Afikoman

Mehr oder weniger

Sie haben kaum Geschmack, doch weisen sie an Pessach den Weg zu manch süßer Überraschung: In den meisten jüdischen Familien stehen dieser Tage wieder Mazzen auf dem Tisch. Darüber freuen sich vor allem die Kleinen, denn für sie ist der ungesäuerte und kross gebackene Teig nicht nur eine kulinarische Besonderheit – er wird als Afikoman auch zum Ziel einer Schatzsuche.

Die Schülerinnen und Schüler der Yitzhak-Rabin-Schule in Düsseldorf sind schon voller Vorfreude, und sie müssen auch nicht bis zum Sederabend warten. Wegen der Osterferien in Nordrhein-Westfalen wird die Feier zu Pessach im Schulzentrum der Jüdischen Gemeinde vorgezogen. »Wir feiern immer stufenweise«, erzählt Natascha Dörner.

Dann wird das Durcheinander bei der Suche nach dem versteckten Brotfladen auch nicht zu groß. Und auch nur die Klassensprecherinnen und -sprecher schauen hinter Vorhänge, unter Tischdecken und in die Ecken der Regale. »Wer ihn findet, gewinnt damit für seine Klasse – wobei am Ende natürlich alle Kinder eine Belohnung bekommen«, verrät die Schulleiterin. Das trockene Stück Mazze wird dann gegen Schokolade eingetauscht.

ABWECHSLUNG Obwohl manches Kind darauf wohl gerne verzichten würde. »Vor ein paar Jahren ist Pessach mal in die Schul- und nicht in die Ferienzeit gefallen«, sagt Religionslehrer Jonathan Grünfeld. »Da haben wir den Kindern jeden Tag Mazze geschmiert.« Und die konnten tatsächlich nicht genug davon bekommen. »Nach dem zweiten Tag sagen wir als Erwachsene doch meistens schon, dass es langsam reicht«, erklärt der Lehrer. »Aber die Kinder kennen es eben noch nicht so lange. Es ist etwas anderes, und diese Abwechslung gefällt ihnen.«

Konkurrenz machen können den Mazzot nicht einmal die Ostereier, die in dieser Zeit ebenfalls recht offensichtlich an jeder Ecke versteckt werden. »Mit diesem Feiertag haben wir keine Probleme«, sagt Grünfeld mit Blick auf die christlichen Feste. An Weihnachten sei die Situation eine andere. »Die Freunde außerhalb der Schule reden ja dann auch immer, was sie alles zu Weihnachten geschenkt bekommen haben.« Religiöse Inhalte seien damit allerdings nicht verbunden. Natascha Dörner stimmt zu: »Ich glaube nicht, dass den Kindern die Bedeutung von Weihnachten bewusst ist oder vermittelt wird, es geht meistens nur um den Konsum.«

Weil die »Geschenkorgien« an Ostern noch nicht so eine große Bedeutung haben, würden die Kinder dieses Fest auch nicht aus dem Bekanntenkreis in die jüdische Schule tragen. Doch die Kinder sollen auch etwas aus der Schule hinaus und in die Familie hinein mitnehmen, um die Tradition zu Hause wieder zum Leben zu erwecken. »Vielleicht führt das dann sogar zum gemeinsamen Besuch der Synagoge«, hofft Dörner.

»Aber auch, wenn die Familien nicht so religiös sind, machen die meisten zumindest einen gemeinsamen Sederabend«, sagt Jonathan Grünfeld. »Wenn auch nicht nach orthodoxem Verständnis. Man sucht sich eben die Punkte aus der Tradition aus, die besonders schön sind«, dazu gehöre selbstverständlich auch das Verstecken des Afikoman. »Wir haben aber auch Familien, die essen acht Tage lang Mazze. Bei anderen darf es in der Woche auch mal ein Croissant sein …« – natürlich nicht in der Schule.

Die neunjährige Ariella gehört zu den Kindern, die ein Croissant sofort für Mazze hergeben würde. »Darauf freue ich mich an Pessach am meisten«, sagt sie strahlend. »Nicht auf das Geschenk?«, fragt ihre Mutter Bella Rapoport und erinnert sie an die Suche nach dem Afikoman. »Doch, das auch. In der Schule habe ich dabei noch nie gewonnen«, erzählt Ariella. Aber wenn sie zu Hause in alle Ecke kriecht, ist sie nicht zu schlagen. An Pessach besucht sie ihre Urgroßeltern, dort kommt die Familie zum Essen zusammen. »Danach stehen alle Kinder auf und suchen nach der versteckten Mazze. »Der Gewinner bekommt das größte Geschenk«, erklärt Ariella. »Mario für Nintendo« war es zuletzt, ein Spiel für eine Konsole.

Kleinigkeiten Auch Ludmila Denenburg achtet darauf, bei der Wahl der Belohnung in einem vernünftigen Rahmen zu bleiben, wenn ihre Kinder nach dem Afikoman fahnden. Im Kreis ihrer Familie würden die Eltern immer schauen, was die Kleinen denn ohnehin brauchen. »Meistens sind es Kleinigkeiten oder auch einfach nützliche Sachen, die gerade fehlen«, verrät sie.

Gleich zweimal wird bei Familie Reichert nach dem Afikoman gesucht: An einem Abend ist es die Aufgabe des Vaters. »Das ist eine Pseudosuche«, sagt Mutter Nanette Reichert lachend. Denn wenn der Papa den Afikoman nicht findet, dürfen sich die Kinder etwas wünschen, obwohl sie inzwischen 17, 19 und 21 Jahre alt sind. »Wir haben mit dem Suchen des Afikoman nie aufgehört. Und je älter die Kinder werden, desto größer werden auch die Geschenke.«

Doch übermäßig überzogen seien die Wünsche nie, erzählt Nanette Reichert. »Früher war es Spielzeug, heute sind es Karten für ein Konzert oder ein Fußballspiel. Bei meiner Tochter war es einmal auch ganz schlicht nur eine Bluse.« Aus ihren eigenen Kindertagen sei sie noch Wünsche einer ganz anderen Größenordnung gewöhnt. »Da hat sich meine Schwester von unseren Eltern mal ein Brüderchen gewünscht.« Trotz Tradition: Dieser Wunsch wurde ihr dann doch nicht erfüllt.

Porträt der Woche

»Musik war meine Therapie«

Hagar Sharvit konnte durch Singen ihre Schüchternheit überwinden

von Alicia Rust  15.07.2025

Berlin

Gericht vertagt Verhandlung über Lahav Shapiras Klage gegen Freie Universität

Warum die Anwältin des jüdischen Studenten die Entscheidung der Richter trotzdem als großen Erfolg wertet. Die Hintergründe

 15.07.2025 Aktualisiert

Andenken

Berliner SPD: Straße oder Platz nach Margot Friedländer benennen

Margot Friedländer gehörte zu den bekanntesten Zeitzeugen der Verbrechen der Nationalsozialisten. Für ihr unermüdliches Wirken will die Berliner SPD die im Mai gestorbene Holocaust-Überlebende nun sichtbar ehren

 15.07.2025

Bonn

Schoa-Überlebende und Cellistin Anita Lasker-Wallfisch wird 100

Sie war die »Cellistin von Auschwitz« - und später eine engagierte Zeitzeugin, die etwa vor Schülern über ihre Erlebnisse unter dem NS-Regime sprach. Jetzt feiert sie einen besonderen Geburtstag

von Leticia Witte  15.07.2025

Würdigung

Er legte den Grundstein

Vor 100 Jahren wurde Simon Snopkowski geboren. Zeitlebens engagierte sich der der Schoa-Überlebende für einen Neubeginn jüdischen Lebens in Bayern

von Ellen Presser  14.07.2025

München

Im Herzen ist sie immer ein »Münchner Kindl« geblieben

Seit 40 Jahren ist Charlotte Knobloch Präsidentin der IKG München. Sie hat eine Ära geprägt und das Judentum wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt

von Christiane Ried  14.07.2025

Jubiläum

Münchner Kultusgemeinde feiert Wiedergründung vor 80 Jahren

Zum Festakt werden prominente Gäste aus Politik und Gesellschaft erwartet

 14.07.2025

Berliner Ensemble

Hommage an Margot Friedländer

Mit einem besonderen Abend erinnerte das Berliner Ensemble an die Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende. Pianist Igor Levit trat mit hochkarätigen Gästen auf

 14.07.2025

Reisen

Die schönste Zeit

Rom, Balkonien, Tel Aviv: Hier erzählen Gemeindemitglieder, an welche Urlaube sie sich besonders gern erinnern

von Christine Schmitt, Katrin Richter  13.07.2025