Pessach

Koscher in Berlin – aber wo?

Seit Ende des vergangenen Jahres nicht mehr Geschäftsführerin: Nach wie vor arbeitet Manuela Bleiberg zweimal in der Woche in »ihrem« Café. Foto: Uwe Steinert

Pessach 5779 wird für Manuela Hoffmann-Bleiberg und ihren Mann Michael Bleiberg ein ganz besonderes Fest werden. Zum ersten Mal seit 15 Jahren können die beiden sich frei fühlen und beruhigt nach Österreich fahren, um dort die Sederabende zu feiern.

Für die Kunden allerdings sind die Zeiten weniger rosig. Die vielen kleineren Läden, die es noch vor einigen Jahren gab, sind verschwunden. Dort trafen sich vor Pessach etliche Berliner zufällig beim Einkaufen, plauderten und tauschten Rezepte über Mazzeknödel aus.

Heute fehlen diese vielen kleinen Geschäfte, und die Mazzot sind vor allem in Supermärkten gestapelt: runde, eckige, holländische, israelische, Schokomazze oder glutenfreie. Im »Daily Markt« in der Wilmersdorfer Straße zum Beispiel sind die Regale voll. »In der Zeit vor Pessach haben wir die höchsten Umsätze«, sagt Inhaberin Julia Sucholuzkaja. Der Supermarkt führe »alles, was für Pessach benötigt wird«. Die Waren sind von den Herstellern zertifiziert.

Auch in der Gegend des Kurfürstendamms mussten etliche koschere Läden aufgeben und schließen.

angebote Einige wenige koschere Läden sind geblieben, wie das »Kosher Life« von Lauder in der Brunnenstraße oder das »Lampari« in der Damaschkestraße. Vor Pessach müssen die Mitarbeiter mitunter den Bürgersteig nutzen, um Pakete kurzfristig dort abzustellen, bis sie eingeräumt oder weitergeliefert werden.

Auch in der Gegend des Kurfürstendamms mussten etliche koschere Läden aufgeben und schließen, wie etwa das Geschäft »Schalom«, erst in der Wielandstraße, dann zuletzt in der Charlottenburger Sybelstraße. 49 Jahre lang kauften Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, Israelis und viele, die sich für koschere Produkte interessierten, dort ein.

Auch das »Plätzl« in der Passauer Straße und das »Koscher Deli« in der Goethestraße gibt es nicht mehr. Das Café »Best Daily Dishes« in der Charlottenburger Waitzstraße ist ebenfalls geschlossen. Weil sie zu wenig Kundschaft hatten, konnten sie das Café nicht mehr betreiben, sagt Julia Socholuzkaja.

produkte Ganz so schlimm ist es für das »Bleibergs« nicht gewesen. Doch die Arbeit wurde für Manuela und Michael Bleiberg, beide Mitte 60, zu schwer. Als es noch die koscheren Einzelhändler gab, arbeiteten sie mit ihnen zusammen. Als diese dann nach und nach schlossen, mussten sie auch viele Produkte aus Straßburg liefern lassen.

»Da kamen dann schon mal 400 Liter Milch mit einer Lieferung, die wir in den Keller schleppen mussten«, erzählt Manuela Bleiberg. Ihr Alter und die vielen getrennt verbrachten Feiertage waren mit ein Grund, ihr Café aufzugeben. Häufig waren sie über die Feiertage versetzt nach Israel geflogen, damit das Geschäft so kurz wie möglich geschlossen blieb.

»Das Café war unser Baby. Wir haben viel Kraft und Liebe hineingesteckt«, sagt Manuela Bleiberg ein wenig wehmütig. Einmal hatten sie sogar selbst einen Sederabend angeboten: »Es war wunderschön, aber eine wahnsinnige Arbeit.«Pessach an sich sei schon anstrengend, aber den Laden herzurichten »eine Herausforderung«: Das alte Geschirr musste in den Keller getragen, das andere, neugekaufte, in die Mikwe gebracht werden. Dann waren auch noch Mitarbeiter erkrankt, sodass das Ehepaar fast alles allein bewältigen musste. »Einmal und nie wieder.«

Nachfolger Arbeitstage von 14 Stunden sind in der Branche keine Seltenheit. Darauf wird sich auch der Nachfolger einstellen müssen. Zwei Jahre hat es gedauert, einen zu finden.

Die neue Pächterin heißt Oksana Smila, der Küchenchef ist Andreas Marinkovits. Sie haben vorher im mittlerweile geschlossenen Restaurant »Milo« gearbeitet. Nach Pessach wollen sie beide Geschäfte führen. Das Milo wird dann unter dem Namen »Gidya« (Ziege) laufen. Die Kaschrut-Aufsicht für beide Lokale hat Rabbiner Yehuda Teichtal von Chabad Lubawitsch. Bleibergs bleibt milchig, das andere Lokal wird fleischig.

Arbeitszeiten von 14 Stunden sind in dieser Branche keine Seltenheit.

»Es ist ein schwieriges Geschäft«, sagt der 55-jährige Küchenchef, der an einem Tisch sitzt und mehrere Zettel abarbeitet. Ihm fehlen noch große weiße Tischdecken, und er greift zum Handy, um sie zu bestellen. Bei aller Euphorie eines Neuanfangs bleibt Andreas Marinkovits realistisch. »Es gibt in Berlin nicht so viele Leute, die koscher essen gehen wollen«, sagt er. Die Preise für koschere Speisen sind höher, und für manche Gäste sei das nicht nachvollziehbar.

logistik Auch die Logistik braucht Zeit und kostet Kraft: Morgens um vier steht Andreas Marinkovits auf, um Angebote zu schreiben und E-Mails zu beantworten. Eineinhalb Stunden später fährt er zum Großhändler, um einzukaufen. Koscheres Fleisch bestellt er bei den entsprechenden Berliner Supermärkten. Ab sieben Uhr backt er die Challot. Der Maschgiach ist um diese Uhrzeit ebenfalls schon da. Bis zehn Uhr ist die Küche wieder sauber, und die Türen können für die Kunden geöffnet werden.

»Mich hat es gereizt, für weniger Gäste ein gutes Essen zu kochen«, erklärt Andreas Marinkovits, warum er das Wagnis eingegangen ist. Er wollte wieder die Nähe zu den Gästen spüren. Nun können sie dem Koch bei seiner Arbeit zusehen. Oft hat er für mehrere Hundert Leute gekocht – das kennt Marinkovits also.

Aufgewachsen in Österreich, hat er oft mit seinem Vater zusammen am Herd gestanden, der ebenfalls in der Gastronomie arbeitete. Der Vater warnte ihn, er solle nicht ins Gaststättengewerbe gehen. Das schreckte den Sohn damals aber nicht: Andreas wurde Koch. Bis vor drei Jahren arbeitete er als Küchenchef in Fünfsternehotels in Israel, darunter im »Sheraton« und im »Radisson«.

Arbeitszeiten Die Arbeitszeiten wurden jedoch immer länger, er durfte erst Feierabend machen, wenn der letzte Gast gegangen war. Morgens bei den Meetings musste er wieder frisch sein, sodass er seine Frau und seine drei Töchter kaum noch sah. Da beschloss er, nach Berlin zu ziehen und im koscheren Restaurant zu arbeiten.

Berlin gefällt dem Koch recht gut, aber er findet es schade, dass das Lebensmittelangebot doch sehr begrenzt ist. »In Israel bekommt man alles koscher, auch beispielsweise grünes Curry, Pasta, Mozzarella und gutes Fleisch.« Das sei hier schwieriger.

»Die Anzahl der Menschen, die koscher leben wollen, wächst aber«, meint hingegen Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. Supermärkte bieten nun ein »interessantes Teilsegment« an, dabei hätten kleinere Läden das Nachsehen.

Die Branche erlebe einen Wandlungsprozess, und die »Pioniere« seien nicht mehr am Markt. Er vergleicht diese Veränderung immer gern mit der Entwicklung der Bioläden: Erst gab es ein paar wenige kleine, heute hat »Lidl« das größte Bio-Angebot. »Das ist der Siegeszug einer guten Idee«, meint Busch-Petersen.

Koschere Angebote gibt es in etlichen Märkten, in mehreren Stadtbezirken.

Koschere Angebote gibt es in etlichen Märkten, in mehreren Stadtbezirken. So führt etwa das »KaDeWe« abgepacktes koscheres Brot und Wein im Angebot, einige Filialen von »Ullrich« Wein und Wodka. Koschere Angebote gibt es auch immer wieder im Kaufhof am Alexanderplatz.

Sonderöffnung Wer kurz vor Pessach doch noch etwas benötigt, findet dies bei »Kosher Life«, seit 2008 an der Brunnenstraße in Mitte beheimatet. Das Geschäft öffnet eigens am Sonntag vor den Festtagen. Der Supermarkt nimmt für sich in Anspruch, das größte Sortiment an koscheren Lebensmitteln zu führen. Das »Tabularium« in Mitte bietet Weine und Mazzot an.

Manuela Bleiberg kündigt indes an, dass sie ihre Erlebnisse aus den 15 Jahren zu Papier bringen und veröffentlichen möchte. In den vielen Jahren hätten sie auch viel Spaß gehabt. Aber die Gesundheit lasse nun nach. An diesem Vormittag steht Manuela Bleiberg wieder hinter dem Tresen an der Nürnberger Straße. Das Lokal ist renoviert, und auf jedem Tisch steht eine rote Tulpe. An zwei Tagen in der Woche arbeitet sie noch mit – seit Ende vergangenen Jahres ist sie nicht mehr Geschäftsführerin. Ganz aufhören geht dann doch nicht so schnell.

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