BSR

Nichts wird entsorgt

Saubere Stadt. Saubere Weste?», fragt der Buchtitel, nicht ohne eine kritische Antwort schon mitklingen zu lassen. Ein umfangreiches Werk hat der Autor und Historiker Sören Flachowsky vorgelegt. Er untersucht darin die Geschichte der Berliner Stadtreinigung von 1871 bis 1955 mit dem Schwerpunkt Nationalsozialismus.

Abfallbeseitigung wirkt heutzutage meist selbstverständlich, quellen nicht gerade die Mülleimer in Parks über oder verschieben sich durch Feiertage die Abholtermine des Hausmülls. Die Gesellschaft erzeugt Abfall, seine Beseitigung ist stets eng mit den jeweils vorherrschenden wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftspolitischen Kontexten verknüpft. Das zeigt Sören Flachowsky in seinem Werk, das in einer Online-Buchpräsentation kürzlich vom Verlag, der Berliner Stadtreinigung (BSR) als Auftraggeberin und der Humboldt-Universität in moderierten Einzelbeiträgen vorgestellt wurde.

KOMMUNALBETRIEB «Hier in Berlin ist es die erste große Studie zu einem Kommunalbetrieb, die die BSR in Auftrag gegeben hat», hob Diskussionsteilnehmer Michael Wildt, Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert an der Humboldt-Universität, als Besonderheit hervor. Kommunalbetriebe seien sehr nah am Menschen dran, und man komme daher auch den Menschen näher – auch denen, die während des Nationalsozialismus gelebt haben.

Das 900 Seiten starke Buch widmet sich den Anfängen der Berliner Stadtreinigung von der Kaiserzeit bis zum Übergang in die heutigen Berliner Stadtreinigungsbetriebe Mitte der 50er-Jahre. Ein Schwerpunkt der darstellenden Untersuchung liegt dabei auf der Zeit des Nationalsozialismus.

Der Historiker und die Studenten sichteten mehr als 2400 Akten.

Ähnlich wie andere Großunternehmen und kommunale Einrichtungen setzte auch die Berliner Stadtreinigung insbesondere in den Kriegsjahren auf den Einsatz und die Ausnutzung von Zwangsarbeitern. Welche Rolle spielte Zwangsarbeit, und inwieweit war die Berliner Stadtreinigung mit dem NS-Regime verflochten?

AKTEN In akribischer Auswertung von 2400 Akten suchte der Historiker Flachowsky, der auch Bibliotheks- und Dokumentationswissenschaften studiert hat, Antworten. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wuppertal, sein Forschungsschwerpunkt ist dabei der Nationalsozialismus. «Ich bezeichne mich selbst als Mähdrescher, der durch die Archive fährt, und hatte am Anfang wirklich den Anspruch, diese Akten alle zu sehen», berichtet Sören Flachowsky. Dies sei aber dann doch recht vermessen gewesen, er habe daher bei der Auswertung Unterstützung durch Studenten am Lehrstuhl von Michael Wildt an der Humboldt-Universität erhalten.

Mit Kartons voller Akten hatte die Idee zu diesem Buch begonnen. So erinnerte Martin Urban, Personalvorstand der BSR, an ein Gespräch vor knapp fünf Jahren, bei dem er erstmals mit dieser großen Anzahl an Personalakten konfrontiert wurde. Für ihn sei klar gewesen, dass man sie nicht unausgewertet im Archiv versenken dürfe, und so sei die Idee zu diesem Buchprojekt entstanden, das die BSR durch finanzielle Unterstützung möglich gemacht hatte.

VERANTWORTUNG «Wir sind ein öffentliches Unternehmen in einer pluralen Gesellschaft und sind uns dieser Verantwortung durchaus bewusst», sagte Martin Urban. Personalakten geben zum Beispiel Aufschluss darüber, wie gewerkschaftliches, politisches Engagement aussieht, welche Parteimitgliedschaften es gibt, wie sich Löhne gestalten, wie der Umgang in der Belegschaft war.

Mit dabei in der Online-Diskussionsrunde, die von dem rbb-Kulturredakteur Harald Asel moderiert wurde, war auch Christine Glauning, die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit. Sie betonte, dass nicht nur die großen Rüstungsbetriebe von Zwangsarbeit profitiert haben, sondern auch kleinere Unternehmen und Handwerksbetriebe wie Bäckereien und Brauereien, daneben auch die Textil- und Lebensmittelindustrie, Kirchengemeinden, landwirtschaftliche Einrichtungen – und auch die Stadtreinigung.

Mit der Zwangsarbeit während der Kriegszeit baute man auf den seit 1938 durch die Berliner Verwaltung organisierten sogenannten Judeneinsatz auf. Hier seien in Berlin lebende Juden zur Zwangsarbeit verpflichtet worden, diese seien bereits seit 1938 auf den Deponien und bei der Straßenreinigung eingesetzt worden. «Das sind Dinge, die vor aller Augen passierten», betonte Michael Wildt. «Die in Zwangsarbeit befindlichen Jüdinnen und Juden waren ja sichtbar für alle, die sich in der Öffentlichkeit bewegten. Das heißt, man konnte dieser verbrecherischen Seite des Regimes gar nicht entgehen.»

VERMITTLUNG Das Buch ist im Berliner Wissenschafts-Verlag erschienen; dessen Leiterin Jessica Gutsche freute sich über die Publikation. «Ich finde es wichtig und spannend, wenn sich Unternehmen öffnen und wir als Privatmenschen, aber auch im beruflichen Alltag damit dann auch in Berührung kommen.» Eine reine Unternehmensgeschichte sei fehl am Platz in einem Wissenschaftsverlag, hier sei der wissenschaftliche Hintergrund der Beteiligten wichtig gewesen.

Ein umfassendes Buch, eine nicht leichte Thematik, 900 Seiten wissenschaftliche Darstellung. Es soll nun darum gehen, wie Inhalte auch durch niedrigschwelligere Vermittlungsformen einem größeren Interessentenkreis weitergegeben werden können, da war sich die Gesprächsrunde einig. «Wir diskutieren gerade, wie wir es Interessierten näherbringen können», so Martin Urban von der BSR. Als Ideen seien derzeit Lesungen, eine Ausstellung und auch ein Podcast im Gespräch.

Juden leisteten seit 1938 Zwangsarbeit bei der Straßenreinigung – vor aller Augen.

Christine Glauning vom Dokumenta-tionszentrum NS-Zwangsarbeit ergänzte, dass aus ihrer Erfahrung erfolgreiche Bildungsarbeit exemplarisch und anschaulich leichter gelinge anhand von Fallbeispielen, um die Geschichte eines Unternehmens zu beleuchten. Sie verwies in dem Zusammenhang neben zentralen Dokumenten auch auf die Bedeutung historischer Fotografien, die man, ergänzt durch Erläuterungen und Einordnungen, gut für anschauliche Wissensvermittlung nutzen könne. So beinhaltet das Buch auch eine Fülle an Fotos, die vielfältige Eindrücke von der Entwicklung der Berliner Stadtreinigung geben.

Sören Flachowsky: «Saubere Stadt. Saubere Weste? Geschichte der Berliner Stadtreinigung von 1871 bis 1955 mit dem Schwerpunkt Nationalsozialismus».
Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021, 899 S., 105 €

Gemeinden

Musik, Theater, Lesungen

Für jeden etwas dabei: Der Zentralrat der Juden stellt sein Kulturprogramm vor

von Christine Schmitt  13.02.2025

Tu Bischwat

Von der Krone bis zur Wurzel

Das Neujahrsfest der Bäume ist eine Umarmung der Natur. Was verbinden Jüdinnen und Juden mit diesem Tag? Eine Umfrage

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt, Heike Linde-Lembke, Katrin Richter  13.02.2025

Berlin

Gedenkort für früheres jüdisches Altenheim gefordert

Die Einrichtung stand dort, wo sich heute das Haus der Statistik befindet

 11.02.2025

Aufruf

Bündnis »Zusammen für Demokratie« startet bundesweite Aktion

Ein breites Bündnis setzt auf Banner mit klaren Botschaften - auch der Zentralrat der Juden in Deutschland macht mit

 11.02.2025

Pädagogik

»Synergien schaffen«

Shila Erlbaum über die nächste Fachtagung der Religionslehrer, didaktische Fragen und Feedback

von Katrin Richter  10.02.2025

Düsseldorf

Verlegerin der ersten Stunde

Gemeinsam mit ihrem Mann gab Lilli Marx das »Jüdische Gemeindeblatt für die Britische Zone« heraus. Nun zeigt eine Ausstellung die Lebensgeschichte der Publizistin

von Jan Popp-Sewing  09.02.2025

Porträt der Woche

Die Rohstoff-Rebellin

Viktoria Kanar hat eine Firma gegründet, um Textilabfall zu recyceln

von Gerhard Haase-Hindenberg  09.02.2025

Ortstermin

Warum ein syrischer Kurde in Freiburg ein israelisches Restaurant eröffnet hat - trotz allem

Eine Geschichte von Mut und Haltung

von Anja Bochtler  09.02.2025

Frankfurt

Sein Leben, ihre Bühne

Die WIZO lud zu einer Aufführung von Georg Kreislers Stück »Heute Abend: Lola Blau«

von Laura Vollmers  09.02.2025