. Sie sitzen auf der schmalen Holzbank, suchen sich ein Schmuckstück aus und finden Bezüge zu ihrem Leben. »Bringen Sie Zeit mit«, kündigt Axel Gesch schon am Telefon an, wenn jemand sich anmeldet. »Da kommen Menschen zu mir, die wollen ein Schmuckstück kaufen und bleiben zwei oder vier Stunden.« Wenn sie anfangen zu erzählen, bleibt die Feile liegen. Dann widmet sich Axel Gesch ganz dem Menschen und hört zu. Seine Produktion ruht, wenn er von Lebensumbrüchen oder Krankheiten, von Zukunftsvorhaben oder Trauerfällen hört. »Keinen hat es gegeben, der kommt, kauft, geht. Aber das ist für mich keine verschenkte Zeit.«

Oft ist Axel Gesch schon vor fünf Uhr in der Früh in der Werkstatt. »Dann ist mein Schlaf vorbei.« Dafür gibt es nach dem Mittagessen ein mehrstündiges Nickerchen. Nach einem halben Tag, wenn sich das Räumchen mit Zigarettenqualm gefüllt hat, zieht es ihn wieder in den vierten Stock. Hier hat das Ehepaar eine Wohnung mit Blick auf die Ausläufer des Bergischen Landes. Das holzvertäfelte Wohnzimmer hat Axel Gesch selbst hergerichtet. Holzmöbel füllen den Raum mit Gemütlichkeit.

Lebenswerk Auf dem Tisch glänzt eine prunkvolle Chanukkia. Auf den Deckeln der einzelnen Leuchter sind Segenssprüche eingraviert. »Mein Lebenswerk«, sagt Axel Gesch und erzählt von den rund 3.000 Arbeitsstunden, die er in den vergangenen 13 Jahren in dieses Kunstwerk gesteckt hat. Die gesägten Stellen mussten auf Hochglanz poliert werden. Er lacht. »Vielleicht interessiert sich ja mal jemand dafür«, hofft der Kunsthandwerker.

Er schenkt sich Hagebuttentee ein. Aus einer Porzellankanne mit Motiven aus dem Kleinen Prinzen. Neben der religiösen Symbolik die zweite Vorliebe des Silberschmieds, die sich auch in seiner Kollektion niederschlägt. »Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry ist mein Lieblingsbuch.« Axel Gesch wippt im Ledersessel mit dem orangefarbenen Überwurf. Doch sein Schwerpunkt bleibt die jüdische Religion, die sich in den Silberarbeiten widerspiegelt. Massive Ringe mit Talmudtexten, Ohrstecker mit hebräischen Buchstaben, Anhänger mit der schützenden Chamsa-Hand. Ideale Geschenke für die Bar- und Batmizwa oder Hochzeiten.

Glücksbringer Doch etwa 90 Prozent der Kunden sind nichtjüdisch. Viele fragen neugierig, wollen mehr über das Stück wissen, das sie sich ausgesucht haben. »Das ist unsere Art, einen christlich-jüdischen Dialog zu führen«, meint Angela Gesch, die sich um den Versand kümmert und damit auch um die Anfragen per E-Mail oder über das Gästebuch. Etliche katholische Priester hätten sich ihren Weihespruch auf Hebräisch in einen Ring gravieren lassen. Die einen kaufen Anhänger mit Segenssprüchen als Taufgeschenk, andere schenken den sogenannten »Schindler«-Ring ihrem Arzt nach einer schweren Erkrankung. Denn er trägt die Aufschrift: »Wenn einer einen Menschen rettet, so ist es, als ob er eine ganze Welt gerettet hat.« Doch der Bestseller ist immer noch der Ring aus den Anfangszeiten mit der mutmachenden Inschrift: »Wenn nicht jetzt, wann dann?«

»Der Ring hat viele Leben verändert«, weiß Gesch aus Rückmeldungen seiner Kunden. Da ist der Bundeswehrzahnarzt, der seine Stelle kündigt und sich in Ostdeutschland selbstständig macht. Oder die Frau, die sich nach langer Ehe scheiden lässt und ein neues Leben beginnt. Oder Sarah, die herzkranke Jugendliche. Nach ihrem Tod kam die Mutter noch einmal bei ihm vorbei und erzählte, dass der Ring die letzten Lebensjahre ihrer Tochter geprägt habe. »Das ist nicht mein Ring«, sagt Axel Gesch bescheiden, »es ist das, was ihr daraus gemacht habt.« Doch merkt man ihm Freude darüber an, dass seine kreative Verbindung von Schmuckdesign und Text ein klein wenig in die Welt strahlt.

Dialog

Digital mitdenken

Schalom Aleikum widmete sich unter dem Motto »Elefant im Raum« einem wichtigen Thema

von Stefan Laurin  28.03.2024

Jugendzentren

Gemeinsam stark

Der Gastgeber Hannover ist hoch motiviert – auch Kinder aus kleineren Gemeinden reisen zur Jewrovision

von Christine Schmitt  28.03.2024

Jewrovision

»Seid ihr selbst auf der Bühne«

Jurymitglied Mateo Jasik über Vorbereitung, gelungene Auftritte und vor allem: Spaß

von Christine Schmitt  28.03.2024

Literaturhandlung

Ein Kapitel geht zu Ende

Vor 33 Jahren wurde die Literaturhandlung Berlin gegründet, um jüdisches Leben abzubilden – nun schließt sie

von Christine Schmitt  28.03.2024

Antonia Yamin

»Die eigene Meinung bilden«

Die Reporterin wird Leiterin von Taglit Germany und will mehr jungen Juden Reisen nach Israel ermöglichen. Ein Gespräch

von Mascha Malburg  28.03.2024

Hannover

Tipps von Jewrovision-Juror Mike Singer

Der 24-jährige Rapper und Sänger wurde selbst in einer Castingshow für Kinder bekannt.

 26.03.2024

Party

Wenn Dinos Hamantaschen essen

Die Jüdische Gemeinde Chabad Lubawitsch lud Geflüchtete und Familien zur großen Purimfeier in ein Hotel am Potsdamer Platz

von Katrin Richter  25.03.2024

Antisemitismus

»Limitiertes Verständnis«

Friederike Lorenz-Sinai und Marina Chernivsky über ihre Arbeit mit deutschen Hochschulen

von Martin Brandt  24.03.2024

Porträt der Woche

Die Kreative

Mona Yahia stammt aus dem Irak, spricht viele Sprachen, ist Künstlerin und Autorin

von Christine Schmitt  24.03.2024