Die Sonne steht im Zenit, bunt kostümierte Artisten staksen auf Stelzen durch den Innenhof hinter der Synagoge, Berliner Rummel wie gemalt. Vor der Lostrommel der Tombola reißt die Schlange nicht ab, und gegen 13 Uhr zählt der Sicherheitsdienst bereits 2400 Besucher. Unter dem schützenden Zeltdach ist nicht nur zur Mittagszeit selten ein Eckchen frei. Wer kann, speist an den Stehtischen – und freut sich dann und wann über ein paar erfrischende Tröpfchen aus der Sprinkleranlage über dem Zelt.
Wie eine römische Befestigung reiht sich das Angebot des 4. Kosher Street Food Festival auf Einladung der Jüdischen Gemeinde rund um die Szenerie im Innenhof der Synagoge an der Oranienburger Straße: Schawarma und Babka, Tofu Bao und BBQ, Slushie, Hawaiian Poké Bowl, nigerianische und indonesische Spezialitäten, Borschtsch, Pargiot vom Grill oder israelische Weine. Man kann sich einmal um die Welt essen. Die meisten Standbetreiber sind schon alte Hasen, aber in diesem Jahr sind erstmals Alba Berlin mit einem hoch frequentierten Basketball-Parcours und Hertha BSC mit einem »Speedkick« vertreten.
Die Umstellung auf das Zertifikat koscher? »Ach, gar kein Problem«
Ebenfalls neu sind Florence und Ashley mit ihrem African-Food-Stand »Mukase«: »Wir konnten uns noch gar nicht richtig umschauen«, sagt Florence zwischen zwei Portionen. Und die Umstellung auf das Zertifikat koscher? »Ach, gar kein Problem«, winkt Florence ab. »Das war ganz entspannt. Wir kochen sowieso nur vegan und alles frisch. Da kam der Rabbi und sagte: Passt perfekt.«
»Frag den Rabbi« erweist sich als äußerst beliebt. Nichtjuden nehmen das seltene Angebot gern an.
Auf der Bühne wechseln Kindergruppen. Sie singen jiddische Lieder und das Schma Israel, viele Zuschauer singen mit. Das Magical Duo Roman & Viki begeistert mit seiner Zaubershow, und von beiden Seiten her sind Kinderlachen und fröhliches Quietschen zu hören, aus der Hüpfburg oder vom Streichelzoo. Ein Karikaturist malt Besucher, die das Porträt im Anschluss mitnehmen können.
In der Schach-Laube des TuS-Makkabi ist der 20-jährige Aaron vom Jugendzentrum »Olam« in ein spannendes Match mit einem jungen Talent vertieft. »Das ist ein cooles Festival«, sagt Aaron. »Es sind sehr viele jüdische Leute hier, die sich versammeln, ohne Angst zu haben. Man kann mit Kippa oder Kettchen hier sein, ohne schräg angesehen zu werden. Das gibt mir ein Gefühl der Hoffnung.«
Großer Jubel und Beifall
In silberglänzenden Outfits stürmen die Kinder und Jugendlichen des Ensembles Tumbalalaika die Bühne. Unter großem Jubel und Beifall vollführen sie regelrecht Akrobatisches. Im Technikzelt wacht Juze-Leiterin Shelly Schlafstein über den Ablauf. Die Show ist perfekt.
Die unter der Ägide des Juze Olam trainierende Tanz- und Gesangsgruppe trifft sich jeden Mittwoch. »Das hat eine gewisse Tradition«, sagt Shelly Schlafstein. »Vor 20 Jahren hatte sich das Ensemble ›Gita‹ gegründet. Deren Mitglieder sind heute Eltern, und sie regten an, vor drei Jahren das neue Ensemble zu gründen.« Nachwuchs sei stets willkommen, ab der ersten Klasse. »Wir fördern jüdische Tänze und Lieder, wollen Tradition und Kultur weitergeben, aber modern und poppig verpackt.«
Nur wenige Meter weiter herrscht Konzentration. Als äußerst beliebt erweist sich der Stand »Frag den Rabbi«. Elf Rabbinerinnen und Rabbiner von Elias Dray bis Jacob Rürup stehen Rede und Antwort. Vor allem nichtjüdische Besucherinnen und Besucher nutzen die seltene Gelegenheit. So steht Herrison in der Schlange – ein katholischer Pakistaner, der in Berlin Cybersecurity studiert. »Ich möchte der Jüdischen Gemeinde meine Unterstützung zeigen«, sagt er. »Ich finde es unerträglich, dass Juden in der ganzen Welt gehasst und bedroht werden, besonders von muslimischen Menschen. Ich würde mich gern mit Menschen aus der jüdischen Gemeinde anfreunden.« Ob ihm der Rabbi dabei helfen kann?
»45 Minuten durchquatschen, das kann bei der Wärme ganz schön anstrengen«
Verschwitzt hat Rabbiner Boris Ronis gerade seinen Part erfüllt und atmet vor dem Stand tief ein. »45 Minuten durchquatschen, das kann bei der Wärme ganz schön anstrengen. Ich wurde alles Mögliche gefragt: Christen wollten wissen, ob der Maschiach nicht auch ein Mensch sein kann, so wie Jesus. Viele fragten nach Eltern-Kind-Beziehungen, inwieweit sollten Kinder auch für Eltern da sein, und sollen Kinder ihre Eltern respektieren? Ja natürlich.«
Das Interesse auch an religiösen Fragen sei groß. »Ob beide jüdisch sein sollten, wenn man heiratet? Aus meiner Sicht ja, weil es sonst Probleme gibt, wenn Kinder kommen.« Er wurde zu Kaschrut-Regeln gelöchert und mit einer komplizierten Frage konfrontiert: »Kriegt man ein Alpaka koscher, um es zu essen? Hm. Dann müsste man es ja schächten.« Darauf wisse er auch keine definitive Antwort. Wichtig sei es jedenfalls, »gerade in diesen Zeiten, dass Juden und Nichtjuden gemeinsam feiern und einen Austausch pflegen. Dass man Juden auch mal so begegnen kann und nicht nur hinter geschlossenen Synagogentüren«, sagt Ronis.
Um 16 Uhr kratzt Aviel Avidar den letzten Rest aus der Pfanne. Alles ausverkauft.
Chefpatissier und Chocolatier Yahel Michaeli vom Friedrichshainer Café »Yahelis« ist mit großer Truppe durchgehend an ihrem Stand beschäftigt. Belgische Waffeln und Kaffee sind im Angebot, besonders Iced Cappuccino und Americano gehen heute gut. »Ja, ich bin sehr zufrieden, wir haben schönes Wetter, die Stimmung ist toll – und ich kann vor lauter Arbeit noch gar nicht klar denken.«
Pastrami, Pulled-Beef und Sandwiches
Um 16 Uhr kratzt Aviel Avidar den letzten Rest aus der Pfanne. Alles ausverkauft. Sämtliches Pastrami, Pulled-Beef und Sandwiches, die sie am Morgen mitgebracht hatten. »Die zehnfache Menge dessen, was wir im Laden verkaufen würden«, sagt der Mann von der koscheren Fleischerei »Golcca« in Neuwestend. Mit einer derartigen Nachfrage hatte er nicht gerechnet.
Schließlich war der Israeli, der seit 25 Jahren in Berlin lebt, zum ersten Mal dabei und hatte sich kurzfristig entschieden. »Wir wollten auch nicht übertreiben und dann gezwungen sein, etwas wegzuwerfen. Als erste Erfahrung war das wunderbar.« Da klingelt sein Handy. »Jetzt kommt meine Frau …«, sagt er und hält eine Hand vor die Muschel. Die Kinder wollen wissen, ob es noch Eis gibt? »Ja klar! Jede Menge.«
Der Veranstalter ist zufrieden. »Es kamen noch mehr Besucher als im letzten Jahr – mehr als 12.000. Es war ein volles, erfolgreiches Event«, sagt Organisator Avi Toubiana. Und krempelt die Ärmel hoch. »Wir sind schon beim nächsten Festival.«