Porträt der Woche

Musik und andere Sprachen

Myri Turkenich ist Flötistin und plant das Kulturprogramm der Freiburger Gemeinde

von Martin Küper  18.12.2012 10:34 Uhr

Leitet Chöre, unterrichtet in der Musikschule und tritt gelegentlich als Sängerin auf: Myri Turkenich Foto: Rita Eggstein

Myri Turkenich ist Flötistin und plant das Kulturprogramm der Freiburger Gemeinde

von Martin Küper  18.12.2012 10:34 Uhr

Kein Wunder, dass ich Musikerin geworden bin. Meine Eltern waren beide sehr musikalisch, häufig kamen Freunde zu Besuch, und jedes Mal wurde gemeinsam musiziert. Als Kind hörte ich nur begeistert zu, aber das prägt natürlich. Seit mehr als 20 Jahren lebe ich jetzt in Freiburg, als Flötistin, Dirigentin – und manchmal auch als Kulturmanagerin. Die Organisation der ersten Jüdischen Kulturtage war allerdings eine neue Herausforderung für mich. Es ging mir vor allem darum, unsere Gemeinde der Öffentlichkeit zu vermitteln. Wie alle jüdischen Gemeinden in Deutschland sind auch wir sehr stark von Zuwanderung geprägt.

Das Thema Migration ist mir sehr vertraut. Meine Großeltern hatte es Ende der 20er- und Anfang der 30er-Jahre von Osteuropa nach Argentinien verschlagen. Wie die Familienlegende es will, kam der Vater meiner Mutter mit zwei Hemden und zwölf Dollar nach Buenos Aires und baute sich schließlich in Santa Fe ein neues Leben auf. Ein spannender und wunderbarer Mensch. Vielleicht schreibe ich irgendwann ein Buch über ihn.

Sprachen Für meine Großeltern war es die zweite Auswanderung, als meine Familie Alija machte und nach Israel kam. Meine Eltern, die beide in der zionistischen Jugendbewegung »Dror« aktiv waren, hatten die Idee und überzeugten meine Großeltern. So ließen die Großeltern ihre gesicherte Existenz zurück und lernten mit über 60 noch Hebräisch. Fünf Sprachen beherrschten sie schon: Polnisch, Russisch, Jiddisch, Deutsch und Spanisch.

Wir landeten in Beer Sheva am Rande der Negev-Wüste. Dort bauten mein Vater und mein Großvater gemeinsam ein Musikaliengeschäft auf: Noten, Instrumente, Schallplatten oder Hi-Fi-Geräte – da gab es alles. Außerdem arbeitete mein Vater, der eigentlich Musiker war, als Oboenlehrer und Dirigent am Konservatorium der Stadt. Der Musik gehörte seine ganze Leidenschaft, und in gewisser Weise ging es darum ja auch bei dem Laden.

Trauma Für mich als Sechsjährige war der Neuanfang schwierig. Ich sprach noch kein Hebräisch, aber die erste Klassenlehrerin verstand meine Probleme nicht und stellte mich vor allen Kindern bloß. Ich hatte dem nichts entgegenzusetzen – eine traumatische Erfahrung. Trotzdem war ich ein fröhliches Kind, und die nächste Klassenlehrerin machte es auch besser. Sie stellte mir eine Schüler-Mentorin an die Seite. Drei Jahre später war ich Klassenbeste. Zu dieser Lehrerin habe ich bis heute Kontakt.

Das Leben in Beer Sheva verlief sehr ruhig, damals hatte die Stadt noch nicht so viel zu bieten wie heute. Insofern war der Militärdienst eine spannende neue Aufgabe, zumal ich dort genügend Freizeit bekam für die Musik. So konnte ich mich in aller Ruhe auf die Aufnahmeprüfung an der Rubin-Musikhochschule in Tel Aviv vorbereiten. Meine Selbstständigkeit war mir immer sehr wichtig, das Studium habe ich mir durch Musikunterricht und eine Stelle als Soloflötistin an der Nationaloper in Tel Aviv selbst finanziert.

Ende der 80er-Jahre führte mich mein Musikstudium nach Berlin. Dort gab es einen Dirigierprofessor, den hatte mir ein Freund empfohlen. Sonst wäre ich vielleicht in London, Paris oder Rom gelandet, Hauptsache Europa. Mein Entschluss, ausgerechnet nach Deutschland zu gehen, stieß aber nicht nur auf Verständnis. Meine Familie brauchte Zeit, um die Entscheidung zu akzeptieren.

querflöte Kurz vor dem Mauerfall kam ich der Liebe wegen nach Freiburg und gründete in der Israelitischen Gemeinde meinen ersten Chor. Mit der Zeit habe ich weitere Chöre übernommen. Außerdem unterrichte ich Querflöte an einer Musikschule und trete gelegentlich gemeinsam mit einem Pianisten als Sängerin auf.

Ende der 90er-Jahre wurde ich künstlerische Leiterin beim Breisgauer Sängerbund und habe viele Jahre lang Konzerte und Projekte in der ganzen Region koordiniert – eine gute Schule in Sachen Kulturmanagement. Mittlerweile weiß ich genau, ob eine Veranstaltung funktioniert und wie sie beim Publikum ankommen könnte. Das scheint sich bis zur jüdischen Gemeinde herumgesprochen zu haben. Und so wurde ich vor eineinhalb Jahren in den Beirat gewählt und gebeten, den Posten der Kulturreferentin zu übernehmen.

Das Amt hatte ich in den 90er-Jahren schon einmal inne, damals rief ich die Reihe »Kultur in der Synagoge« ins Leben. Darauf konnten wir bei unseren ersten Kulturtagen aufbauen, aber diesmal wollten wir wirklich mit einem geballten Programm an die Öffentlichkeit treten und die Gemeinde im kulturellen Leben der Stadt neu positionieren.

Interesse Am Anfang wussten wir nicht, inwieweit uns das gelingen würde, wir mussten die Kulturtage hier ja erst etablieren. Also haben wir kräftig geworben für unser hochkarätiges Programm. Es war schön zu sehen, dass es beim nichtjüdischen Publikum auf großes Interesse stieß.

Vor dem Hintergrund meiner eigenen Lebensgeschichte wollte ich auch einen Schwerpunkt auf die besondere Situation der Zuwanderer legen. Es ging mir darum, zu vermitteln, was es bedeutet, in Deutschland Migrant und Jude zu sein. So kam zum Beispiel die Psychologin Stella Shcherbatova zu einem Vortrag und sprach über ihre Arbeit mit Zuwanderern in der Kölner Gemeinde. Nur wenn man die Probleme von Migranten kennt, kann man ihnen helfen, in der neuen Umgebung heimisch zu werden.

Ich bin zuversichtlich, dass wir die Kulturtage in zwei oder drei Jahren fortsetzen werden. Zumindest, wenn wir beim nächsten Mal wieder so eine großartige Unterstützung bekommen. Vor allem die Freiburger Stadtverwaltung hat sich sehr für uns eingesetzt, aber auch andere Kulturträger vor Ort oder unsere schulischen Kooperationspartner. Da haben sich ganz neue Verbindungen ergeben, sind Ideen und Projekte entstanden, die wir jetzt gemeinsam umsetzen wollen.

Das Schönste an der Vorbereitung waren die vielen persönlichen Begegnungen. Manche Kontakte hatte ich vorher schon, zum Beispiel zu den israelischen Professoren an der Freiburger Musikhochschule, die extra für die Kulturtage Stücke komponiert haben und aufführten. Aber wann hat man schon mal Gelegenheit, mit Künstlern wie der russisch-amerikanischen Kantorin und Sängerin Svetlana Portnyanski oder dem Kabarettisten Alexej Boris auf Kneipentour zu gehen?

literatur Jetzt freue ich mich aber auf ein wenig Freizeit. Endlich wieder die Ruhe zu haben, ausgiebig zu musizieren und zu lesen. Vor allem die israelische Literaturszene verfolge ich sehr gespannt. Wenn ich in Israel bin, bringe ich immer einen ganzen Stapel Neuerscheinungen mit, Prosa und Lyrik. Schon weil mich die Entwicklung des Hebräischen sehr interessiert. In ein paar Tagen fliege ich wieder nach Israel, in die Wärme und zu meiner Familie. Sie ist ein wichtiger Teil meiner Biografie, ein Ort der Liebe und des Sich-gegenseitig-Tragens.

Überhaupt liebe ich das Reisen, vor allem nach Frankreich oder Italien. Auch in Amsterdam habe ich viele Freunde. Wenn ich in Freiburg bin, verbringe ich in der warmen Jahreszeit viel Zeit in meinem Garten. Das ist ein herrlicher Ort, am Hang gelegen, mitten in einem Naturschutzgebiet, mit Blick über die ganze Stadt, voller Obstbäume und Weinreben.

Aufgezeichnet von Martin Küper

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