Berlin

Mit Mohn, Kardamom und Sesam: Jüdische Backwaren mit Geschichte

Die drei vom Café (v.l.): Konditormeister Shahar Elkin, Rotem Elkin und Marcin D. Liera-Elkin im »Babka & Krantz« Foto: Gregor Matthias Zielke

Wenn sich Shahar Elkin an die Freitagabende seiner Kindheit in Haifa erinnert, spielt der »Krantz« eine große Rolle. Den brachte die Großmutter in Israel immer zum Schabbat-Abend mit: ein rundlich geflochtenes Gebäckstück aus Hefeteig.

Ursprünglich stammt das Teilchen, wie der Name nahelegt, aus Deutschland. Über deutsche Emigrantinnen und Emigranten gelangte es nach Israel - »gerade rund um Jerusalem ist es sehr prominent«, erzählt Shahar, 42 Jahre alt, ein Mann mit offenem Lächeln, an diesem frühherbstlichen Tag auf der Terrasse seiner Meisterkonditorei in Berlin-Friedenau.

Der Bäckermeister hat das »Krantz«-Rezept nach Berlin zurückgebracht: Zusammen mit seinem Mann Marcin Liera-Elkin, 44 Jahre alt, hat er sich damit einen Traum erfüllt. Jeden Morgen steht Shahar, der erst mit Anfang 30 eine Ausbildung zum Konditor absolvierte, ab vier in der Backstube und formt aus Hefeteig traditionelle jüdische Gebäckstücke.

Mehr als Backwaren aus der Tüte

»Meistens gibt es in Deutschland nur jüdische Backwaren aus der Tüte - oder man muss sie selbst machen«, sagt Marcin, der für die Finanzen des Ladens zuständig ist. Anders als zum Beispiel im Pariser Viertel Marais ist eine jüdische Konditorei und Bäckerei in Berlin und andernorts in Deutschland noch keine Selbstverständlichkeit.

»Krantz« ist der eine Teil des Namens ihrer Bäckerei »BABKA & KRANTZ«. Was aber ist ein »Babka«? Marcin erklärt: »Eine Babka ist im Gegensatz zum Krantz eher länglich geflochten.« Das Gebäck stammt aus Osteuropa - so wie Marcin selbst, der in Posen geboren wurde und in Berlin aufwuchs. »Das ist polnisch und heißt übersetzt ›Omachen‹ oder ›Großmütterchen‹ «, erzählt der Wirtschaftswissenschaftler und Historiker.

Jüdische Tradition nebenbei vermitteln

Ihre Meisterkonditorei ist als einziger jüdischer Betrieb Mitglied der Konditoren- und Bäckerinnung Berlin - »der erste in 750-jähriger Geschichte der Berliner Bäckerzunft«, sagt Marcin. Juden durften in Mittelalter und früher Neuzeit in Deutschland keine Handwerkerberufe ergreifen und keine Mitglieder der christlichen Zünfte werden.

Er selbst entdeckte erst mit 15 Jahren seine jüdischen Wurzeln mütterlicherseits. »Meine Mutter hatte das weitgehendst verdrängt - auch weil man das im sozialistischen Polen besser versteckte. Es gab immer wieder antisemitische Kampagnen«, so Marcin. Er tauchte damals tief in die jüdische Geschichte seine Familie ein, überlegte zeitweise sogar, Rabbiner zu werden - bis er vor ein paar Jahren Shahar kennenlernte.

Die beiden Geschäftsführer wollen mit den Kunden ins Gespräch kommen - und nebenbei jüdische Traditionen vermitteln. »Ich finde, wenn man Jüdisches immer nur kennenlernt, wenn man beim Beitreten einer Synagoge oder beim Besuch einer jüdischen Veranstaltung durch eine Sicherheitsschleuse muss, hat man doch gar keine Lust mehr darauf; dann kann man das doch gar nicht genießen«, sagt Marcin.

Kulinarische Vielfalt

Sie haben viele Ideen in die Gründung der Konditorei und Bäckerei gesteckt. Jede Babka, jeder Krantz will ein Stück jüdischer Geschichte vermitteln; das zeigt sich zum Beispiel in den Namen. Alle Babka tragen jiddische Namen, alle Krantz hebräische. Eine »Babka Naches« mit Walnüssen und Zimt bedeutet übersetzt etwa »Großmutters Freude«; ein »Krantz Misrahi« heißt so viel wie »östlicher Krantz«; er schmeckt nach Ingwer, Zimt, Kardamom und Nelke.

Auch eine Spezialität jemenitischer Juden ist im Angebot: ein »Jachnun«, eine Art Croissant, das zu 80 Prozent aus Butter und nur aus ganz wenig Mehl besteht. »Es wird traditionell am Schabbatmorgen gegessen, zusammen mit einer jemenitischen Gewürzpaste aus Chili und Koriander, dem ›Shug‹ «, sagt Shahar, der neben litauischen auch jemenitische Wurzeln hat.

Interkulturelle Vielfalt ist für die beiden Männer selbstverständlich: »Mein christlicher Großvater väterlicherseits war Bäckermeister in Posen; er backte zu Sankt Martin Martinshörnchen. Das ist das Ursprungsrezept von unserem ›Weihnukka‹-Stollen«, erzählt Marcin. Ein religionsverbindender Stollen sozusagen, den sowohl Juden als auch Christen zu Chanukka und/oder Weihnachten bei ihnen kaufen.

Familienzeit mit Gebäck einläuten

Besonders vor hohen Feiertagen haben die beiden Geschäftsführer viel zu tun. Und auch freitags kommen viele jüdische Familien und kaufen den Challa - den Hefezopf - für das traditionelle Sabbatmahl, das auch das Ehepaar Elkin einhält. »Das gibt uns das Gefühl, wir beenden jetzt diese Woche, jetzt ist Zeit für die Familie«, sagt Shahar. Und Marcin ergänzt: »Wenn wir an Schabbat zusammensitzen, macht uns das froh, dass viele Tische in Berlin von unserem Brot essen.«

Für Shahar Elkin und Marcin Liera-Elkin ist die jüdische Tradition wichtig; so arbeiten sie samstags selbst nicht in ihren Betrieben; dies ist laut jüdischer Gesetzgebung ein Ruhetag. Um die koschere Zertifizierung durch einen Rabbiner bemühen sie sich - dies bedeutet viel Aufwand. »Unsere Produkte backen wir weiterhin aus koscheren Rohstoffen«, sagt Marcin. Nur eben derzeit noch ohne Zertifikat.

Auch palästinensische Kundinnen kommen

Ein für alle offener Ort in der Nachbarschaft wollen sie sein - für Juden und Nicht-Juden, die auf vegetarische Bioprodukte Wert legen. Es kämen auch viele Muslime, weil die Backwaren nicht nur koscher, sondern auch halal sind. »Darunter sind auch palästinensische Familien«, erzählt Marcin. »Das macht uns besonders stolz, weil es zeigt, dass wir eben doch viel mehr Gemeinsames als Trennendes haben«, sagt er ernst - mit Blick auf den Krieg in Gaza und Israel.

Ende vergangenen Jahres haben die beiden eine zweite Dependance eröffnet - ein Café in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz, die über die historische Konferenz der Nazizeit informiert. Dort wurde 1942 die Vernichtung der europäischen Juden beschlossen. »Meine Großmutter war in Auschwitz«, erzählt Shahar. Über diese Zeit habe sie aber nie gesprochen; sie habe versucht, es zu verdrängen.

Der 7. Oktober 2023, der Tag an dem die Hamas Juden in Israel überfiel, ermordete und entführte, hat sich auch in ihr Gedächtnis geschrieben. Sie haben deshalb gern bei einem Kochbuch mitgemacht, dessen Erlös an die Angehörigen der Geiseln geht. »Jewish Sweets« heißt das Buch von Kenden Alfond, das in diesem März erschienen ist und das auch zwei Familienrezepte des Berliner Betriebs enthält.

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