»Sind Sie israelischer Staatsbürger?«: Die Frage der Grenzbeamtin am Ben Gurion Airport zwischen Lod und Tel Aviv ist berechtigt und wird bejaht. »Wann waren Sie zum letzten Mal in Israel?« Auch dies ist eine gute Frage. Die Antwort kann sie kaum glauben, geschweige denn ich selbst. »Wie heißt Ihr Vater?« Gabriel Marcus, geboren 1941 in Tel Aviv.
Als ich 1972 zuletzt in Israel war, als Siebenjähriger mit meiner Mutter, lebten meine Großmutter und mein Stiefopa in Haifa. Von ihrer Terrasse aus hatten sie einen tollen Blick auf den Hafen, an den ich mich erinnere und dessen Größe im Vergleich zu heute eher lächerlich erschien. In den 1990er-Jahren zogen sie zu meiner Tante nach Orléans, wo sie später starben.
Aufgrund der Historie hassten sie Besuche in ihrem Geburtsland Deutschland verständlicherweise. Dennoch kamen sie ab und zu kurz in die Bundesrepublik, um uns zu sehen. Diese Ausrede dafür, ein halbes Jahrhundert nicht in Israel gewesen zu sein, ist recht mager, wie ich mir selbst eingestehe.
Süd-Zipfel des Westjordanlandes
Mein letzter Besuch fand noch vor dem Yom Kippur-Krieg statt. Das Tote Meer war zwar genauso salzig wie heute, Eilat stellte aber eher ein Kaff dar und das beeindruckende Flughafenterminal stand noch lange nicht. Die ersten Siedlungen im Westjordanland, durch dessen Süd-Zipfel ich gefahren werde, waren neu. Der Terror der Araber, die sich damals erst ein paar Jahre lang Palästinenser nannten, aber nicht.
Kurz vor Jerusalem versuche ich, noch ein paar Ausreden für meine peinlich lange Abwesenheit zu finden. Zwei Jahre lang habe ich in Mexiko gelebt, vier in Ex-Jugoslawien, sechs in Nordamerika und zehn in Bulgarien. Aus Sofia beträgt die Flugzeit nach Lod aber nur zweieinhalb Stunden. Noch eine wenig überzeugende Ausrede. Ich war überall, aber nicht in meinem eigenen Land.
Eine Konferenz in Jerusalem ist die Gelegenheit, nach 53 Jahren 36 Stunden in Israel zu verbringen. Ich treffe dort alte und neue Freunde, heule am Denkmal für die 1,5 Millionen von den Nazis ermordeten Kinder in Yad Vashem, höre Herzog, Netanjahu, Sa’ar, Dayan und den anderen Konferenzteilnehmern zu und berichte.
Starkes Zugehörigkeitsgefühl
Als der Trubel zu Ende ist, habe ich sieben Stunden Zeit, Jerusalem zu erkunden und zu schlafen. Drei Stunden widme ich der Stadt, deren elegante Einkaufszentren 1972 nicht existierten. Ich erreiche die Davidszitadelle und damit die Altstadt, die ich von damals kenne, aber mit anderen Augen erlebe. An der Klagemauer kehre ich um.
Auf dem Rückflug wird mir klar, wie wohl ich mich während des eher hektischen Mini-Besuchs in Israel gefühlt habe. Bestimmt bin ich in verschiedenerlei Hinsicht eher Deutscher als Israeli, aber das Zugehörigkeitsgefühl fiel in der zweiten Heimat viel stärker aus.
Die Freundlichkeit der Leute berührt mich richtig – bis zu dem Moment, in dem ich von der überaus netten Chefstewardess in der von schwerbewaffneten Polizisten bewachten El-Al-Boeing am BER-Flughafen in Schönefeld per Handschlag verabschiedet werde. Von nun an gibt es keine schlechten Ausreden mehr.