Berlin

Perfekt inszeniert

Frau im Spiegel: Fotografin Sharon Back Foto: Benyamin Reich

Berlin

Perfekt inszeniert

Die Fotografin Sharon Back porträtiert Prominente und plant ein Buch über 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen

von Helmut Kuhn  02.09.2014 08:49 Uhr

Eine große israelische Zeitung porträtierte Sharon Back einmal mit der Schlagzeile: »Ich mag keinen billigen Wein.« Das ist natürlich Quatsch. »Ich kriege das Zeug einfach nicht runter«, sagt die Fotografin aus Haifa und zuckt mit den Schultern. Will sagen: Es geht hier nicht um Geld. Es geht um etwas völlig anderes.

Eine Frau, die gern Frauen fotografiert, obwohl sie vielleicht interessanter ist als die meisten ihrer Modelle, ist erst mal ein schönes Rätsel. Kaffee am Nachmittag im Garten des Schlosshotels Grunewald. Ruhe strahlt der Ort aus, eine Mischung aus Geschichte und Kunst. »Das ist eine der herrlichsten Locations in der Stadt«, sagt Sharon Back.

Die 40-Jährige arbeitet nach allen Regeln dieser Kunst. Das Haus, den Garten, opulent barocke Säle nutzt sie oft als Kulisse. Ein ganzes Team ist dann vor Ort: sieben, acht Profis, Stylist, Visagistin, Designer, Beleuchter. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, alles ist ihrer strengen Imagination unterworfen und den Anregungen ihrer Models – und dann kann es passieren, dass alles doch ganz anders wird: »Menschen sind so vielschichtig und unvorhersehbar wie das Leben, das sich unserer Kontrolle entzieht. Wer könnte diese Person sein, die sich meiner Kamera anvertraut, welche Facetten verbergen sich in ihr?«

nackt Das sieht dann etwa so aus: die Schauspielerin Katja Riemann in einer Szene, die einer Kreuzigung gleicht. Die Politikerin Sahra Wagenknecht im Lichte einer amorph jubelnden Männermasse. Oder die Schauspielerin Jeanette Hain nackt im Nebel. Zehn Helmut-Newton-starke Frauen, prominent allesamt, künstlich eingefrorene Momente und doch Aufnahmen von Augenblicken wie aus einer anderen Welt. Unter dem Titel »I trust my image« stellte sie die Bilder aus. »Eine starke Visitenkarte«, hieß es in der Presse.

Die muskulöse Eleganz des Schlosses scheint sie also anzuziehen wie der schläfrige Müßiggang vor einer Jagd, mit ruhiger Hand zeichnet sie ihre Worte über den Latte Macchiato, keine überflüssige Regung im Gesicht. Bis sie die Ray-Ban-Brille beiseitelegt, lächelt und man nicht recht weiß, ob jetzt ein aschkenasischer Galgenwitz kommt oder ihr zum Fressen zumute ist: 1974, ihr Geburtsjahr. Sie ist ein Tiger.

Kämpferisches Temperament und Leidenschaft schreibt das chinesische Horoskop diesem Sternzeichen zu. Tiger lieben Abenteuer und Risiken, Routine ist nichts für sie. Das passt, in gewisser Weise. Seit drei Jahren lebt die Israelin in Deutschland. In Tel Aviv war die Fotografin ein Star. Sie hatte die Großen des Landes vor der Linse. Schauspielerinnen wie Yael Abekasis, Moshe Dayans Tochter Yael oder Ayelet Zurer, hatte Titel- und Doppelseiten in Yedioth Ahronoth, La’Isha. »Fast alle prominenten Leute waren einmal vor meiner Kamera. Hier habe ich ganz von vorn wieder angefangen. Praktisch bei null.«

Als sie bei den deutschen VIPs anfragte, kannten sie Sharon Back nicht. Und Sharon hatte noch nie einen Film mit Katja Riemann gesehen. Warum also hat sie Israel hinter sich gelassen? »Eigentlich meinen Eltern zuliebe, die in Berlin leben. Ich wollte nicht, dass wir uns nur zehn oder 20 Tage im Jahr sehen.«

großeltern Ihre Familie stammt aus Vilnius in Litauen. Während der NS-Zeit lebte die Großmutter im Ghetto und wurde nach Dachau deportiert. Auch ihre Urgroßeltern kamen ins Lager. »Wir wussten nie, wo sie ermordet wurden«, sagt Sharon. Die Eltern ihres Großvaters wurden getötet, nur zwei von zehn Geschwistern überlebten. »Er hat nie darüber gesprochen, nur geweint wie ein Kind.« Erst nach dem Krieg haben sich die Großeltern kennengelernt, 60 Jahre lebten sie zusammen. »Als sie starb, starb auch er, er wollte zu ihr.« Die Mutter ihres Vaters verlor ihren Mann, »fand ihn aber nach 30 Jahren wieder. Er war verheiratet, weil beide dachten, der andere sei tot«.

Ihre Eltern sind nach dem Krieg geboren. »Aber sie haben diese negativen Energien übernommen, wie schwer es war, wie ihre Eltern geschlagen wurden, was sie durchmachen mussten. Für mich ist das ein bisschen leichter, weil ich in Israel groß geworden bin. Trotzdem bekomme ich das mit.«

1972 hatten ihre Eltern in Israel geheiratet. Sharon ist in Haifa geboren und wuchs in Tel Aviv auf. Als sie zwölf Jahre alt war, nahmen die Eltern sie mit nach West-Berlin. Fünf Jahre besuchte Sharon eine normale Schule. »Mir hat es hier nicht gefallen. Für Jugendliche ist Israel ein Paradies. Es ist fast immer warm, das Leben spielt sich draußen ab.« Auch in der Schule war sie unglücklich, rannte oft weg. »Einmal hat mir jemand Gas in die Augen gesprüht. Ich hatte Angst, in die Schule zu gehen.«

projekt Während des Irak-Krieges kehrte sie zurück nach Israel. Mit 17 Jahren und allein. Ihre Eltern waren dagegen – »aber sie hatten keine andere Wahl«. In Tel Aviv arbeitete sie in einer Bar, als Fremdenführerin, in der Diamantenindustrie. Sie spricht fließend Englisch, Russisch und Deutsch. Mit 24 ging sie nach New York, studierte Kunst und entdeckte die Fotografie. Sie machte dokumentarische Aufnahmen von Menschen in Chinatown oder Brooklyn, lebte auf Long Island und lernte bei berühmten Fotografinnen wie Susan Dooley und Susan Kravitz. Als ihre Liebe zu einem Israeli endete, ging sie zurück nach Israel. »Da begann meine Karriere.«

Jetzt also wieder ein Neuanfang. »Ich vermisse Israel sehr, meine Sprache, die Früchte, das Meer. Dort gehe ich in den Garten und pflücke die Zitrone für den Tee vom Baum.« Vielleicht ist die Idee zu ihrem neuen Projekt ein wenig dieser Sehnsucht geschuldet: 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen im nächsten Jahr, dazu möchte sie Menschen in einem Fotoband porträtieren, die zu diesem guten Verhältnis beigetragen haben. Angela Merkel. Schimon Peres. Friede Springer. »Ich weiß nicht, ob sie alle zusagen werden. Ich versuche es.«

Viel Zeit bleibt nicht, gerade erst hat sie Annette Schavan getroffen. Das Shooting wird demnächst in Rom stattfinden, wo die CDU-Politikerin als Botschafterin im Vatikan tätig ist. Dazwischen hat Sharon Back ein neues Feld entdeckt, in Zusammenarbeit mit dem Schlosshotel. »Du bist die Kunst«, sagt sie ihren neuen Models – Hotelgäste, die Sharon mit ihrem Team für ein Shooting buchen können.

frauen Diese Idee hatte sie schon lange, und zusammen mit anderen Fotografen und Menachem, einem der neuen Besitzer des Hotels, lässt sie sich jetzt verwirklichen. »Ich fotografiere privat Frauen, so wie man früher gemalt hat. In jeder Frau stecken viele andere mysteriöse Frauen. Und im Unterschied zu Politikerinnen und Schauspielerinnen, die vorsichtig sein müssen, kann ich mich da austoben.«

Dafür gibt manche Kundin gern ein paar Euro aus. Und da könnte man jetzt wieder meinen … – »Nein. Geld ist nicht wichtig«, sagt Sharon. Es geht um etwas ganz anderes: »Fotografie ist mein Leben. Ich bin der glücklichste Mensch, wenn ich ein Shooting habe. Schon wenn ich daran denke, steigt meine Energie.«

Dann tigert Sharon Back mit der Kamera ruhelos im Schloss herum, immer auf der Suche nach dem perfekten Motiv. Kunst muss finanziert werden. Wenn einem niemand hilft, dann hilft man sich eben selbst.

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