EMG 2015

Schabbes der Rekorde

Freitagvormittag: In der Lobby des Estrel-Hotels ist es ziemlich ruhig. Die meisten EMG-Sportler sind bei Wettkämpfen im Olympiapark. Die einen, weil sie selbst antreten, die anderen, weil sie Mitglieder ihrer Delegation anfeuern. Nur einige wenige Übriggebliebene schlendern durch das verschlafene Atrium oder trinken Kaffee an der Bar. Aus den Musikboxen plätschert leise Klaviermusik als Untermalung.

Doch hinter den Kulissen brodelt es bereits gewaltig. Die Vorbereitungen für den Weltrekordversuch, den weltweit größten Kabbalat Schabbat in Berlin auf die Beine zu stellen, laufen auf Hochtouren. In der Congress Hall sind die Mitarbeiter damit beschäftigt, 250 Tische für die verschiedenen Delegationen zu decken. Festlich blitzt und blinkt es an allen Ecken. Auf jedem Tisch stehen Körbe mit den Challot, den traditionellen Schabbat-Hefezöpfen von einer koscheren Berliner Bäckerei, die am Morgen angeliefert wurden.

3600 Gefilte Fisch In der Küche begannen die Vorbereitungen bereits am Abend zuvor. Chefkoch Peter Griebel bereitete eigenhändig 3600 Bällchen der pochierten Schabbat-Spezialität Gefilte Fisch zu. »Dieses Gericht ist meine große Herausforderung«, bekennt Griebel, als er sich einen Moment aus der Küche losreißen kann. »Zuerst gab es den Vorschlag, den Gefilte Fisch aus der Dose zu nehmen. Das wäre für uns natürlich die einfachste Variante gewesen, weil viele meiner Mitarbeiter das Gericht gar nicht kennen. Aber da waren die Rabbiner dagegen.« Man einigte sich auf einen Rezeptvorschlag des Rabbiners, den Griebel und sein Team dann in Mengenangaben für die Großküche umrechneten. Zudem stehen aber auch universelle Klassiker wie Lachsfilet oder Hähnchenkeule auf der Speisekarte.

Zum frühen Abend hin füllt sich die Lobby im Estrel zusehends. Immer mehr Athletinnen und Athleten kehren von ihren Wettkampfstätten zurück und versammeln sich frisch gestylt und in Abendgarderobe im Foyer. Zu ihnen gesellen sich Gäste aus aller Welt, die eigens für den Schabbat-Rekord nach Neukölln gekommen sind. Eine Band beginnt zu spielen, im Publikum tatkräftig unterstützt von Yehuda Teichtal, der von Gruppe zu Gruppe durch die Lobby läuft und immer wieder zum Mitsingen animiert. Der Chabad-Rabbiner freut sich über die »lebendige Jüdischkeit«, die bereits vor dem offiziellen Schabbateingang unter den Anwesenden herrscht.

Die Stimmung wird immer ausgelassener. Makkabi-Deutschland-Präsident Alon Meyer springt in einer Polonaise fröhlich durch die Lobby und reißt jeden mit in den Menschenzug, den er zu fassen bekommt. Rabbiner Teichtal führt schließlich den Zug an, schiebt dabei einen Kinderwagen vor sich her und singt lauthals »Yerushalayim«. Spätestens jetzt kann man davon ausgehen, dass an diesem Abend noch einiges möglich ist.

Gottesdienste Kurz nach 19 Uhr geht es für alle gemeinsam zum Lichterzünden und zum anschließenden Gottesdienst hinüber in das riesige Congress Center des Estrel. Den orthodoxen Gottesdienst leiten die beiden Berliner Rabbiner Yitshak Ehrenberg und Yehuda Teichtal, für liberale Gläubige gibt es ein Angebot des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs. Auch eine Jugendsynagoge ist eingerichtet. In dem Gottesdienst mit den Rabbinern der Maccabi World Union, Carlos Tapiero und der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, Edward van Voolen, geht es ausgesprochen lebhaft zu.

Einige Teilnehmer lassen eine alte Makkabiaden-Tradition in etwas abgewandelter Form wiederaufleben. Der Brite Neil Taylor und der Leiter der amerikanischen Delegation, Daniel Kurtz, machen sie vor: »Es ist eine Tradition der Spiele, ein Kleidungsstück gegen ein anderes einzutauschen, ein T-Shirt oder eine Jacke zum Beispiel. Aber in diesem Fall schien es uns angebracht, stattdessen unsere Kippot zu tauschen«, sagt Daniel Kurtz, nachdem er seine »Maccabi USA«-Kippa gegen ein »EMG 2015«-Käppchen eingetauscht hat.

In einer riesigen Menschenschlange laufen die beiden nach dem Gottesdienst gemeinsam mit Tausenden anderer Teilnehmer dem ersehnten Höhepunkt des Abends im großen Saal des Congress Centers entgegen. Viele Sportler haben bereits an den Tischen Platz genommen. Der Ansturm findet kein Ende. Es fehlen Tische und Stühle. Man könne sie doch einfach noch holen, meint ein Teilnehmer.

Ein vollkommen überforderter Koch lässt auf den gut gemeinten Ratschlag mutlos die Arme sinken: »Kannste mir mal sagen, wo ick ditt Material dafür hernehmen soll?« Man spürt, dass da gerade etwas ziemlich Großes im Gange ist. Denn dass die Küche des Estrel am Ende dieses Rekord-Schabbat-Dinners mehr als 3000 statt der ursprünglich geplanten 2600 Essen ausgeben würde, damit konnte im Vorfeld wirklich kaum jemand ernsthaft rechnen.

idee Angefangen hatte alles mit einer Idee im Organisationsteam der EMG 2015. Man könnte doch, dachte sich Organisationschef Oren Osterer, die größte europäische Makkabiade, die jemals stattgefunden hat, dazu nutzen, um die mehr als 2300 jüdischen Athletinnen und Athleten gleichzeitig auch zum weltweit größten Schabbatessen zusammenzubringen und somit die große historische Bedeutung der erste Makkabiade in Deutschland gleich in mehrfacher Hinsicht zu unterstreichen. »Der Gedanke daran, knapp 70 Jahre nach der Schoa einen jüdischen Weltrekord in Berlin aufzustellen, hat bei mir Gänsehaut ausgelöst«, sagte Osterer vor Beginn der Makkabi-Spiele.

So richtig zweifelt bis zum Ende niemand daran, dass man die Rekord-Vorgabe von 2226 Teilnehmern, aufgestellt im Juni vergangenen Jahres bei einem Schabbat-Dinner, das die chassidische Organisation Chabad Lubawitsch in Tel Aviv organisiert hatte, wirklich knacken würde. Zu offensichtlich scheint der Saal vor Andrang aus allen Nähten zu platzen.

Und spätestens, nachdem die Rabbiner Ehrenberg und Teichtal den Kiddusch über Brot und Wein gesprochen haben, kennt die Stimmung kein Halten mehr. Immer wieder branden Gesänge durch die Halle, ganze Delegationen steigen auf ihre Stühle und klatschen mit. Mittendrin die verzweifelten Kellner, die versuchen, das Essen rechtzeitig an die Tische zu bringen. Auch für Griebels Gefilte Fisch gibt es Lob: »Schmeckt fast so gut wie bei meiner Mutter, und das will schon etwas heißen«, befindet zum Beispiel der Londoner Fußballspieler Nathan Anderson, während er sich vergnügt von der Vorspeisenplatte bedient.

Umso erleichterter ist Alon Meyer dann am Ende, als das Ergebnis endlich feststeht und er erschöpft resümieren kann: »Das muss man sich mal vorstellen oder eigentlich auf der Zunge zergehen lassen: Der größte Kabbalat Schabbat, den es jemals und weltweit gab, hat hier in Berlin stattgefunden, inmitten Berlin, wir freuen uns riesig.« Ein Ausdruck lebendiger Jüdischkeit, besser kann man es vermutlich nicht formulieren.

Schiedsrichter Am Ende wurde es aber dennoch knapper, als die Zahl der 3000 herausgegebenen Essen zunächst vermuten ließ. Als der eigens aus London eingeflogene Guinness-World-Records-Schiedsrichter Pravin Patel weit nach Mitternacht in die Hotellobby kommt, um das Endergebnis zu verkünden, muss er sich in dem Gewusel aus Stimmen erst einmal Gehör verschaffen. »Mit einer finalen Anzahl von 2322 Teilnehmern ist Makkabi Deutschland der neue Weltrekordhalter für das größte Schabbat-Dinner. Herzlichen Glückwunsch«, ruft Patel in die jubelnde Menge.

Obwohl während des Essens schätzungsweise weitere 700 Menschen in der Kongresshalle gespeist haben, konnten aufgrund der strengen Guinness-Buch-Regularien nicht alle Gäste mitgezählt werden. Erstens hatten nicht alle Vorspeisen fünf Minuten nach Beginn des Essens auf den Tischen gestanden, wie es eine Anforderung der Londoner Wettkampfrichter vorsieht.

Zweitens verließen einige Teilnehmer den Saal vor Ablauf der Mindestzeit von einer Stunde, sodass auch sie nicht mit in die finale Wertung einflossen. Dennoch kann der Rekord aus Tel Aviv um fast 100 Menschen überboten werden. Mindestens bis zum nächsten Rekordversuch steht damit fest: Das größte Schabbat-Dinner der Welt fand mitten in Neukölln statt.

»Ich hoffe, dass einige der heute hier Anwesenden durch das positive Erlebnis dazu motiviert werden, auch in Zukunft öfter den Schabbes zu halten«, wünscht sich Rabbiner Teichtal.

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