Megilla

Königin Esther ist zurück

Nach zwei Jahren können die Gemeinden endlich wieder Purim feiern – doch der Krieg trübt die Freude

von Christine Schmitt  17.03.2022 08:35 Uhr

Feiern und Verkleiden trotz Corona und Krieg Foto: Lydia Bergida

Nach zwei Jahren können die Gemeinden endlich wieder Purim feiern – doch der Krieg trübt die Freude

von Christine Schmitt  17.03.2022 08:35 Uhr

Elisabeth Schlesinger hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Sie sei angespannt, ob alles klappt, sagt die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Oldenburg. Zum einen haben in den vergangenen Tagen sie und einige Beter der Gemeinde gemeinsam Purim vorbereitet, zum anderen ist gerade ein Bus mit 50 jüdischen Geflüchteten aus der Ukraine in Oldenburg eingetroffen – und es sollen in den nächsten Tagen noch mehr kommen. Eine Unterkunft stellt ihnen die Stadt zur Verfügung.

Als der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen fragte, wer alles Flüchtlinge aufnehmen würde, telefonierte Schlesinger gleich herum und suchte Menschen, die sich das vorstellen könnten. »Das war nicht einfach.« Deshalb sei die Lösung mit einem Haus für alle nun attraktiver. Dort gebe es eine Gemeinschaftsküche, ausreichend sanitäre Anlagen, und die Betten für Babys stehen schon bereit. Auch eine Mesusa wurde bereits angebracht.

Vor einigen Tagen kamen die ersten Geflüchteten erschöpft an. »Ich hoffe, dass es eine Anbindung an unsere Gemeinde geben wird«, sagt Schlesinger. Flyer mit sämtlichen Telefonnummern sind bereits fertig, ebenso die Stadtpläne auf Ukrainisch. »Wir sind keine Profis im Umgang mit Geflüchteten«, meint sie. Doch hoffe sie, dass eine familiäre Beziehung entstehe.

ERRETTUNG Angesichts der Entwicklungen der letzten Tage sagt Schlesinger: »Wir feiern diesmal Purim ganz bewusst, gerade jetzt.« Denn das Fest handele von der Errettung vor einem Genozid. An diese tiefe Bedeutung möchte sie sich fröhlich erinnern.

Bunte Mischloach-Manot-Tüten sind vorbereitet und verteilt worden. Ihnen liegt ein Text von Rabbiner Netanel Olhoeft bei. Darin betont er, dass »unsere talmudischen Weisen uns dazu aufrufen, der Fröhlichkeit nicht abzuschwören. Auch in der Not, auch im Schmerz ist es wichtig, nicht die Fülle des Menschseins aufzugeben«.

Die Geflüchteten sind eingeladen, Purim mitzufeiern.

Im vergangenen Jahr fand die Purim-Feier wegen der Corona-Pandemie nur per Zoom statt, doch diesmal treffen sich die Beter wieder in der Synagoge, viele kommen verkleidet. Und es wird die schöne Tradition fortgesetzt: Die Megilla wird von allen gemeinsam in vielen Sprachen gelesen.

SCHÜLER Die jüdischen Grundschüler der Berliner John F. Kennedy School haben ebenfalls Mischloach-Manot-Tüten gepackt. »Ich habe sie um Papiertüten, Mandarinen, Äpfel, Schokoriegel und Hamantaschen gebeten«, sagt die Religionslehrerin Sarit Friedrich. »Von Kindern für Kinder.«

Alle Schüler haben kleine Kärtchen geschrieben, bemalt und mit ihrem Namen unterschrieben. »Manche haben auch noch gute Wünsche hinzugefügt.« Die Lehrerin hat sie dann zur Jüdischen Gemeinde gebracht, von dort wurden sie weitergegeben.

In Oldenburg wird die Megilla in vielen Sprachen gelesen.

»Purim ist zur richtigen Zeit gekommen«, sagt Rabbiner Elischa Portnoy, der in Dessau und Halle amtiert. Er würde sich wünschen, dass alle dieses Signal hören, denn auch in diesen Tagen erscheine die Situation aussichtslos, der Krieg in der Ukraine bewege alle.

Purim sei das Freudenfest wegen der Errettung der Juden vor der Vernichtung im Persischen Reich unter König Achaschwerosch und Königin Esther. Und genau deshalb sei Purim so wichtig, denn es zeige, dass sich mit Gottes Hilfe alles ändert. Diese Gedanken würde er gern bei den Betern stärken, sagt Portnoy.

»Auch Corona ist noch nicht vorbei, deshalb müssen alle vorsichtig bleiben«, sagt er. In Dessau findet deshalb keine große Feier statt, aber Gebete und Lesungen. Und manche Gemeindemitglieder verkleiden sich. Auch er habe überlegt, zu einer lustigen Krawatte zu greifen, obwohl er sich als einen ernsthaften Menschen bezeichnen würde.

In der Sonntagsschule der Jüdischen Gemeinde zu Halle wird die Geschichte nachgespielt, und es werden Geschenke verteilt. In den Gemeinden in Halle und Dessau hätten sich bisher nur wenige Flüchtlinge gemeldet.

GEFLÜCHTETE Auch in der Israelitischen Kultusgemeinde Rottweil ist in den vergangenen Tagen Purim vorbereitet worden. Die Gemeindemitglieder konnten in die Synagoge kommen und sich kleine Geschenke abholen. Auch die Geflüchteten seien eingeladen mitzufeiern, sagt Tatjana Malafy. Die Geschäftsführerin der Gemeinde freut sich auf das Fest, dennoch sorgt sie sich um die Menschen in der Ukraine. Sie selbst kommt aus Kiew. Dieser Tage ist sie die ganze Zeit im Einsatz und schläft kaum noch. Ihre Zeit ist ausgefüllt mit Gesprächen mit Geflüchteten und mit Bekannten aus ihrer ukrainischen Heimat und auch mit Menschen, die helfen möchten.

Für 25 Geflüchtete war die Gemeinde bereits eine erste Anlaufstelle. Nun sollen in dieser Woche 14 orthodoxe Juden eintreffen. »Sie werden vorübergehend in der Synagoge untergebracht, eine andere Lösung sehe ich nicht.« Sie habe inzwischen ihre Tochter und ihren Sohn mit in die Organisation eingebunden, sagt sie. »Ich schaffe es allein nicht mehr.«

Obwohl der Gemeinde sowohl russische als auch ukrainische Juden angehören, macht sich Malafy um den Zusammenhalt keine Gedanken. »Unsere Gemeinde ist gut gewachsen. Wir kommen alle sehr friedlich miteinander aus«, betont sie. Jeder würde derzeit helfen, Spenden sammeln, Geflüchtete aufnehmen und manches mehr. Malafys Sohn Michael hat zum Beispiel eine kleine Familie nach der langen Flucht aus der Ukraine in Stuttgart abgeholt und nach Rottweil gebracht. Die junge Frau mit ihrem Sohn und dem kleinen Hund hat lediglich ihre Papiere aus der Ukraine mitnehmen können, sonst nichts. Malafy ist erleichtert, dass alles geklappt hat und sie nun in Sicherheit sind.

VERKLEIDUNG Rabbiner Alexander Na­chama verkleidet sich immer zu Purim. Und auch in diesem Jahr wird in Erfurt in der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, wo er amtiert, das Fest gefeiert, allerdings im Kulturzentrum, das größer ist als die Synagoge. Da inzwischen etliche Corona-Maßnahmen gefallen sind, können viele Gemeindemitglieder kommen.

Reinhard Schramm, der Gemeindevorsitzende, macht sich wegen der Pandemie weniger Sorgen, sondern denkt mehr daran, wie sich der Krieg in der Ukraine auf die Gemeinde auswirkt. »Wir können es derzeit nicht allen recht machen«, sagt er. Die Gemeinde, der auch russische Mitglieder angehören, sei derzeit »durcheinander geschüttelt«. Da käme die Abwechslung mit einer schönen Feier zur richtigen Zeit.

In Erfurt kommt die Abwechslung mit einer schönen Feier zur rechten Zeit.

Fröhliche Purim-Musik, Geschenke für Kinder, Snacks und natürlich die Lesung der Megilla stehen auf dem Programm bei Chabad Düsseldorf. Die Feier findet in einem Indoor-Spielplatz statt.

Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf bereitet sich darauf vor, Geflüchtete aufzunehmen. Man hat eine Turnhalle hergerichtet und bietet koschere Verpflegung an. »Momentan brauchen wir Mitteilungen über die Grenzübergänge, die überfüllt sind und an denen Kriegsflüchtlinge noch warten«, heißt es auf der Homepage der Gemeinde. Außerdem soll kommuniziert werden, wann und wo möglicherweise Verwandte an der ukrainischen Grenze ankommen. »Meldet euch auch bei uns, wenn ihr Räumlichkeiten für die Menschen aus der Ukraine zur Verfügung stellen könnt. Zusätzlich freuen wir uns über weitere ehrenamtliche Unterstützung.«

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