»Gila & Nancy«

Rüschen und Rote Bete

Ein Ort, der Kulinarik mit Kultur verbinden möchte: Dragqueen im Restaurant »Gila & Nancy By Eyal Shani Berlin« Foto: GN/PR

Die Eröffnung eines neuen israelischen Restaurants am Berliner Gendarmenmarkt fand unter schwerem Polizeischutz statt. Beamte mit kugelsicheren Westen säumten den Eingang des Lokals. Was nach Dreharbeiten zu einer Berliner Folge der Serie Tatort klingt, war vor wenigen Wochen bittere Realität. Das Restaurant »Gila & Nancy«, in Tel Aviv immerhin ein gastronomisches Highlight mit Dependancen in New York, Paris sowie anderen Orten in der Welt, hatte die Eröffnungsfeier für den Standort in Mitte gleich mehrfach absagen müssen.

Anti-israelische Hassdemonstrationen, Bedrohungen sowie Pöbeleien aus der pro-palästinensischen Szene vereitelten das lang ersehnte Opening, das ursprünglich für Juni geplant war. Zwei Monate später kam es erneut zu Protesten vor dem Restaurant. Ein defekter Herd war schließlich die Ursache für Verschiebung Nummer drei.

Die Begrüßung durch Gastgeberin Arie Oshri ist herzlich. »Stellt euch auf einen wunderbaren Abend ein«, flötet die Drag-Künstlerin und rauscht im schwarz schillernden Kaftan davon. Der erste Eindruck der Räumlichkeit, die zuvor das opulente Restaurant »Pink Room« beherbergte: Überall roséfarbene Wände sowie Schwarz-Weiß-Fotos von Gila und Nancy. Unweit einer gut ausgestatteten Bar ist eine runde Bühne platziert – eine gemütliche Einrichtung, die ein wenig an alte Filme mit Doris Day erinnert.

Je nachdem, was die Wochenmärkte an frischen Zutaten hergeben, werden die Gerichte komponiert

Unter den Gästen, die sich nach und nach einfinden: einige in Berlin lebende Israelis, Berliner, amerikanische Touristen sind auch dabei. »Ich habe von Freunden gehört, wie toll das Essen und die Show sein sollen, und ich wollte meinem Besuch etwas ganz Besonderes bieten«, erzählt eine junge Frau aus Houston und nimmt gemeinsam mit ihren Verwandten einen Platz nahe der Bühne ein.

»Der Blick auf diese Bühne ist von jedem Platz aus gut«, erklärt der herbeieilende Generalmanager Daniel. Er überreicht den Gästen die Karte des Tages. Das Menü ändere sich ständig, betont der gebürtige Israeli, der seit acht Jahren in Berlin lebt. Je nachdem, was die Wochenmärkte an frischen Zutaten hergeben, werden die Gerichte komponiert. Signierte Teller tragen die Handschrift des Michelin-prämierten Starkochs Eyal Shani. Das Eröffnungsangebot steckt mit etwas blumigen Worten das kulinarische Terrain ab: »Wildes Gemüse«, »Wilde Kreaturen aus dem Meer«, »Mit Grass gefütterte österreichische Kühe etc.« und »Süße Einflüsse«, ist dort zu lesen.

Hinzu kommt eine exquisite Auswahl an Weinen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Ungarn und dem Libanon. Die preiswerteste Flasche liegt bei 55 Euro. Damit beim Essen aus der Wahl keine Qual werde, biete es sich an, verschiedene Speisen zu bestellen und diese zu teilen, rät Daniel.

Unterdessen sind die Mitarbeiter des Restaurants sehr um das Wohlergehen der Gäste bemüht. Vor und hinter dem Tresen sowie in der Küche sind sie präsent und begrüßen auch neue Gäste, während sich die Dragqueens in den hinteren Räumlichkeiten auf ihren Auftritt vorbereiten. Rund 20 Mitarbeiter beschäftigt das Gila & Nancy insgesamt. »Wir verstehen uns als ein Ort, der Kulinarik mit Kultur verbindet, im Zeichen des Friedens und der Toleranz«, sagt Arie, eine der anwesenden Dragqueens. Sie bleibe zuversichtlich, dass die »Nachricht der Liebe« – allen Protesten zum Trotz – auch in der Öffentlichkeit ankomme.

Jeder Auftritt einer Dragqueen wird von den Zuschauern mit Applaus belohnt

Um 20 Uhr betritt dann endlich die erste Künstlerin die Bühne. Heute ist es »Miss Chunky«, die Königin des Abends sein will. Dafür ist sie eigens aus Tel Aviv angereist. »Ich möchte meine hiesigen Drag-Kolleginnen ein wenig unterstützen«, erzählt sie und wirft sich – von pinkfarbenen Rüschen umrahmt – gekonnt in Positur. Jeder Auftritt einer Dragqueen wird von den Zuschauern mit Applaus belohnt, hier und dort wandern sie von Tisch zu Tisch, unterhalten sich mit den Gästen.

Vor und zwischen den Showeinlagen wird das Essen serviert. Auch hier gibt es manche Überraschung. Rote Bete haben manchmal einen leicht erdigen Geschmack, sie sind gesund – aber sind sie auch lecker? Im »Gila & Nancy« kommt die dunkelrote Knolle als feinstes Gratin daher. Karamellig süß, in Milch gekocht, wie Daniel auf Nachfrage verrät. Anschließend werden hauchdünne Lagen zu einem Block geschichtet. In der Konsistenz derart zart, dass das Gemüse auf der Zunge zergeht. Essbares Glück für 19 Euro.

Ahs und Ohs zeugen davon, dass der »Naked Chocolate Cake« sehr lecker sein muss.

Die Focaccia-Stangen werden erst nach der Bestellung im Steinofen gebacken. Entsprechend frisch kommt das nach Hefe duftende Brot auf den Tisch. »Vorsicht, heiß!«, mahnt Arie. Dazu gibt es vier Beilagen, die der Schärfe nach aus Paprika- und Pfefferschoten bestehen. Wer bislang etwas müde war, wird spätestens jetzt wach. Beides zusammen für 20 Euro.

Das Filet von der Dover Seezunge begleiten gebackene Kartoffelstücke in salzverkrusteter Schale mit Kapern. Schlicht und genau, deshalb gut. Mit 37 Euro nicht ganz preiswert, doch der Fisch wurde erst heute früh geliefert, wie Arie betont. Frische, das sei das Konzept des Slow-Food-Restaurants.

Von rund 50 Plätzen sind inzwischen 35 besetzt, kein schlechter Schnitt für den Anfang, zumal zu Beginn der Woche. Doch das »Gila & Nancy« will mehr sein als nur Fine-dining. »Ein Abendessen. Eine Show. Eine Feier des Seins«, heißt es auf dem Instagram-Kanal. Ein Versprechen, das sich im Laufe des Abends erfüllt.

Diesmal hat Queen Arie ihren Auftritt, dabei singt sie kein Playback, sondern live

Am Nachbartisch teilt sich eine Gruppe mehrere Desserts. Ahs und Ohs zeugen davon, dass der »Naked Chocolate Cake« wirklich lecker sein muss. Geschmacklich sensationell ist auch die pürierte Mango mit glasierter Banane in Süßmilch. Sämtliche Nachtische schlagen mit zwölf Euro zu Buche, angesichts der Portionen eine preiswerte Kalkulation. Was nicht für die Anzahl der Kalorien gelten dürfte.

Frei nach dem Motto »Hüftgold glänzt auch«, wartet die nächste Performance. Diesmal hat Queen Arie ihren Auftritt, dabei singt sie kein Playback, sondern live. Damit macht sie den Namenspatroninnen des Restaurants alle Ehre. Denn der Name geht auf die beiden Trans-Aktivistinnen Gila Goldstein und Nancy Nangeroni zurück.

Die inzwischen verstorbene Gila war Dragqueen und eine Künstlerin der ersten Transgender-Organisation Israels. Nancy, inzwischen 71 Jahre alt, macht sich bis heute für Trans-Rechte in den USA stark. Angesichts der aktuellen Regierung dort sicher kein einfaches Unterfangen.

Es war ihre beste Entscheidung, nach Berlin zu ziehen

Ob Berlin auch weiterhin als tolerante, multikulturelle und queer-freundliche Metropole gelten darf, wird sich zeigen. Die Ereignisse im Vorfeld der Restauranteröffnung haben die Stadt in einem anderen Licht gezeigt. Wie so oft seit dem 7. Oktober 2023. Wie geht man mit so viel Hass um? »Ich lebe seit zehn Jahren in Berlin«, antwortet Arie. Das sei die beste Entscheidung, die sie je im Leben getroffen habe, so die israelische Drag-Künstlerin. Sie bleibe dabei. »Wir sollten nicht alles ignorieren, was passiert, aber es gibt einen Unterschied zwischen einer Eiche und einem Bambus, wenn der Sturm über sie hinwegfegt«, sagt Arie. Sie ziehe es vor, wie ein Bambus zu sein.

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