Workshop

Religion und Demokratie

Verteilte Aufgaben zum Thema »Religionen im säkularen Staat«: Abraham de Wolf Foto: Heinz-Peter Katlewski

Workshop

Religion und Demokratie

Jüdische, muslimische und christliche Experten trafen sich in Frankfurt zum interkulturellen Gespräch

von Canan Topçu  22.12.2015 12:04 Uhr

Ein Fundament der Demokratie ist die Gleichwertigkeit aller Menschen. Ebendiese Gleichwertigkeit steht im Widerspruch zu der Sure 8, Vers 12 und 13, im Koran, die zu Gewalt gegen die anderen aufruft und dabei die göttliche Unterstützung verspricht.» Mit dieser Einleitung richtete Abraham de Wolf, Sprecher des Arbeitskreises Jüdischer Sozialdemokraten (AKJS), seine Frage an Hamideh Mohagheghi. Auf einem Workshop des AKJS zum Thema Religionen im säkularen Staat sollte sie am vergangenen Samstag erörtern, was es mit diesem Vers auf sich hat und ob der Islam die Demokratie befürworten könne.

Mehr als 20 Minuten sprach die aus dem Iran stammende Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn über dieses Thema. Mohagheghi erklärte, dass der Vers zu Missverständnissen führe, weil er aus dem Zusammenhang gerissen werde. Das Wesentliche ihrer Erläuterung: Es geht darin um einen bestimmten Konflikt, die Aussage darf nicht verallgemeinert werden. Nicht alle Verse des Korans sind Handlungsanweisungen.

Jüdische Sicht Schwierige Fragen richtete Abraham de Wolf auch an die anderen vier Referenten des Workshops, den der AKJS anlässlich seiner Jahrestagung veranstaltete. Dem Impulsreferat von Thorsten Schäfer-Gümbel, Landesvorsitzender der SPD Hessen, zum Verhältnis von Grundgesetz und Religionsfreiheit folgten Ausführungen von Elisa Klapheck, liberale Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Sie sollte erläutern, wie aus jüdischer Sicht zu reagieren gewesen wäre, wenn der Bundestag mehrheitlich die Beschneidung verboten hätte. Als zentrale Aussage ihrer Erläuterungen lässt sich festhalten: «Aus dem religiös-säkularen Diskurs heraus den Weg des Gangbaren wählen.»

Bischof Martin Hein, Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, sollte sich zum Menschenbild der evangelischen Kirche äußern. Wolfgang Pax, Leiter des Kommissariats der Katholischen Bischöfe im Lande Hessen, kam wiederum die Aufgabe zu, Stellung zu der Eröffnungsrede des Kardinals Faulhaber zum katholischen Kirchentag im August 1922 zu beziehen. Kernsatz dieser Rede sei, so Abraham de Wolf in seiner Überleitung an Bischof Pax: «Gottesrecht bricht Staatsrecht.» Der katholische Geistliche stellte gleich zu Beginn seiner Ausführungen fest: «Ich kann ganz klar mit ›Nein‹ antworten. Heute sagt das keiner mehr.» In seinem mehr als eine Viertelstunde dauernden Vortrag ging er sodann auf Hintergründe ein.

Die rund 40 Teilnehmer des Workshops hörten mehr als 90 Minuten den fünf Referenten zu. Die Diskussion leitete ein Zuhörer ein, indem er die Vorträge als «exegetischen Exzess» beschrieb, der ihm in der Praxis als Schulleiter wenig helfen würde. Es sei ein intellektueller Austausch, doch den «Durchschnittsmenschen mit all seinen Vorurteilen» erreiche solch ein «Dialog der Eliten» nicht.

Grundlagen Das Thema des Workshops «Religionen im säkularen Staat» hatte der Vorstand des AKJS aber nicht zufällig gewählt, die Vorträge und die sich anschließenden Diskussionen dienten als Grundlagen für ein Papier, mit dem sich die jüdischen Sozialdemokraten in Bezug auf Flüchtlinge positionieren wollen. «Wir arbeiten noch daran», erklärte Abraham de Wolf nach der Jahrestagung. Mit dem Positionspapier wolle der Arbeitskreis keine Steilvorlage für Pegida bieten, aber auch die Probleme nicht verdrängen.

Eines dieser Probleme sei, dass die Flüchtlinge aus autoritären Staaten, korrupten und undemokratischen Gesellschaften stammten, in denen Eigenverantwortung nicht honoriert werde. Es gehe daher um die Frage, wie Christen, Juden und Muslime sich «offensiv für demokratische Werte einsetzen» könnten. Das Papier, kündigte der Sprecher des Arbeitskreises an, werde im neuen Jahr veröffentlicht und werde Stellung beziehen zu Bildung und Verantwortung in Religionsgemeinschaften.

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns wollen?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Berlin

Chanukka-Licht am Brandenburger Tor entzündet

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin das erste Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet. Der Bundespräsident war dabei

 15.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Berlin

Straße nach erster Rabbinerin der Welt benannt

Kreuzberg ehrt Regina Jonas

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Chanukkia

Kleine Leuchter, große Wirkung

Von der Skizze bis zur Versteigerung – die Gemeinde Kahal Adass Jisroel und die Kunstschule Berlin stellen eine gemeinnützige Aktion auf die Beine. Ein Werkstattbesuch

von Christine Schmitt  12.12.2025