Berlin

Ruth Galinski ist tot

Die Witwe des ehemaligen Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski ist verstorben – ein persönlicher Nachruf

von Judith Kessler  18.09.2014 18:16 Uhr

Ruth Galinski sel. A. (1921–2014) Foto: MIke MInehan

Die Witwe des ehemaligen Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski ist verstorben – ein persönlicher Nachruf

von Judith Kessler  18.09.2014 18:16 Uhr

Ruth Galinski ist tot. Sie starb in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag im Jüdischen Krankenhaus Berlin. Die Witwe des ehemaligen Gemeindevorsitzenden und Zentralratspräsidenten, Heinz Galinski, wurde 93 Jahre alt.

Ruth Weinberg wird 1921 in Dresden als Tochter eines Kaufmanns aus Bialystok und einer Dresdnerin geboren. Schon während der Volksschule treibt sie leidenschaftlich gern Sport – Leichtathletik, Speerwerfen, Hochsprung, Handball. Nach 1933 ist das nur noch in jüdischen Vereinen möglich, sie trainiert beim SC Bar Kochba. Über diese Zeit urteilte sie im Nachhinein: »Der Sport hat mir das Leben gerettet. Wir hatten ja sonst nichts anderes.«

lager Im Oktober 1938 wird sie im Rahmen der »Polenaktion« mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Polen deportiert: »Ich konnte kein Wort Polnisch, lernte aber schnell«, wird sie später sagen. In einem Lager bei Warschau, in dem die drei bis Kriegsbeginn untergebracht waren, lernt Galinski den jungen Anwalt Leon Davidson kennen. Sie heiraten, nach einem halben Jahr können sie mit falschen Papieren aus dem Warschauer Ghetto auf die polnische Seite fliehen, leben weiter im Versteck. 1943 will Leon seine Eltern aus Lemberg holen – und kommt nie wieder zurück.

Ruth Galinski schlägt sich nach dem Warschauer Aufstand allein durch und kann sich unter dem Namen Sonja Kowalska einer polnischen Partisanengruppe anschließen: »Dort durfte ich aber niemandem sagen, dass ich Jüdin bin«. Anfang 1945, nach Ankunft der sowjetischen Armee, findet sie Arbeit in einem Geschäft in Krakow, lässt sich bei der Jüdischen Gemeinde registrieren. Dann trifft plötzlich ein Brief von Abraham Weinberg aus Argentinien ein: »Mutter und Bruder sind wohlauf, fahr nach Berlin und warte auf dein Visum! Vater.«

liebe Hier lernt sie 1947 Heinz Galinski kennen. Er sollte ihr eine Urkunde überreichen – sie ist Kapitänin einer jüdischen Handballmannschaft von TuS Makkabi. Die beiden verlieben sich ineinander, an Ruths Geburtstag feiern sie Verlobung, wenige Monate später, im Oktober, heiraten sie. Als das Visum für die USA eintrifft, ist sie schwanger mit ihrer Tochter. Und bleibt in Berlin. Ihre Mutter Dinah und ihr Bruder Alexander emigrieren nach Argentinien zum Vater.

Der betritt Deutschland nie wieder und lernt auch seinen Schwiegersohn nie kennen, der als Gemeinde- und Zentralratsvorsitzender nicht nur die Berliner Jüdische Gemeinde und das Bild des Nachkriegsjudentums in Deutschland über Jahrzehnte prägen wird, sondern auch das Leben seiner Frau. Die gibt ihren Sport auf, lernt mit ihm und durch ihn Staatsoberhäupter und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens kennen, läuft über rote Teppiche, übt Hofknickse und kauft sich flache Schuhe, um ihren Gatten nicht zu überragen.

Trotz allem: Ruth Galinski ist nicht nur die Frau an der Seite eines bald berühmten Mannes. 1953 gehört sie mit Jeanette Wolff und Lilli Marx zu den (Wieder-)Gründerinnen des Jüdischen Frauenbundes. Noch 2012, als der International Council of Jewish Women seinen 100. Geburtstag feiert, ist sie Ehrengast der Veranstaltung. Sie sitzt in zahlreichen Vorständen, wird als einzige Frau für den Zentralrat der Juden in den Beirat der Stiftung Gedenkstätten Mittelbau-Dora berufen, ist Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Hilfe für krebskranke Kinder.

mitstreiterin Nach dem Tod ihres Mannes – er stirbt 1992 an ihrem Geburtstag – wird es ruhiger um Ruth Galinski. Nach einigen Jahren zieht sie in das Seniorenheim, das den Namen ihrer Mitstreiterin Jeanette Wolff trägt, ist aber weiter im Vorstand der Heinz-Galinski-Stiftung aktiv, politisch interessiert und besucht hin und wieder Gemeinde- und Gedenkveranstaltungen.

Ruth Galinski war eine Frau der Tat, nicht der schönen Worte. Noch in diesem Jahr hat sie durch eine großzügige Spende mithilfe des Keren Hayesod den Aufbau der »Ruth-und-Heinz-Galinski-Bibliothek« in der Denmark High School in Jerusalem ermöglicht. Sie war eine der letzten Zeugen, Beteiligten, Betroffenen der Schoa, aber auch der Zeit des »Aufbaus nach dem Untergang«. Und sie war ihren Freunden eine wahre Freundin, eine lebenskluge Ratgeberin und Seelenverwandte, unprätentiös, mitfühlend, geerdet und mit einem gesunden Menschenverstand gesegnet.

In der Nacht zu Donnerstag ist Ruth Galinski im Jüdischen Krankenhaus in Berlin gestorben.

Die Lewaja von Ruth Galinski sel. A. findet, s. G. w., am Sonntag, den 21. September 2014, um 14 Uhr auf dem Friedhof Heerstraße (Scholzplatz) statt.

Köln

ZWST lädt zu Konferenz über Gleichberechtigung ein

Achtung: Der Anmeldeschluss ist morgen, am 26. April 2024

 25.04.2024

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024