Porträt der Woche

Liebe auf den ersten Blick

»Ich brenne für meine Arbeit und habe meine eigenen Programme geschrieben«: Lior Hoffman (38) aus Berlin Foto: Artur Landa

Porträt der Woche

Liebe auf den ersten Blick

Lior Hoffman ist Israeli, begeisterter Lichtdesigner und Opernfan

von Alicia Rust  25.01.2025 20:03 Uhr

Früher war ich das schwarze Schaf der Familie, schon als Kind galt ich als schwierig. Damit habe ich kein Problem, ich stehe zu meiner Vergangenheit. Dass ich heute so einem wunderbaren Beruf als Lichtdesigner nachgehe, eine Frau und ein Kind habe und seit einem Jahr in Berlin lebe, hätte ich mir als pubertierender Teenager nicht einmal vorstellen können. In mir steckte eine Menge Wut, und die musste irgendwie raus.

Im Alter von 15 bis 23 Jahren glich mein Leben einem Ausnahmezustand. Das war sicher meine Art der Rebellion. Wogegen? Vermutlich gegen schlichtweg alles. Was mich da herausgeholt hat? Die Liebe! Tatsächlich glaube ich an die Liebe auf den ersten Blick. Das betraf sowohl meine Berufswahl als auch die Wahl meiner Partnerin. Mir war immer wichtig, auf mein Bauchgefühl zu achten.

Geboren wurde ich 1986 in Jerusalem, meine Eltern sind ebenfalls gebürtige Israelis. Meine Mutter ist Jahrgang 1955. Mein Vater 1953, meine Großmutter mütterlicherseits ist heute 93 Jahre alt, sie kommt ursprünglich aus Polen, während meine väterlichen Vorfahren, von denen keiner mehr lebt, aus Rumänien stammen. Wir lebten in Mewasseret Zion, im Judäischen Bergland von Israel, nur etwa zehn Kilometer von Jerusalem entfernt. Als ich ungefähr drei Jahre alt war, zogen wir nach Kalifornien ins Silicon Valley, wo meine Eltern beide in der Hightech-Branche gearbeitet haben. Meine Mutter war Programmiererin, mein Vater Ingenieur. Mein kleiner Bruder Amir wurde 1989 in Israel geboren, nur drei Monate, bevor es für uns nach Amerika ging.

Wenn mein Sohn in die Pubertät kommt, ist er hoffentlich nicht so extrem wie ich damals.

Zunächst wurde ich auf einer normalen amerikanischen Grundschule eingeschult, doch nach der ersten Klasse kam ich auf die jüdische Yavneh Day School, denn ich sollte Hebräisch lernen, damit ich später nicht den Anschluss verpasse. Diese Schule war sehr religiös und damit ein Kontrast zu meinem Elternhaus. Bei uns ist niemand religiös, meine Mutter interessiert sich heute sogar eher für den Buddhismus.

Als ich acht Jahre alt war, ging es für uns zurück nach Israel. Bis heute habe ich neben meinem israelischen Pass auch einen amerikanischen – und wer weiß, vielleicht in Zukunft auch einen deutschen Pass, immerhin ist mein Sohn hier geboren.

In Israel hatte ich zunächst das Gefühl: Hier will ich nicht sein. Ich erinnere mich noch an meine innere Ablehnung. Genauso wenig wollte ich vor rund zwei Jahren nach Deutschland, ich kam nur meiner Frau zuliebe her, aber irgendwann sagt man sich: Versuchen wir es eben. Und dann merkt man: Es ist gar nicht so übel. Inzwischen finde ich Berlin sogar ziemlich klasse. Die Deutschen sind nicht so chaotisch wie die Israelis, allerdings erscheinen sie mir auch deutlich reservierter.

Während meiner Kindheit in den USA haben wir sämtliche Feiertage begangen

Während meiner Kindheit in den USA haben wir sämtliche Feiertage begangen, die jüdischen, die christlichen und die amerikanischen. Wieder in Israel, war ich fassungslos, dass es plötzlich kein Weihnachten mehr geben sollte. Mein Sohn ist noch sehr klein, aber er soll alles kennenlernen, er wird vermutlich ein ganz normaler Berliner Junge, mit israelischen Wurzeln. Er soll selbst entscheiden, in welcher Welt er leben möchte. Wie sich alles entwickeln wird, weiß ich nicht, schließlich bin ich noch nicht so erfahren in der Vater-Rolle.

Wenn mein Sohn einmal in die Pubertät kommt, ist er hoffentlich nicht so extrem wie ich. Ständig habe ich die Schule geschwänzt, ich war eine Art Heavy-Metal-Punk, ging auf Partys und habe eine Menge Unsinn gemacht. Jahrelang habe ich wie unter einer Dunstglocke gelebt. Meine Eltern waren ziemlich verzweifelt. Die Schule habe ich zwar beendet, allerdings ohne richtigen Abschluss, was meinen Vater sehr geschmerzt hat, denn er sah mich aufgrund meines hohen IQs bereits auf der Universität.

Beim Militär war ich nur 18 Monate – von den üblichen 36 –, und das bereue ich heute sehr, denn ich hätte dort eine Menge lernen können. Aufgrund meines Profils wurde ich frühzeitig ausgemustert. Im Alter von 23 Jahren, wo fast alle meine Freunde ihre rebellische Zeit bereits hinter sich hatten, schien ich auf dem Höhepunkt meiner destruktiven Phase angekommen. 2009 packte ich meine Sachen und reiste mit einer Gruppe von Freunden durch Thailand, Laos und Kambodscha, auch nach Indien, weil das Leben dort unglaublich preiswert war.

Der Wendepunkt in meinem Leben

Der Wendepunkt in meinem Leben begann bei Vollmond. In Thailand gibt es die berühmten Vollmondpartys, die besonders unter Israelis sehr beliebt sind. Einmal im Monat findet so eine Strandparty statt, und da kam dieser Typ und bot uns »Magische Pilze« an. Ich hatte einen absoluten Horror-Trip, der über zwölf Stunden dauerte, dabei verlor ich jedes Gefühl für Zeit und Raum. In diesem Zustand fasste ich einen Entschluss: Wenn ich das überlebe, nehme ich nie mehr Drogen. Ich bin dabei geblieben. Meine Freunde waren überglücklich, mich endlich in einem ansprechbaren Zustand zu erleben.

Wieder in Israel, rief ein Freund an und fragte: Willst du dir etwas verdienen? Und ich fragte: Ist es legal? Er antwortete: Natürlich! Damit begann mein zweites Leben. Anlässlich des Papst-Besuchs im Jahr 2009 musste das römische Amphitheater von Scythopolis mit Lichttechnik und Sound ausgestattet werden, eine extrem physische Arbeit. Vom Kabelschleppen bis zum gesamten Aufbau, zur Bedienung der Technik – man ist für alles zuständig. So etwas hatte ich noch nie zuvor gemacht. Ich schuftete den ganzen Tag bei größter Hitze und einer hohen Luftfeuchtigkeit, doch ich liebte jede Sekunde davon.

Das richtige Lichtkonzept umzusetzen, zu sehen, wie alles ineinander greift, das war ein Hochgefühl, wie ich es bislang noch nie in einem nüchternen Zustand erlebt hatte. Dabei wollte ich bleiben. Danach lief alles wie von selbst. Jeden Tag lernte ich etwas Neues dazu, erst als Licht-DJ, irgendwann wechselte ich zum Lichtdesign. Meine Projekte wurden immer größer und anspruchsvoller, das Gehalt schnellte ebenfalls in die Höhe. Schließlich begann ich mit der Programmierung von Lichtdesign und habe meine eigenen Programme geschrieben. Das fiel mir aufgrund meines familiären Hintergrunds nicht schwer. So bin ich dann auch ein Computer-Nerd geworden, genau wie meine Eltern.

Anfangs machte ich Konzepte für völlig unbekannte Künstler, die schließlich immer berühmter wurden.

Dass ich mir in Israel für mein Lichtdesign einen Namen machen und Lichtkonzepte für die Shows von berühmten Künstlern entwerfen würde, für Konzerte, Videos, für die Oper oder das Theater, entwickelte sich nach und nach. Anfangs machte ich Konzepte für völlig unbekannte Künstler, die schließlich immer berühmter wurden. Bei ihrem Aufstieg nahmen sie mich mit. Mich erfüllt, was ich mache, ich brenne für meine Arbeit, und ich bin immer noch regelmäßig in Israel, wo ich meine Firma Solid-Visual weiter betreibe.

In Deutschland muss ich mich hingegen neu beweisen, hier kennt mich fast niemand, also befinde ich mich wieder am Anfang.
Einer meiner ersten Jobs war, ein Lichtkonzept für ein TV-Studio zu entwickeln. Nun könnte man denken: Das ist doch nicht so schillernd, aber auch bei diesem Projekt habe ich viel dazugelernt, es war eine neue Herausforderung, auch wenn das Licht eine gänzlich andere Rolle spielt als bei einem Konzert. Die beste Sendung wäre schließlich nichts ohne das richtige Beleuchtungskonzept.

Auch Lichtinstallationen im künstlerischen Bereich finde ich interessant

Neben großen Rock- und Popkonzerten liebe ich auch die Oper. Ich habe richtig gelitten, als ich kürzlich mit meiner Frau in der Wiener Oper war, was für ein bescheidenes Licht, das hat mir die ganze Aufführung verdorben. Auch Lichtinstallationen im künstlerischen Bereich finde ich interessant.

Genauso schockverliebt wie in meinen Beruf war ich dann in meine spätere Frau. Auf einem multi-disziplinären-Kunstfestival in Jerusalem war ich 2013 Crew-Leiter – und alles ging schief. Ich hatte schlechte Laune und wollte mich bei der Leitung beschweren. Man sagte mir, ich fände die Leiterin in einer Kirche. Voller Wut lief ich den Gang entlang, an dessen Ende sie neben einer Bankreihe vor dem Altar stand, den Rücken mir zugewandt.

Als ich bei ihr ankam, drehte sie sich um, und es war um mich geschehen. Ich dachte: Wow, sie ist wunderschön! Alles, was ich herausbrachte, war ein heiseres Stammeln: Hallo, alles läuft prima, wir schaffen das, kann ich dir vielleicht einen Kaffee bringen? Sie lächelte und sagte: Gern einen Kaffee und eine Zigarette dazu.

Aufgezeichnet von Alicia Rust

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