Hameln

»Nach 25 Jahren etabliert«

Die Synagoge in Hameln wurde 2011 feierlich eröffnet. Foto: picture alliance / dpa

Die Synagoge in Hameln war der erste Neubau in Deutschland für eine liberale jüdische Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg – ein Ort für fortschrittliches Judentum und ein kultureller Erfolg für die kleine Stadt in Niedersachsen. Die Eröffnung der Reformsynagoge im Februar 2011 erfolgte 14 Jahre, nachdem Rachel Dohme die Jüdische Gemeinde in Hameln gegründet hatte.

Aus persönlichem Interesse schuf die Amerikanerin 1997 für sich und mittlerweile rund 200 andere Jüdinnen und Juden eine religiöse und soziale Heimat. Am Freitag dieser Woche besteht die Gemeinde 25 Jahre. Die meisten Mitglieder sind Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, vereinzelt sind aber auch andere Herkunftsländer vertreten.

Die Sonderpädagogin Rachel Dohme zog Anfang der 80er-Jahre mit ihrem Ehemann, einem deutschen Pilzzüchter, in die Nähe von Hameln. Nicht nur die räumliche Distanz zur nächsten Synagoge in Hannover war es, die Dohme veranlasste, selbst aktiv zu werden. Auf der in der Orthodoxie traditionellen Frauenempore fühlte sich die Amerikanerin völlig fehl am Platz. In ihrer Heimatgemeinde in Pittsburgh gab es eine solche Geschlechtertrennung nicht. »Ich wollte in eine Synagoge gehen, in der meine Tochter zur Tora aufgerufen werden konnte«, schilderte sie 2005 der Jewish Telegraphic Agency.

GRUPPE Rachel Dohme gründete dann in Hameln gemeinsam mit der Ukrainerin Polina Pelts eine kleine Gruppe, die mit einem Integrationsprojekt ihr Leben in Deutschland vereinfachte, zum Beispiel mit Alltagshilfen und Sprachkursen. Kaum einer der aus der Sowjetunion zugewanderten Menschen wusste damals etwas über gelebtes Judentum. Durch die jüdische Praxis der Gründerin wurden die Menschen mit der eigenen Religion vertraut. Bis heute leitet Rachel Dohme die Geschicke der Gemeinde.

Ein erster wichtiger Schritt war, dass der in der Nazi-Zeit entweihte jüdische Friedhof seit 1999 wieder als Ruhestätte genutzt werden konnte und ein größeres jüdisches Gräberfeld auf dem städtischen Gemeindefriedhof eingerichtet wurde. »Ganz wichtig ist, dass dort jetzt die Ewigkeitsrechte gelten. Wir sind stolz darauf, denn es bringt immer bürokratische Hürden mit sich, unübliche Dinge durchzusetzen«, sagt Rabbinerin Ulrike Offenberg.

Der gelebte Fortschritt zeichnet das Heute in der Gemeinde aus.

Dreh- und Angelpunkt des Gemeindelebens ist »Beitenu«, was auf Hebräisch »unser Haus« bedeutet und zugleich der Name der Synagoge Hameln ist. Bereits 2001 erwarb Rachel Dohme mithilfe ihres Ehemannes das Grundstück von der Stadt, auf dem die alte Synagoge bis zur Pogromnacht 1938 gestanden hatte. Ebenso wurde der hölzerne »Tree of Life«, an dem gegen Spenden blattförmige Metallplaketten an schöne Ereignisse oder lieb gewonnene Menschen erinnern, 2001 fester Bestandteil der Hamelner Gemeinde.

unterstützer Bevor die neue Synagoge 2011 feierlich eröffnet werden konnte, behalf sich die Gemeinde mit provisorischen Lösungen. »Die Kirchen in der Stadt waren von Anfang an große Unterstützer – ohne Dominanz. Auch die erste Torarolle war eine Spende der Kirchen«, berichtet Offenberg.

Die Baukosten für die Synagoge in Höhe von rund einer Million Euro wurden schließlich zu zwei Drittel vom Land Niedersachsen, der Stadt Hameln und dem Landkreis Hameln-Pyrmont übernommen. Die 2004 gegründete »Stiftung liberale Synagoge Hameln« besorgte den Rest mittels eines Darlehens, das durch viele Spender aus dem In- und Ausland getilgt werden konnte.

Die neue Synagoge in ovalem Design des Architekten Frank Taylor bietet der Gemeinde nicht nur Raum für die Schabbat-Zeremonie und jüdische Feiertage. »Es ist ein Gemeindezentrum. Die Lade für die Torarolle ist schon fest installiert, aber die Stühle sind beweglich, sodass der Raum ganz schnell umgeräumt werden kann für kulturelle Veranstaltungen«, erläutert Rabbinerin Offenberg.

gottesdienste Der Bau der neuen Synagoge fiel in die Amtszeit der britisch-israelischen Rabbinerin Irit Shillor, die das religiöse Leben in der Gemeinde Hameln 15 Jahre gestaltete und zu diesem Zweck aus Großbritannien anreiste. Ihr ist es zu verdanken, dass die Gemeinde die Gottesdienste bis heute mit dreisprachigen Gebetbüchern gestaltet, in denen die Texte und Lieder auf Hebräisch – auch in lateinischer Schrift niedergeschrieben –, auf Russisch sowie auf Deutsch zu lesen sind.

Rabbinerin Ulrike Offenberg lud ältere Kinder der Gemeinde zu einem Schabbaton nach Berlin ein.

»Diese Gebetbücher senden eine ganz wichtige Botschaft aus: Egal, welche kulturelle Herkunft ihr habt, alle sind auf der gleichen Seite, wir blättern gleichzeitig um – auch im übertragenen Sinne«, sagt Offenberg. Im Dezember 2016 hat die 1966 in Ost-Berlin geborene Rabbinerin und Historikerin die Aufgaben von Shillor übernommen.

Der gelebte Fortschritt zeichnet das Heute in der Gemeinde Hameln aus, in dem die Frauen selbstverständlich wichtige Ämter bekleiden. »Das haben nicht alle von Anfang an gemocht. Traditionelle Geschlechterrollen geben auch Stabilität, aber selbst einen jüdischen Ausdruck zu finden, ist manchen nicht bequem. Nach 25 Jahren ist das etabliert, was es uns heute einfacher macht«, so Offenberg.

GENERATION Aber der Blick nach vorn hält für Hameln neue Aufgaben bereit: Wichtig sei es, in jüdischen Gemeinden Sicherheitstrainings zu etablieren. Die jüngste Geiselnahme in einer Synagoge in Texas habe gezeigt, dass durch die geschulte Reaktion des Rabbis Schlimmeres verhindert werden konnte, sagt die Rabbinerin.

Weitere Herausforderungen sieht sie darin, die jüngere Generation für das gelebte Judentum zu gewinnen. So lud Ulrike Offenberg ältere Kinder der Gemeinde im vergangenen Oktober zu einem Schabbaton nach Berlin ein, bei dem sie viel jüdisches Flair genossen.

Auch die Herausforderungen der Pandemie haben neue Arbeitsformen etabliert, um die Gemeinde weiter zu öffnen. Die per Zoom veranstalteten Gottesdienste hätten auch Menschen besucht, die nicht in die Synagoge kämen. Und die digitale Schiur-Runde habe durch eine Partnerschaft mit den Gemeinden Freiburg und Stuttgart an Dynamik gewonnen, schildert die weltoffene Rabbinerin. Es nahmen Menschen aus verschiedenen deutschen Städten und sogar aus Österreich und den USA teil, sodass sich ein fester Stamm von 40 bis 45 Personen gebildet hat. Ende April soll die Gruppe ein Schabbaton in Hameln erstmals live zusammenführen.

Hamburg

»Our Turn«: Zentralrat und ZWST veranstalten Jugendkongress 2025

Den Teilnehmern sollen »Methoden, Chancen und Vorbilder« gezeigt werden, mit denen sie sich selbst verwirklichen können sollen

von Imanuel Marcus  11.12.2024

Magdeburg

Sachsen-Anhalt setzt Förderung jüdischer Einrichtungen fort

Die Projektauswahl wird vom Beirat für jüdisches Leben begleitet

 11.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind

von Louis Lewitan  11.12.2024

Stuttgart

Opfer eines Schauprozesses

Nach fast drei Jahrzehnten Stillstand wurde nun ein Platz eingeweiht, der Joseph Süß Oppenheimer gewidmet ist

von Brigitte Jähnigen  10.12.2024

Esslingen

Antike Graffiti

Der Künstler Tuvia ben Avraham beschreibt das Judentum anhand uralter Buchstaben – und jeder darf mitmachen

von Valentin Schmid  09.12.2024

Berlin

Campus mit Kita und Café

Noch bis zum 10. Dezember können Architekten ihre Entwürfe für den Neubau an der Synagoge Fraenkelufer einreichen

von Christine Schmitt  09.12.2024

München

Mit Erfahrung zum Erfolg

Die Spieler des Schachklubs der IKG gehören zu den stärksten in Bayern – allen voran Leonid Volshanik

von Vivian Rosen  09.12.2024

Bundestag

Zentralrat der Juden schlägt Maßnahmen für Schutz jüdischen Lebens vor

Was der jüdische Dachverband von den Parteien mit Blick auf die Neuwahlen erwartet

 09.12.2024

Frankfurt

»Voll akzeptiert in der Gemeinde«

Rabbinerin Elisa Klapheck über das Jubiläum des Egalitären Minjans und das Konzept »Alle unter einem Dach«

von Ralf Balke  07.12.2024