Porträt der Woche

»Man kennt mich«

»Ich komme aus einer großen, bunten, lauten, liebevollen jüdischen Familie«: Hanna Donath Foto: Nico Klein-Allermann

Porträt der Woche

»Man kennt mich«

Hanna Donath ist in Freiburg mit einem Erotikroman berühmt geworden

von Tobias Müller  21.11.2011 15:01 Uhr

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Ich arbeite als Redakteurin in Freiburg. Seit vier Jahren lebe ich dort, und das sehr gern. Meine Familie wohnt leider weiter weg, in Frankfurt am Main. Ich habe zwei Schwestern und einen Bruder.

Ein normaler Tag in der Woche sieht so aus, dass ich morgens um halb neun bei der Arbeit bin und abends um sieben oder halb acht zu Hause. Danach gehe ich manchmal noch ein Bier trinken oder zum Sport. In meiner Freizeit bin ich hauptsächlich mit Freundschaften beschäftigt. Studiert habe ich in Marburg, danach wohnte ich zwei Jahre in Fulda, und dann zog ich nach Freiburg. In jeder dieser Städte hatte ich Freunde – die jetzt woanders wohnen: in Köln, Berlin oder Hamburg. Diese Kontakte zu halten, ist für mich ganz wichtig.

Gesellschaft Außerdem führe ich eine Fernbeziehung mit einem Mann in Holland. Das ist natürlich auch zeitintensiv und heißt: viel reisen. Meistens kommt aber mein Freund nach Freiburg, denn er hat Home-Office-Tage, die er oft bei mir verbringt. Aber gelegentlich mache ich auch Urlaub bei ihm. Wenn ich eine Woche frei habe, fahre ich dorthin. Ich bin gern da, die Gesellschaft in Holland ist sehr offen und tolerant, das mag ich. Wobei es natürlich auch dort Angst vor »Überfremdung« gibt. Doch neulich sah ich da zum Beispiel zwei Männer in Anzügen, die sich küssten. Das habe ich in Deutschland zwar auch schon gesehen, aber nicht von Männern im Dreiteiler, mit Aktenkoffer und Armani-Uhren.

Vergangenes Jahr habe ich ein Buch geschrieben: Wem die Nacht gehört. Ich hatte zwar schon lange an ein eigenes Buch gedacht, aber letzten Endes kam das völlig überraschend. Ich hatte 2009 im Internet eine kurze Geschichte als Blog-Eintrag veröffentlicht, die ziemlich viel Resonanz hervorrief. Sie wurde verbreitet, wie das so ist im Internet, und ich bekam ganz viele Kommentare und E-Mails. Darunter war auch eine vom Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. Die Programmleiterin fragte mich, ob ich nicht ein Buch schreiben wolle. Na klar doch!

Freundin Ein Roman ist natürlich etwas ganz anderes als ein Artikel für eine Zeitschrift. Der Verlag gab mir den Rahmen vor: Es musste ein realistisches Buch sein, das im Alltag von Frauen spielt. Und es sollte um Sex gehen, weil es für diese »Anaïs«-Reihe mit Erotikromanen gedacht war. Der Rest stand mir frei. Zuerst überlegte ich mit einer Freundin, was ich machen könnte. Dann kam mir diese Idee mit Charlotte, die von einem One-Night-Stand ungewollt schwanger wird und den Vater ihres Kindes suchen geht. Das Ganze sollte sich innerhalb von 24 Stunden abspielen, unmittelbar nach der Nachricht »Oh Gott, ich bin schwanger von diesem Kerl, von dem ich nur weiß, dass er Felix heißt und sonst gar nichts«.

Dass der Roman in Freiburg spielt, war auch meine Idee. Die Stadt hat genau die richtige Größe für diese Geschichte, denn in Berlin findet man einen One-Night-Stand im Leben nicht wieder. Außerdem kenne ich mich in Freiburg aus. Schon am Anfang entschied ich, für all die Bars und Klubs echte Namen zu nehmen. Es kommen etwa zwölf verschiedene Lokalitäten vor.

Das Buch ist sehr erfolgreich in Freiburg. Es gilt inzwischen als Nightlife-Guide. Viele haben von den Nachbarn davon gehört oder weil lokale Medien darüber berichteten und sie dann den Fernsehbeitrag sahen, der bei uns im Hausflur gedreht wurde. In der Stadt erkennen mich inzwischen die Leute auf der Straße. Am Anfang waren meine Eltern etwas skeptisch und fragten, ob ich nicht meinen Nachnamen ändern wolle. Aber das wollte ich nicht. Das Buch ist zwar in der Ich-Form geschrieben, aber die Hauptfigur bin ja nicht ich. Auch wenn manche das denken. Mittlerweile sind meine Eltern stolz und finden es sogar gut, dass ich den Nachnamen nicht geändert habe.

In meiner Kurzbiografie im Klappentext steht, dass ich aus einer jüdischen Familie komme, aus einer »großen, bunten, lauten, liebevollen jüdischen Familie«. Das trifft es genau. Wenn wir zum Beispiel in ein Restaurant gehen, dann sitzen wir dort als sechs laute Menschen und haben Spaß. Was natürlich nicht bedeutet, dass wir uns total daneben benehmen. Aber wir sind halt einfach nicht deutsch.

Eltern Mein Vater ist Slowake mit ungarischen Wurzeln. Er hat in Warschau studiert und war 1968, als der Prager Frühling niedergeschlagen wurde, gerade im Urlaub in Wien. Er blieb dort und bewarb sich um ein Stipendium. Er bekam eines in Frankfurt am Main. Also ging er dorthin, wo auch schon mein Großvater studiert hatte.

Meine Mutter stammt aus Polen. Als 1968 viele Juden aus dem Land geworfen wurden, mussten auch meine Großeltern und meine Mutter gehen. Weil mein Opa deutsche Wurzeln hat, gingen sie nach Deutschland und bekamen sofort die deutsche Staatsbürgerschaft. So wie mein Vater hat auch meine Mutter in Frankfurt studiert. Jahre zuvor waren beide zwar gleichzeitig an der Uni in Warschau, doch begegnet sind sie sich erst in Frankfurt.

Meine Oma war in Auschwitz, mein Opa in Bergen-Belsen. Mein anderer Großvater war unter Stalin in Sibirien im Arbeitslager. Sie waren 250 Männer, er war einer von vieren, die das überstanden. Er ist der Einzige, der heute noch lebt. Er hat über das Lager ein Buch geschrieben. Es heißt Die Sündenböcke und wurde aus dem Polnischen in mehrere Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche. Meinen Großvater mütterlicherseits habe ich leider nie kennengelernt. Er starb, als ich ein Jahr alt war. Meine Oma lebte noch lange, aber sie sprach nie über Auschwitz, zumindest nicht mit uns, auch wenn wir nachgefragt haben. Steven Spielbergs Shoah Foundation erzählte sie jedoch ihre Geschichte, auf Ungarisch.

Mit etwa zwölf, 13 Jahren wunderte ich mich immer, wieso wir in Deutschland leben. Wieso sind wir hierher gezogen? Meine Eltern sind doch beide nicht von hier, und sie sind Juden. Ich habe nie verstanden, wie sie das tun konnten. Mein Vater hat das ganz rational erklärt: »Ich war in Österreich und konnte nicht zurück. Das Stipendium war in Deutschland, und Opa war ja auch in Deutschland.« Das fand ich anfangs schwer nachzuvollziehen. Mittlerweile ist das aber okay, ich lebe gern in Deutschland, das ist völlig klar.

Wir sind kein religiöser Haushalt, aber auf jeden Fall ein jüdischer. Das heißt, meine Eltern machen jeden Freitag Schabbat. Seit ich nicht mehr zu Hause wohne, bekomme ich das nicht mehr mit. Wir begehen die Feiertage. An Chanukka und vor allem an Pessach kommen wir vier Geschwister auch alle nach Hause und bringen Freund oder Freundin mit. Inzwischen hat meine große Schwester Kinder, die sind dann auch mit dabei. Pessach ist bei uns ganz wichtig. Mein Bruder engagiert sich sehr in der jüdischen Gemeinde, und meine große Schwester auch.

Synagoge Mein Freund ist kein Jude, aber er ist auch kein Christ. Er kommt aus einer atheistischen Familie, alle sind ungetauft und waren nie in der Kirche. Würde er darauf Wert legen, ginge ich an Weihnachten auch mit zu seiner Familie, kein Problem. Meine Schwestern verbringen Weihnachten auch mit ihren Freunden bei deren Familien. In die Synagoge gehe ich an Feiertagen, etwa an Rosch Haschana. Und in Freiburg gehe ich sogar manchmal alleine. Da kommen dann mitunter Frauen zu mir und sagen: »Ich habe einen Sohn in Ihrem Alter. Wollen Sie nicht mal zum Schabbat-Essen zu uns kommen?« Das ist sehr witzig. Die jüdischen Mammes fragen dann: »Schauen Sie, mein Sohn sitzt dort unten. Gefällt er Ihnen nicht?« Aber ich lasse mich nicht verkuppeln!

Aufgezeichnet von Tobias Müller.

Hanna Donath: Wem die Nacht gehört.
Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2011. 221 S., 9,95 Euro

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