Jugendkongress

Kontrovers und koscher

Im großen Festsaal herrscht fiebrige Stimmung. Angeregt unterhalten sich die vielen jungen Erwachsenen, die aus der ganzen Bundesrepublik für dieses Ereignis in das Hotel Leonardo nach Berlin gekommen sind. Die letzten Teilnehmer sind gerade eingetroffen, die Tische sind gedeckt. Es ist Donnerstagabend, und gleich wird der Jugendkongress offiziell eröffnet.

Kristian aus Potsdam ist das erste Mal dabei. »Ich denke, das wird eine interessante Erfahrung«, sagt der 18-Jährige, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen will. Er sei ohne Erwartungen hierhergekommen und hoffe einfach, »dass es Spaß machen wird«. Ein paar Programmpunkte hat sich Kristian bereits herausgepickt: »Ich will zum Workshop über Kinder- und Jugendarmut gehen. Und natürlich zu dem Vortrag über ›Kosher Sex‹.«

themen Er ist einer von insgesamt 300 Jüdinnen und Juden im Alter zwischen 18 und 35 Jahren, die sich für den Jugendkongress, kurz »Juko«, angemeldet haben. An drei Tagen setzte sich der Nachwuchs der jüdischen Gemeinden mit einem breiten Spektrum an Themen auseinander: Es gab Vorträge zu Verschwörungsmythen, Workshops zum Ukraine-Krieg oder zu den Israel-Wahlen und Podiumsdiskussionen über die veränderte Rolle der Medien. Daneben wurde ein Sportprogramm auf die Beine gestellt sowie Schabbat-Gottesdienste und eine große Party am Samstagabend gefeiert. All das stand unter dem Motto: »Die Zukunft gehört uns«.

Organisiert wird der Jugendkongress vom Zentralrat und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Abraham Lehrer, Präsident der ZWST, wandte sich bei der Eröffnung an die Anwesenden und sagte, der Jugendkongress sei ein bedeutender Termin für die ZWST und eine der »wichtigsten Veranstaltungen in Deutschland für eure Altersgruppe«.

Zentralratspräsident Josef Schuster verwies in seinem Grußwort auf die zahlreichen antisemitischen Vorfälle in diesem Jahr und sagte, es brauche »starke jüdische Perspektiven in unserer Gesellschaft heute mehr denn je«. Er wünschte allen Teilnehmern »interessante, erbauliche und fröhliche Tage«.

krisen Die Veranstaltungen am Freitag beschäftigten sich mit den zahlreichen Krisen dieser Zeit. Während die Sozialpsychologin Pia Lamberty über Verschwörungsglauben und russische Propaganda referierte, sprachen im Nebenraum mehrere politische Verantwortungsträger über »Politik im Krisenmodus«.

Einer der Referenten war Konstantin von Notz, stellvertretender Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion. Er befand, wir seien »für diese krisenhaften Momente gut aufgestellt in der Demokratie, weil sie ein gutes System ist«. Als es um das Thema Antisemitismus ging, wies ein Teilnehmer darauf hin, dass viele Juden den Judenhass aus arabischstämmigen Milieus als Bedrohung empfinden würden. »Wir können von den Menschen, die hierherkommen, verlangen, dass sie sich das besondere Verhältnis der Deutschen zu Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt und auch zu Israel aneignen«, antwortete von Notz.

Es gab Vorträge, Workshops, Diskussionen und Gottesdienste.

Die Krise, die viele Teilnehmer beschäftigt, ist die Klimakrise. Bei der Diskussion mit den beiden Fridays-for-Future-Bundessprecherinnen Annika Rittmann und Luisa Neubauer war der Saal gefüllt. »Klimabewältigung ist keine technische Frage, sondern eine politische«, meinte Neubauer. Dafür gab es Widerspruch aus dem Publikum. Ein Teilnehmer, der selbst einen technischen Beruf anstrebt, meinte: »Die Perspektive von Ingenieuren wird in der Klimabewegung zu wenig beachtet.«

Besonders beim Antisemitismus fühlten die jüdischen Zuhörer den beiden Klima­bewegten auf den Zahn. Wie sie künftig antisemitische Ausfälle mancher Fridays-for-Future-Gruppen verhindern wollten, fragte einer. Rittmann sagte, man lasse sich derzeit zum Thema Antisemitismus beraten und wolle »diesen Diskurs in der Bewegung weiterführen und gucken, wie wir da etwas verändern können«. Neubauer ergänzte: »Wir betonen, dass wir gegen jeden Antisemitismus einstehen.«

MEDIEN Welche Rolle den Medien in Krisenzeiten zukommt, wurde im Anschluss mit Robin Alexander von der »Welt« und Yasmine M’Barek von »Zeit Online« diskutiert. Durch die Verbreitung der sozialen Medien gebe es eine Fragmentierung der Öffentlichkeit, so Alexander. »Wir haben etwas, das kann man Tribalisierung nennen, und das ist schwierig für die Demokratie.«

M’Barek sieht in Plattformen wie Twitter aber auch »die Kraft, marginalisierten Gruppen mehr Aufmerksamkeit zu geben«. Moderiert wurde das Podiumsgespräch von Laura Cazés, die bei der ZWST arbeitet und Teil des Organisationsteams des Jugendkongresses war. Sie kann sich noch gut an ihren ersten Juko als Teilnehmerin erinnern.

»Damals saß ich das erste Mal vor Spitzenpolitikerinnen und -politikern, das hat mich sehr beeindruckt«, so die heute 32-Jährige. Neben dem Zugang zu gesellschaftlichen Themen sei für die Teilnehmer auch die »besondere Atmosphäre der vier Tage und die Möglichkeit, einmal Schabbat feiern zu können«, sehr wichtig, so Cazés. Für viele junge Juden bedeute Aufwachsen oft »eine einsame Erfahrung«, da sie häufig die einzigen jüdischen Menschen in der Schule oder an der Uni seien. Das mache bundesweite Treffen wie den Jugendkongress so bedeutsam für die junge jüdische Gemeinschaft.

WORKSHOPS Für die Teilnehmer ging es mit kontroversen Themen weiter. Am Samstag konnten sie aus einer Reihe von Workshops wählen, die sich zum Beispiel mit Antifeminismus oder den Wahlen in Israel beschäftigten.

Wie bedeutsam die Frage nach der Anerkennung von Vaterjuden gerade für die junge Generation ist, zeigte sich an den Erfahrungen von Hanna Veiler.

Besonders hitzig wurde die Diskussion dann auf dem Abschlusspanel über sogenannte Vaterjuden, die nach dem jüdischen Religionsgesetz nicht als jüdisch gelten. Ein Thema, das »auf dem Jugendkongress immer schon eine große Rolle gespielt« habe, wie Moderator Philipp Peyman Engel, Chef vom Dienst bei der Jüdischen Allgemeinen, betonte.

Wie bedeutsam die Frage nach der Anerkennung von Vaterjuden gerade für die junge Generation ist, zeigte sich an den Erfahrungen von Hanna Veiler, Vorstandsmitglied bei der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD). Das Judentum war »immer ein fester Bestandteil meiner Identität«, erzählt Veiler, die einen jüdischen Vater hat. Dennoch habe sie erst konvertieren müssen, um voll anerkannt zu werden.

Beim letzten Programmpunkt des Jugendkongresses gab es noch einmal etwas für die Seele: jede Menge Sufganiot und Latkes. Es war der Beginn von Chanukka, und die Teilnehmer zündeten gemeinsam die erste Kerze auf dem Leuchter an. Danach ging es für sie zurück in ihre Wohnorte. Den Kopf hoffentlich voller neuer Ideen, wie sie als junge Jüdinnen und Juden die Zukunft ihrer Gemeinschaft gestalten können.

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