»Gescher«

Mehr Offenheit

Ballspiel in Bad Sobernheim Foto: Wiebke Rasumny

Vorher sei sie skeptisch gewesen, ob das Mini-Machane für die Familie das Richtige sei, sagt die 41-jährige Mutter. Nun könne sie mit Gewissheit sagen, dass es »ein wirklich gutes Wochenende« war. »Es hat der ganzen Familie gutgetan.« Sie hoffe, dass die Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland (ZWST) bald wieder ein solches Inklusionsseminar anbietet. Es fand Ende April zum ersten Mal statt.

Sieben Familien, darunter sechs mit behinderten Kindern und deren Geschwistern, hatten sich zum Mini-Machane in Bad Sobernheim angemeldet, das auch von der Aktion Mensch unterstützt wird. »Wir möchten für Familien mit besonderen Kindern ein vielfältiges Programm anbieten«, sagt Dinah Kohan, die das Projekt leitet. »Besonders möchten wir die jüdische Gemeinschaft dafür sensibilisieren, auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu integrieren.« Immer wieder würden Eltern berichten, dass gerade jüdische Institutionen wie jüdische Schulen tendenziell »inklusionsfeindlich« seien und es hier Kinder besonders schwer hätten, sich zugehörig zu fühlen – mehr noch als in anderen Schulen.

Der neunjährige Aaron (Name geändert) erlitt bei seiner Geburt Sauerstoffmangel und ist infolgedessen körperlich und geistig behindert. »Er kann sprechen, laufen und lachen, aber ist auch lernbehindert«, sagt seine Mutter. Sie hat noch eine Tochter, die auch mit dabei war.

erfahrungen Die Woche sei mit fünf Therapien und Arztbesuchen ausgefüllt, so die Mutter. »Eltern von nichtbetroffenen Kindern erzählen immer, was sie alles schaffen – da kann ich nur schlucken.« Hinzu kommt, dass sie kaum Freunde treffen und aufgrund des Verhaltens ihres Kindes auch nicht die Gottesdienste besuchen kann. »Mein Mann und ich fühlen uns immer mehr isoliert«, sagt sie. Sie müsse für den Alltag viel Kraft aufbringen und habe gleichzeitig kaum Zeit für sich.

Doch in diesen Tagen konnte sie in Bad Sobernheim andere Erfahrungen machen: »Alle Eltern wussten, wovon ich spreche. Das hat mir gut getan.« Außerdem habe sie offen reden können, und ihr Sohn wurde von allen so akzeptiert, wie er ist.

Fragen wie diese waren auch Thema in der Gesprächsrunde mit der Psychologin Eva Wittmann. Wie schaffen es Eltern von behinderten Kindern, sich nicht zu verlieren? Wie findet man den Weg zum jüdischen Leben? Die Psychologin riet dazu, die Perspektive zu wechseln und sich auch immer in die andere, nichtbetroffene, Umwelt hineinzuversetzen. Laden Bekannte einen nicht ein, weil danach das eigene Kind zu gestresst ist?

Oft sei die Umwelt unsicher, wie sie mit einem Kind mit Behinderung umgehen soll. Deshalb sei es Aufgabe der Eltern, mit anderen offen zu sprechen, wo Schwierigkeiten liegen könnten und wie man ein Treffen am besten gestalten könne.

gespräche Auch für die Mutter von Miriam (Name geändert) waren die Elterngespräche am wichtigsten. »Der Austausch in einem geschützten Raum bedeutet mir viel«, sagt die 42-Jährige. Es sei für sie die Lernquelle schlechthin. Als sie auf das Seminar angesprochen und eingeladen wurde, beschäftigte sie sich gerade mit dem Gedanken, wie ihre lernbehinderte Tochter mit anderen Kindern »auf Augenhöhe« zusammensein könnte, ohne sich besonders anstrengen zu müssen.

Das sei nun der Fall gewesen, denn während die Eltern Zeit für Gespräche hatten, wurden alle Kinder von Madrichim betreut. »Und die waren sehr gut vorbereitet«, lobt die Mutter. Gemeinsam gestalteten sie Kerzen, bastelten und bereiteten den Schabbat vor. Und ein Höhepunkt war das von den Kindern aufgeführte Theaterstück zum Thema Schabbat. Miriam sagt, sie habe an diesen drei Tagen sehr viel Spaß gehabt und sei »superfroh« gewesen.

Aarons und Miriams Familien überlegen nun, die Kinder auch im Sommer an einem Machane der ZWST teilnehmen zu lassen.

Engagement

Süße Toleranz

»move2respect« heißt ein neues Projekt, das jüdische und muslimische Jugendliche zusammenbringt. Eine erste Begegnung gab es beim Pralinenherstellen in Berlin

von Frank Toebs  06.02.2025

Gemeinden

Musik, Theater, Lesungen

Für jeden etwas dabei: Der Zentralrat der Juden stellt sein Kulturprogramm vor

von Christine Schmitt  06.02.2025

Kino

Unerträgliche Wahrheiten

Das Dokudrama »Die Ermittlung« über den ersten Auschwitz-Prozess wurde bei den Jüdischen Filmtagen gezeigt

von Nora Niemann  05.02.2025

Interview

»Wo immer wir gebraucht werden – wir sind da«

Rabbiner David Geballe über Seelsorge in der Bundeswehr und die Vermittlung von Wissen

von Helmut Kuhn  04.02.2025

Porträt der Woche

Frau der ersten Stunde

Avital Toren wurde vor 30 Jahren gebeten, die Gemeinde in Heilbronn aufzubauen

von Gerhard Haase-Hindenberg  02.02.2025

Hamburg

»Wir sind dran!«

Von Klimawandel bis jüdische Identität: Der Jugendkongress 2025 verspricht vier intensive Tage

von Florentine Lippmann  02.02.2025

Leer (Ostfriesland)

Schoa-Überlebender Weinberg will mit Steinmeier sprechen

Nach seiner Ankündigung, das Bundesverdienstkreuz abzugeben, hat der fast 100-jährige Zeitzeuge ein Gesprächsangebot des Bundespräsidenten angenommen

 31.01.2025

Berlin

Jüdische Stimmen zur Asyl-Abstimmung: Ein Überblick

Wie blicken Juden auf den Vorwurf, die CDU reiße die Brandmauer zur AfD ein? Wir haben uns umgehört

von Imanuel Marcus  30.01.2025

Bildung

Das beste Umfeld

Zwar beginnt das neue Schuljahr erst nach dem Sommer, doch schon jetzt fragen sich Eltern: Welche Schule ist die richtige? Gespräche mit Schulleitern über Wartelisten, Sprachniveau und Traditionen

von Christine Schmitt  30.01.2025