Chanukka

Leuchtende Schrauben

Wenige Tage vor dem Lichterfest hat Michel David eine wichtige Passion: den Bau einer Chanukkia. Sein Blick geht derzeit immer gesenkt in Richtung Straße. Denn da könnte ja eine Schraube, eine Stange Metall oder etwas aus Stahl herumliegen.

Keller Und das alles kann Michel David wunderbar gebrauchen. Auf dem Weg zur Arbeit, wenn er seine Zwillinge in die Kita und seinen achtjährigen Sohn in die Schule bringt, oder bei kleinen Spaziergängen – stets richtet er seine Aufmerksamkeit auf den Boden. Ein Blick in eine offene Mülltonne kann sich ebenso lohnen wie bei Kellerentrümpelungen mal genauer nachzuschauen. »Deutschland ist ein materialistisches Land – da gibt es viel.«

In diesen Tagen ist er glücklich, denn er konnte sich vor wenigen Wochen in Kreuzberg eine kleine Werkstatt einrichten – eine Nachbarin hat ihm einen Raum in einer Souterrainwohnung überlassen. Sein Werkzeug, der 3D-Drucker, und seine fertigen Chanukkiot sind schon eingezogen.

Auf einem Tisch liegen ordentlich sortiert Kronleuchterteile, Metallstücke, Tür- und Fenstergriffe, Besteck und Tischbeine.

Auf einem Tisch liegen ordentlich sortiert Kronleuchterteile, Metallstücke, Tür- und Fenstergriffe, Besteck und Tischbeine aus Metall. Wenn es nach ihm ginge, dann würde er jede freie Sekunde in diesen wenigen Quadratmetern verbringen, denn um diese Zeit packt ihn jedes Jahr wieder die Begeisterung für das Entwerfen und Bauen.

FORM Mittlerweile hat er auch Unterstützung bekommen, denn sein achtjähriger Sohn hilft ihm beim Finden von Metall und beim Entwerfen. »Ich denke, das ist ein toller Weg für uns beide, gemeinsam kreativ zu sein, aber auch, dass ich ihm auf diese Art und Weise die jüdische Tradition weitergeben kann.« Der Chanukkaleuchter hat keine traditionell festgelegte Form und kann daher fantasievoll gebastelt und gestaltet werden – aber die Kerzen müssen in einer Reihe stehen.

Der Ständer für die Chanukkia war früher einmal Teil einer Shisha.

Unter einem Tuch hat er seinen jüngsten Auftrag versteckt: einen Leuchter für das Lichterfest der Synagoge Fraenkelufer, wo seine Frau, seine drei Kinder und er der Gemeinschaft angehören. Der Ständer für die Chanukkia war früher einmal Teil einer Shisha. Bisher hat er erst sieben »Arme« für die Kerzen gefunden. »Ich brauche noch einen achten, denn ich baue koschere Leuchter.«

Das neunte Licht behandelt er noch einmal gesondert, denn das muss sich über die anderen erheben. Noch ist es ein Geheimnis, wie der Leuchter aussehen wird. Doch diesmal bekommt er Hilfe, denn andere Beter der Synagoge Fraenkelufer sammelten auch Material.

LICHTWUNDER Schließlich wurden der Mischkan und seine Einrichtung einschließlich der Menora auf dieselbe Weise gebaut. Acht Arme der Chanukkia erinnern an die Legende vom Lichtwunder. Sie berichtet von einem Ereignis nach der Befreiung des Volkes Israel von griechischen Herrschern. Das war vor mehr als 2000 Jahren.

Nach der Legende brannten die Lichter des Tempelleuchters damals mit einer kleinen Menge Öl wie durch ein Wunder acht Tage lang. Die neunte Kerze der Chanukkia ist die »Dienerkerze«. Sie steht in der Mitte und heißt Schamasch.

Mit ihr zündet jedes Familienmitglied an den Chanukkaabenden nach Einbruch der Dunkelheit seinen eigenen Chanukkaleuchter an, und zwar an jedem Abend eine Kerze mehr. Erst am letzten Abend brennen also alle Lichter. Manche Familien entzünden die Lichter von rechts nach links.

LEIDENSCHAFT Eine Chanukkia, das wohl bekannteste Judaica-Artefakt, aus Altmetallen zu bauen, ist für Michel David ein Versuch, viele seiner Leidenschaften zu verbinden. Denn da spürt er die Liebe zur Kunst, die jüdische Tradition und seine israelische Ausbildung, die das Erheben von Alltagsgegenständen zu Kunstwerken in den Mittelpunkt stellt, indem der Künstler sie »findet« und als Kunst behandelt.

»Jeder ist ein kleines Licht, und wir sind alle ein festes Licht!«

Michel David

Auf dem anderen Tisch liegen ebenfalls Schrauben und Plastikboxen herum, in denen er das Material sortiert hat. Er nimmt eine größere flache, durchsichtige Box vom Stapel und holt vorsichtig einen kleinen Leuchter heraus. »Die Teile stammen alle aus Indien«, sagt er.

FAHRRADSPEICHEN Allerdings gab es 2013, als er durch das Land reiste, nur wenig bis gar kein Material, das auf der Straße herumlag, weshalb er in einem Fahrradgeschäft und bei einem Fernsehverkäufer fündig wurde und ein paar kleine Teile erwerben musste. Nun besteht der Leuchter aus Speichen vom Laufrad, Federn aus dem Fernseher und acht kleinen umgedrehten Glocken, die als Kerzenhalter dienen.

In der Mitte erhebt sich mithilfe einer längeren Feder die Halterung für die neunte Kerze. Mehrere Flaschen Öl sind bereits auf seinem Arbeitstisch, daneben auch die bunten Chanukkakerzen. Vor dem Fenster steht eine Papprolle, auf der bunte Zahlen kleben: 2016, das Jahr, in dem er den Leuchter zwar in Berlin gebaut hat, aber das Metall vorher in New York sammelte.

Der Leuchter ist etwas stämmiger als der indische. Ein Messlöffel ist das Zentrum, neben ihm gehen in Stufen die zwei Arme nach oben, an denen die Halterungen angebracht sind. Die neunte Kerze bekommt wieder eine Sonderrolle und überragt die anderen deutlich.

SKULPTUREN Davids Leidenschaft, etwas zu bauen, fing schon in der Kindheit an, damals waren es allerdings noch Skulpturen. Groß geworden ist er im Norden von Israel in dem kleinen Ort Shekanya zwischen Haifa und dem Karmel.

Nach der Armee zog er erst nach Jerusalem, um dort an der Bezalel Acdemy of Arts Design zu studieren. Anschließend ging er nach Tel Aviv, wo er seine Freundin kennenlernte. »Mit zwei Rucksäcken und vielen Träumen« zogen sie zusammen nach Berlin. »Wir gingen nach Berlin, nicht nach Deutschland, das ist etwas anderes«, sagt er schmunzelnd.

Auch für seine Eltern hat er eine Chanukkia entworfen, die er in diesen Tagen verschicken will.

Die Stadt galt damals als »arm, aber sexy« – wie der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit es formulierte. Geld hatte Michel David zu dieser Zeit keines. Er kannte die Hauptstadt von der Loveparade 1999, seine Frau im Gegensatz zu ihm jedoch gar nicht. Aber ihr Großvater war als 15-Jähriger aus Deutschland geflohen, weshalb ihr die Sprache nicht ganz so fremd war. Der mittlerweile 100-Jährige lebt immer noch in Haifa.

Davids Eltern hingegen stammen aus Belgien und sprechen Französisch, wie auch der 42-Jährige. »Aber bei meiner Arbeit in einem Start-up-Unternehmen unterhalten wir uns auf Englisch, und zu Hause spreche ich mit meinen Kindern Hebräisch.« Die Kreativität liegt bei ihm in der Familie: Seine Mutter widmet sich der Keramik, sein Großvater hat sein ganzes Leben gemalt, überwiegend Stillleben und Panoramabilder.

RADIO Insgesamt habe er vielleicht zwölf Chanukkiot angefertigt, meist eine pro Jahr. Nur in diesem Jahr werden es mehrere werden. »Es interessiert mich einfach, und ich kämpfe um jede Stunde, die ich hier bauen kann.« Dann macht Michel David gern das Radio an – am liebsten mit einem israelischen Sender, auf jeden Fall muss es Musik sein.

Auch für seine Eltern hat er eine Chanukkia entworfen, die er in diesen Tagen verschicken will. »Es soll eine Überraschung werden.« Ebenso werden die Beter der Synagoge Fraenkelufer überrascht werden von seiner Chanukkia, die unter freiem Himmel im Garten der Synagoge zum Leuchten gebracht wird.

»In diesen dunklen Zeiten der globalen Corona-Pandemie und mit kurzen, kalten Tagen ist es die beste Gelegenheit, um den Geist mit Schöpfung und Licht aufzuleuchten und zu erwärmen. Jeder ist ein kleines Licht, und wir sind alle ein festes Licht!«

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