Porträt der Woche

Mit Leidenschaft für Politik

Dimitri Golodni arbeitet im Bezirksamt und setzt sich für Teilhabe und Inklusion ein

von Christine Schmitt  01.11.2021 12:38 Uhr

»Manchmal träume ich davon, eine Bar in der Karibik zu eröffnen«: Dimitri Golodni (34) lebt in Berlin. Foto: Uwe Steinert

Dimitri Golodni arbeitet im Bezirksamt und setzt sich für Teilhabe und Inklusion ein

von Christine Schmitt  01.11.2021 12:38 Uhr

Seit ein paar Tagen sitze ich wieder an meinem Schreibtisch im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf im Teilhabefachdienst Soziales und entscheide über Anträge auf Eingliederungshilfe von Menschen mit Behinderungen.

Ziel ist es, ihnen eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll ihnen helfen, möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu leben. In dem Haus am Hohenzollerndamm soll das »Haus der Teilhabe« gegründet werden, wo der Bürger alles wie aus einer Hand bekommt. Daran arbeite ich mit viel Leidenschaft mit.

gesundheitsamt Bis vor Kurzem habe ich als Kontaktverfolger beim Gesundheitsamt ausgeholfen. Als der erste Lockdown im März 2020 kam, wurden viele Mitarbeiter des Bezirksamtes ins Homeoffice geschickt. Ein paar Kollegen und ich hörten, dass das Gesundheitsamt dringend Hilfe braucht, und so ließen wir uns dorthin versetzen. Um es vorwegzunehmen: Es hat mir in der Pandemiebekämpfung Spaß gemacht. Erst einmal wurden wir eingearbeitet. Aber da sich der Schwerpunkt auf eine einzige Krankheit konzentrierte, war die Einarbeitung übersichtlich.

Die Fälle, die alle einen positiven PCR-Nachweis hatten, kamen rein, wurden gesichtet und vom Chef verteilt. Dann klemmte ich mich ans Telefon und fragte die Leute nach ihren Kontakten, der Symptomatik und nach dem möglichen Infektionsfeld – also, wo sie sich vielleicht angesteckt haben könnten. Mittlerweile wird auch der Impfstatus abgefragt.

Das Wahlalter sollte auf 16 Jahre gesenkt werden. Dafür mache ich mich stark.

Und natürlich gibt es da noch die Anordnung der Quarantäne. Da gab es viele, die nicht einsahen, dass sie nun zu Hause bleiben müssen und auch keinen Besuch bekommen dürfen.

QUARANTÄNE In der Regel war die Reaktion der Leute, mit denen ich sprach, positiv. Vorausgegangen war ja immer ein positiver Test. Sie waren erleichtert, wenn wir anriefen, denn am Anfang der Pandemie gab es auch nur wenige Testmöglichkeiten. Außerdem ist immer noch erstaunlich, wie wenig sich die Menschen mit den aktuellen Bestimmungen auseinandergesetzt haben und wie wenige wissen, was eine Quarantäne eigentlich bedeutet.

Bei Kontaktpersonen, die sich auch in Quarantäne begeben müssen, werden Mitarbeiter losgeschickt, um die Abstriche zu nehmen. Es kam indes auch vor, dass jemand darauf beharrte, nur eine Erkältung zu haben. Da musste dann zusätzliche Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit geleistet werden. Nach zwei Wochen war ich vom vielen Sprechen so heiser, dass man denken konnte, ich hätte Corona-Symptome.

Obwohl es nicht zu meinen eigentlichen Aufgaben gehörte, nahm ich einige Male Abstriche. Beispielsweise, als es einen sehr großen Ausbruch zu Sukkot vor einem Jahr in der Jüdischen Gemeinde gab. Da die Mitarbeiter, die die Tests machten, erst einen Tag später Zeit gehabt hätten, nahm ich selbst das Stäbchen in die Hand, denn ich wollte so schnell wie möglich für Klarheit sorgen.

Viele hatten zusammen in einer Laubhütte gesessen, die vielleicht doch nicht so gut gelüftet war, wie man dachte. Es gab einen Infizierten, auf den dann Ausbrüche in den jüdischen Kitas, Schulen und im Seniorenzentrum zurückzuführen waren. Es wurde dann ein immer größerer Ausbruch. Und meine Neffen habe ich auch mal abgestrichen, um zu erfahren, ob sie sich angesteckt haben und schlimmstenfalls andere anstecken könnten.

ODESSA Geboren wurde ich in Odessa. Als sogenannte Kontingentflüchtlinge kamen meine Eltern, meine Großeltern, meine ältere Schwester und ich 1992 nach Deutschland. Es war der erste Tag, an dem die ukrainischen Grenzbeamten einen eigenen Stempel hatten.

Da der Bruder meiner Mutter bereits hier lebte, bot es sich an. Ich konnte damals kein Wort Deutsch. Ich konnte mich nicht verständigen – was in der Kita schon hart war. Aber ich habe die Sprache rasch gelernt und studierte nach dem Abitur Wirtschaft und Recht in Wildau. Das Studium schloss ich mit dem Master of Law ab.

Ausgerechnet nach Deutschland zu emigrieren, fiel meinem Großvater schwer, da er im Ghetto gewesen war. Natürlich war, wie so oft in der Sowjetunion, nicht viel von unserer jüdischen Tradition übrig geblieben. Dafür gab und gibt es in Berlin umso mehr die Möglichkeit, sich mit dem Judentum auseinanderzusetzen, was ich sehr intensiv getan habe.

SYNAGOGE Als ich noch ein Jugendlicher war, begleitete ich meine Schwester öfter in die Synagoge Joachimsthaler Straße. Doch dann besuchte ich einen Gottesdienst in der Synagoge Pestalozzistraße, der mir sehr gut gefiel, weil ich die Gebete in den Gebetbüchern mitverfolgen konnte. Darauf wird dort viel Wert gelegt. Seitdem bin ich in der Pestalozzistraße ständiger Beter. Um mich auf die Barmizwa vorzubereiten, nahm ich Unterricht bei Kantor Isaac Sheffer. Diese Feier war und ist mir sehr wichtig. Und ich habe sie erst groß in der Synagoge und dann in einem Restaurant gefeiert.

Denn nur kritisieren und nichts tun, ist nicht meine Art.

Nun beginnt für mich auch ein neuer Lebensabschnitt, denn ich bin nach der jüngsten Berlin-Wahl Ende September nicht mehr Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, wo ich für die CDU lange ein Mandat hatte. Ich war nie in der Schülervertretung oder auch nur Klassensprecher. 2006 hatte ich dann aber den Wunsch, mich politisch zu engagieren.

Der Auslöser war die Schröder-Regierung: Das »Was« und vor allem das »Wie« habe ich abgelehnt. Selbst gute Ideen wurden meiner Meinung nach schlecht umgesetzt. Da muss es doch eine Alternative geben, habe ich mir gedacht und wurde aktiv. Denn nur kritisieren und nichts tun, ist nicht meine Art.

ÄMTER Die Alternative hatte ich in der Jungen Union und der CDU Berlin-Mitte gefunden, aber für die kommende Legislaturperiode wollte ich mich nicht mehr aufstellen lassen, weil der Kurs des Kreisverbandes für meinen Geschmack zu sehr nach rechts schwankt. Das Gestalten der Politik muss meinen Werten entsprechen, und das ist im Moment in diesem Kreisverband nicht der Fall. Deshalb möchte ich hier einen Punkt setzen. Dabei hatte ich im Laufe der Zeit viele Ämter inne wie Kreisschatzmeister in der Jungen Union und Ortsschatzmeister Brandenburger Tor.

Die Ämter führten dazu, dass ich tatsächlich gestalten konnte. So brachte ich mit zwei weiteren Mitstreitern die Absenkung des Wahlalters für Bürgerdeputierte von 18 auf 16 Jahre auf den Weg. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob Altersabsenkungen Sinn machen; für mich ergibt es jedoch absolut keinen Sinn, wenn 16-Jährige die BVV wählen können, jedoch von den Fraktionen für die Funktion von beratenden Bürgern nicht vorgeschlagen werden können.

In meiner ersten Wahlperiode war ich Mitglied des Schulausschusses in einer Zählgemeinschaft mit der SPD. Die Schulstadträtin hat damals das Max-Planck-Gymnasium schließen wollen. Natürlich ist schwer zu sagen, ob sie es am Ende geschlossen hätte, aber insbesondere meiner klaren Haltung für den Erhalt dieses Gymnasiums mit speziellen Betonungen im Lehrplan ist es zu verdanken, dass die Stadträtin zu keiner Zeit eine Mehrheit hatte und daher auch nicht in der Position war, ihren Plan umzusetzen.

BAHAMAS Nach dem Studium arbeitete ich bei einem Europaabgeordneten. Als sein Mandat, etwas überraschend, endete, stand ich vor der Herausforderung, mich neu zu orientieren. Da las ich im Internet eine Werbung für eine Bar in der Karibik. Mit einem guten Freund entwickelte ich die Idee, falls es hier nicht mehr weitergeht, in der Karibik eine Bar zu eröffnen. Dazu nahmen wir an einem Cocktailkurs teil und lernten, wie man alle möglichen Getränke kreiert. Da dachte ich, wenn wir Gin selbst herstellen, dann haben wir ein Alleinstellungsmerkmal. So führte ich Alkohol, Wacholderbeeren, Kräuter und Zitrusfrüchte zusammen und habe seitdem immer ein gutes Geschenk.

In einem Cocktailkurs lernte ich, Getränke zu kreiieren – seitdem habe ich immer ein gutes Geschenk.

Aus der Bar auf der Karibik wurde erst einmal nichts, unter anderem deshalb, weil wir uns nicht auf eine Insel einigen konnten. Eine Umfrage unter Freunden ergab, dass es die Bahamas sein müssen. Spaßeshalber habe ich mir Locations angeschaut und fand auch eine – leider haben dafür 875.000 Dollar gefehlt. Ehrlich gesagt, waren wir bis heute noch nicht einmal für einen Urlaub da. Aber das Projekt bleibt für alle Fälle in meinem Hinterkopf.

Dafür bin ich mit meiner Arbeit im Teilhabedienst, bei der ich Menschen aktiv helfen kann, sehr zufrieden. Obwohl sich nun mein Leben ändert, bin ich gut beschäftigt und vergnügt, wenn ich morgens mit meinem Motorrad zum Bezirksamt fahre.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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