Kommentar

Sicherheit ist für Juden noch immer keine Selbstverständlichkeit

Ruben Gerczikow Foto: privat

Es gibt Tage, die sich in das kollektive Gedächtnis von Menschen einbrennen. Heute war für die jüdische Community hierzulande so ein Jahrestag.

Am 9. Oktober 2019 wurde für ganz Deutschland wieder einmal sichtbar, was für uns eine traurige Realität im Land der Täter ist: Sicherheit ist für Jüdinnen und Juden in diesem Land keine Selbstverständlichkeit. Die Narbe, die sich Schoa nennt, wurde brutal aufgerissen und ein antisemitischer Massenmord an 52 Juden in der Synagoge scheiterte nur knapp.

Er scheiterte – und wurde nicht verhindert. Das gilt es leider immer wieder zu betonen. Denn es wird weiterhin auch die Erzählung gesponnen, in der eine dicke Holztür den betenden Menschen das Leben rettete. Dabei verdeckt dieses Narrativ die Tatsache, dass trotz mehrmals gewünschtem Polizeischutz keine Beamten am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur für Sicherheit sorgten.

Auch wenn die Durchschlagskraft seiner Waffen in diesem Moment nicht ausreichte, die Tür zu durchbrechen, ist es mehr als zynisch, von einem Versagen der selbstgebauten Waffen zu sprechen. Dass sie funktionsfähig waren, bewies der rechtsextreme Täter vor der Synagoge, als er die Passantin Jana Lange ermordete. Genauso, als er im nahegelegenen Kiez Döner, den er aus rassistischen Motiven aufsuchte, Kevin Schwarze beim Mittagessen erschoss. 

Zynischer Kommentar aus AfD-Reihen

Der sachsen-anhaltische AfD-Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich, dessen Partei man als politischen Arm des Rechtsterrorismus bezeichnen könnte, schrieb nach dem Anschlag: «Was ist schlimmer, eine beschädigte Synagogentür oder zwei getötete Deutsche?”

Dieser Kommentar unterscheidet nicht nur zwischen Deutschen und Juden, sondern leugnet schlicht die traumatischen Erfahrungen der Überlebenden des 9. Oktober.

Paige Harouse befand sich an Jom Kippur in der Hallenser Synagoge: «Der Anschlag ist vorbei, aber die Auswirkungen betreffen uns immer noch. Ich überlebte den Anschlag und überlebe seitdem meinen Alltag.”

Ich überlebte den Anschlag und überlebe seitdem meinen Alltag.

Paige Harouse

Auch Jessica Haim ist eine jüdische Überlebende. Sie sprach am 27. September auf der Ceremony of Resilience in Berlin über ihr zweigeteiltes Leben nach dem Anschlag: «Es gibt vor und nach Halle”. Denn für sie hat Halle ihr Leben verändert: Sie verbrachte viel Zeit alleine zu Hause, erlebte unsensibles Verhalten ihrer Forschungsgruppe im Umgang mit Judentum und dem Anschlag selbst und beschloss letztendlich den Abbruch ihrer Dissertation.

Heute wohnt sie wieder in Manhattan und unterrichtet an einer Schule Naturwissenschaften. Im Dezember 2021 wurde der Attentäter zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Das Urteil stieß allerdings  auf heftige Kritik der Nebenklage, da beispielsweise İsmet Tekin nicht als Überlebender des Anschlags anerkannt wurde. Tekin arbeitete damals im KiezDöner und ist heute Co-Betreiber des umgebauten Tekiez in Halle. Er nennt die Erlebnisse vom 9. Oktober 2019  «eine Wunde, die nicht heilt. Jeden Tag ist der Schmerz da - seit vier Jahren.”

Nächstes Jahr jährt sich der antisemitische, rassistische und misogyne Anschlag von Halle zum fünften Mal. Für die Politik und viele Medien Anlass genug, den Fokus auf den rechten Terrorismus zu legen. Doch der Anschlag und seine Folgen betreffen das Hier und Jetzt der Überlebenden und der jüdischen Community nicht nur am Jahrestag. Wir sind es den starken Stimmen der Nebenklage schuldig, ihre Geschichten nicht nur einmal im Jahr zu erzählen, sondern 365 Tage im Jahr.

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Gedenken gehört eine Kranzniederlegung am Mahnmal vor dem Gemeindehaus

 26.04.2024

Sachsen

Landesbeauftragter: Jüdisches Leben auch in Sachsen gefährdet

Die Hemmschwelle, in eine Synagoge zu gehen, sei größer geworden, sagt Thomas Feist (CDU)

 25.04.2024

Köln

Auftakt des Fachbereichs Frauen der ZWST

Zu den zentralen Themen gehören Empowerment, Gleichberechtigung und Gesundheit

 25.04.2024

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024